Behebung von Ausfertigungsmängeln eines Bebauungsplans ohne neue Abwägung
BVerwG, Beschluss vom 25.02.1997 - Az.: 4 NB 40.96
Leitsätze:
1. Die Sieben-Jahres-Frist des §
244 Abs. 2 Satz 1 BauGB für die Unbeachtlichkeit eines Abwägungsmangels hat auch dann am 1. Juli 1987 zu laufen begonnen, wenn der vor diesem Datum bekanntgemachte Bebauungsplan an einem gemäß §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB behebbaren Ausfertigungsmangel leidet.
(amtlicher Leitsatz)2. Die Gemeinde hat die Wahl, ob sie einen Verfahrens- oder Formfehler, der zur Nichtigkeit des Bebauungsplans führt, nach §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB behebt oder zum Anlass dafür nimmt, ein neues Bauleitplanungsverfahren einzuleiten.
(amtlicher Leitsatz)3. Ein auf der Grundlage des §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB in Kraft gesetzter Bebauungsplan ist nicht allein deshalb nichtig, weil die Gemeinde trotz nachträglicher Änderung der Sach- oder Rechtslage keine erneute Abwägungsentscheidung getroffen hat.
(amtlicher Leitsatz)4. Ein wegen eines Form- oder Verfahrensfehlers ungültiger Bebauungsplan kann nicht nachträglich (wirksam) durch Nachholung des Verfahrens gemäß §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB in Kraft gesetzt werden, wenn sich die Verhältnisse so grundlegend verändert haben, dass er inzwischen einen funktionslosen Inhalt hat oder das ursprünglich unbedenkliche Abwägungsergebnis jetzt unverhältnismäßig und deshalb nicht mehr haltbar ist.
(amtlicher Leitsatz)
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Tenor
Die Normenkontrollsache, in der das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz durch Urteil vom 29. August 1996 den Bebauungsplan der Antragsgegnerin "Auf Kalker" für nichtig erklärt hat, wird zur erneuten Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller ist Vollerwerbslandwirt. Er betreibt Ackerbau und Viehzucht. Der Betrieb ist im Laufe der vergangenen Jahre erheblich erweitert worden. Der Antragsteller bewirtschaftet derzeit 110 ha Nutzfläche. Er hält Kühe und Bullen. Der Gesamttierbestand beträgt etwa 100 Stück. Die Hofstelle grenzt unmittelbar an das Plangebiet des Bebauungsplans "Auf Kalker" an. Der Bebauungsplan, in dem ein Mischgebiet ausgewiesen ist, wurde am 13. Februar 1975 vom Gemeinderat der Antragsgegnerin beschlossen, genehmigt und am 4. Dezember 1975 öffentlich bekanntgemacht.
Nachdem festgestellt worden war, dass die Ausfertigung fehlte, fertigte der Ortsbürgermeister der Antragsgegnerin den Plan am 17. Mai 1995 aus. Die Genehmigung aus dem Jahre 1975 wurde am 25. Mai 1995 erneut öffentlich bekanntgemacht.
Auf den Normenkontrollantrag des Antragstellers hin hat das Normenkontrollgericht unter Hinweis auf den verschärften Konflikt zwischen Landwirtschaft und potentiell zulässiger Wohnnutzung den Bebauungsplan mit der Begründung für nichtig erklärt, die Antragsgegnerin sei nicht in eine erneute Abwägung eingetreten, obwohl "sich die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort in abwägungserheblicher Weise verändert" hätten.
Hiergegen richtet sich die Nichtvorlagebeschwerde der Antragsgegnerin.
Gründe
II.
1. Die Beschwerde ist gemäß §
47 Abs. 7 Satz 1 VwGO a.F. statthaft (vgl. Art. 10 Abs. 2 des 6. VwGOÄndG). Sie ist auch sonst zulässig.
2. Die Beschwerde ist unbegründet, soweit sie folgende Frage im Sinne des §
47 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 VwGO a.F. für grundsätzlich klärungsbedürftig hält: "Läuft die Sieben-Jahres-Frist des §
215 Abs. 1 BauGB bei einem wegen eines Ausfertigungsmangels neu bekanntgemachten Bebauungsplan ab der Neubekanntmachung oder unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes bereits ab der ursprünglichen Bekanntmachung, d.h. setzt das neuerliche Verfahren des §
215 Abs. 3 BauGB eine neue Frist in Gang, obwohl der Zeitpunkt der Abwägung, nämlich der Satzungsbeschluß, unverändert bleibt?" Diese Frage brauchte das Normenkontrollgericht nicht zu einer Vorlage zu veranlassen. Sie war nicht entscheidungserheblich; denn das Normenkontrollgericht hat unterstellt, daß die abwägungserheblichen Belange 1975 zutreffend abgewogen worden sind. Die Frage spielt im anhängigen Verfahren aus einem weiteren Grund keine Rolle. Nach §
215 Abs. 2 BauGB wird die Sieben-Jahres-Frist des §
215 Abs. 1 BauGB nur dann in Lauf gesetzt, wenn hierauf bei Inkraftsetzung des Bebauungsplans hingewiesen wird. Im Jahre 1975, als der Bebauungsplan, gegen den der Antragsteller sich zur Wehr setzt, bekanntgemacht wurde, war die Möglichkeit, die Prüfung eines Planes auf Abwägungsmängel hin zeitlich zu beschränken, im Gesetz indes noch nicht vorgesehen. Erst 1979 wurde § 155 b Abs. 2 BBauG eingefügt, der in bezug auf Mängel der Abwägung eine Regelung enthielt, wie sie sich nunmehr in §
214 Abs. 3 BauGB findet. Die Möglichkeit einer Verfristung war dieser Vorschrift unbekannt. Sie wurde erst durch das Baugesetzbuch eröffnet.
Mängel der Abwägung von Flächennutzungsplänen und Satzungen, die vor dem 1. Juli 1987 bekanntgemacht worden sind, sind Gegenstand der Sonderregelung des §
244 Abs. 2 BauGB. Sie sind unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb von sieben Jahren nach dem 1. Juli 1987 schriftlich gegenüber der Gemeinde geltend gemacht worden sind. Diese Rechtsfolge tritt kraft Gesetzes ein. Nach §
244 Abs. 2 Satz 2 BauGB ist auf diese Änderung der Rechtslage innerhalb von sechs Monaten nach dem 1. Juli 1987 durch ortsübliche Bekanntmachung in der Gemeinde hinzuweisen. Die Sieben-Jahres-Frist des §
244 Abs. 2 Satz 1 BauGB beginnt indes unabhängig hiervon zu laufen. Die Bekanntmachung hat anders als bei §
215 Abs. 1 BauGB rein deklaratorischen Charakter. Unterbleibt sie oder wird sie den bundesrechtlich angeordneten inhaltlichen Anforderungen nicht gerecht, so hindert dies nicht den Ablauf der Sieben-Jahres-Frist (vgl. den Ausschußbericht vom 15. Oktober 1986, BTDrucks 10/6166, S. 166). Diese Regelung ist eindeutig. Sie läßt keinen Raum für Auslegungszweifel. Dies hat der Senat bereits bestätigt (vgl. BVerwG, Beschluß vom 08.05.1995 - BVerwG
4 NB 16.95 - Buchholz 406.11 §
244 BauGB Nr. 1). Daß insoweit gleichwohl noch ein Klärungsbedarf besteht, zeigt die Beschwerde nicht auf.
Ein solcher Klärungsbedarf bestünde auch nicht, wenn man die von der Beschwerde zum Beginn der Sieben-Jahres-Frist des §
215 Abs. 1 BauGB formulierte Frage auf die Sieben-Jahres-Frist des §
244 Abs. 2 BauGB übertrüge. Für den Fristbeginn ist jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art die ursprüngliche Bekanntmachung des Bebauungsplans maßgebend und nicht dessen erneute Bekanntmachung gemäß §
215 Abs. 3 BauGB zur Behebung eines Ausfertigungsmangels. §
244 Abs. 2 BauGB und der ihm zugrunde liegende §
215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB einerseits sowie §
215 Abs. 3 BauGB andererseits bezwecken mit jeweils unterschiedlichem systematischen Anknüpfungspunkt die Planerhaltung. Die Befristung der Rügemöglichkeit knüpft an den Satzungsbeschluß und dessen Bekanntmachung an. Ist diese Bekanntmachung als solche fehlerfrei und ist damit der rechtsstaatlich gebotene Verkündungszweck, nämlich den Plan der Öffentlichkeit in einer Weise förmlich zugänglich zu machen, daß die Betroffenen sich verläßlich Kenntnis von seinem Inhalt verschaffen können (BVerfGE 65, 283, 291), erreicht, so ist diese Bekanntmachung auch geeignet, Präklusionswirkung für die Rüge von Abwägungsmängeln nach Ablauf einer gesetzlich bestimmten Frist zu erzeugen. Es besteht keinerlei Anhalt dafür, daß der Gesetzgeber die Rügemöglichkeit bei der hier gegebenen Fallgestaltung mit der erneuten Bekanntmachung des Plans erneut eröffnen wollte. Das widerspräche dem Ziel und der Systematik des §
215 Abs. 3 BauGB, der - wie noch auszuführen ist - bei der Behebung von nach dem Satzungsbeschluß unterlaufenen Verfahrensfehlern nicht eine neue, die getroffene Abwägung bestätigende Abwägungsentscheidung voraussetzt.
3. Dagegen greift die Divergenzrüge durch.
a) Das Normenkontrollgericht hat seine Vorlagepflicht verletzt. Es ist im Sinne des §
47 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VwGO a.F. von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen. Es hat den Bebauungsplan, der den Gegenstand des anhängigen Normenkontrollverfahrens bildet, mit der Begründung für nichtig erklärt, die Antragsgegnerin habe den Plan nicht ohne eine erneute Abwägungsentscheidung in Kraft setzen dürfen, da sich die tatsächlichen Verhältnisse in abwägungserheblicher Weise geändert hätten. Diese Auffassung steht in Widerspruch zum Senatsbeschluß vom 18.12.1995 - BVerwG
4 NB 30.95 - (Buchholz 406.11 §
215 BauGB Nr. 6). Zu Unrecht beruft das Normenkontrollgericht sich demgegenüber für seinen Rechtsstandpunkt auf die Senatsentscheidung vom 03.07.1995 - BVerwG
4 NB 11.95 - (Buchholz 406.11 §
215 BauGB Nr. 4). Bereits diesem Beschluß läßt sich entnehmen, daß eine neue Abwägungsentscheidung nicht bei jeglicher Veränderung abwägungserheblicher Belange erforderlich ist. Der Senat hat darauf hingewiesen, daß es zwar im Interesse der Gemeinde liegt, im Rahmen des Fehlerkorrekturverfahrens des §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB auf einer ersten Stufe zu prüfen, ob eine Änderung der Sach- und Rechtslage die ursprüngliche Abwägung so grundlegend berühren kann, daß eine neue Sachentscheidung geboten ist, und, je nachdem, wie diese Prüfung ausfällt, auf einer zweiten Stufe in eine erneute Abwägung einzutreten. Der Senat hat im Beschluß vom 18.12.1995 - BVerwG
4 NB 30.95 - (a.a.O.) aber ausdrücklich klargestellt, daß eine Gemeinde, die nicht so vorgeht, sich nicht schon aus diesem Grunde ein Versäumnis vorhalten lassen muß, das geeignet ist, die Gültigkeit eines auf der Grundlage des §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB in Kraft gesetzten Bebauungsplans in Frage zu stellen.
b) An dieser Rechtsauffassung ist festzuhalten.
aa) §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB ermöglicht es, näher bezeichnete Mängel zu beheben. Der Anwendungsbereich dieser Bestimmung ist von vornherein beschränkt auf Fehler, die sich aus der Verletzung der in §
214 Abs. 1 BauGB genannten Vorschriften ergeben, sowie auf sonstige Verfahrens- oder Formfehler nach Landesrecht. Daraus folgt daß Abwägungsmängel nicht auf der Grundlage des §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB geheilt werden können. Dies gilt sowohl für Mängel, die dem Abwägungsergebnis anhaften, als auch für Mängel, die den Abwägungsvorgang betreffen, vorausgesetzt freilich, daß diese Mängel im Sinne des §
214 Abs. 3 Satz 2 BauGB erheblich sind. Wie durch §
214 Abs. 3 Satz 1 BauGB klargestellt wird, ist insoweit die Sach- und Rechtslage zur Zeit der Beschlußfassung über den Bauleitplan maßgebend. Leidet die Abwägung in diesem Zeitpunkt an einem rechtserheblichen Mangel, so ist für eine Behebung auf der Grundlage des §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB kein Raum.
Will die Gemeinde einen Bebauungsplan, dem einer der in §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB aufgeführten Fehler anhaftet, in Kraft setzen, so knüpft der Bundesgesetzgeber die Fehlerbereinigung ausschließlich an die Voraussetzung, daß der Fehler behoben und das nachfolgende Verfahren wiederholt wird. Nach dieser Konzeption bedarf es unter verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten einer erneuten Beschlußfassung nur dann, wenn die Gemeinde gerade auf dieser oder einer vorangegangenen Verfahrensstufe einen rechtserheblichen Verfahrens- oder Formfehler begangen hat. Kommt der Fehler, wie dies für Ausfertigungs- oder Bekanntmachungsmängel zutrifft, bei einem Verfahrensschritt zum Tragen, der der Beschlußfassung nachfolgt, so läßt sich aus den Verfahrensvorkehrungen, die §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB für den Fall der Fehlerbehebung trifft, nicht das Erfordernis ableiten, den Satzungsbeschluß zu wiederholen. Eine verfahrensrechtliche Verpflichtung, eine Entscheidung des Gemeinderats herbeizuführen, kann sich freilich aus dem Landesrecht ergeben. Nach diesem Recht richtet sich nicht nur, welches Organ die nach §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB noch erforderlichen Verfahrenshandlungen vorzunehmen hat, sondern auch, ob das danach zuständige Organ, bevor es tätig wird, gegebenenfalls die Entscheidung eines anderen Organs einzuholen hat.
§
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB regelt allein die verfahrensrechtliche Seite der Beseitigung der Folgen, die die Verletzung bestimmter Verfahrens- und Formvorschriften nach sich zieht. Verfährt die Gemeinde nach §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB, so führt sie kein rechtlich eigenständiges Verfahren durch. Vielmehr setzt sie das von ihr ursprünglich eingeleitete, nur scheinbar abgeschlossene Bauleitplanverfahren an der Stelle fort, an der ihr der Fehler unterlaufen ist. Maßgebend sind die allgemeinen Vorschriften, die sie auch sonst bei der Aufstellung, Änderung oder Ergänzung eines Bauleitplans zu beachten hat. Dazu gehört grundsätzlich auch §
1 Abs. 6 BauGB, wonach sie die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen hat. Diese Bestimmung kann aber nicht isoliert betrachtet werden. Sie wird ergänzt durch §
214 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Daß der Gesetzgeber dieser Vorschrift einen Standort im Rahmen der Normierung der Wirksamkeitsvoraussetzungen zugewiesen hat, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß zwischen beiden Regelungen ein unmittelbarer systematischer Zusammenhang besteht. Aus §
214 Abs. 3 Satz 1 BauGB wird sichtbar, daß das Abwägungsgebot auch eine zeitliche Dimension hat. §
214 Abs. 3 Satz 1 BauGB bildet eine eindeutige zeitliche Zäsur. Die Pflicht, das Abwägungsprogramm an dem jeweils aktuellen Stand der Entwicklung auszurichten, endet nach dieser Bestimmung mit der Beschlußfassung über den Bauleitplan. §
215 BauGB baut seinerseits inhaltlich auf §
214 BauGB auf. Er knüpft an die in dieser Vorschrift getroffenen Regelungen unter Einschluß des Abs. 3 Satz 1 an und macht in einem letzten Normierungsschritt den Weg für eine Fehlerbehebung frei. Daß der Gesetzgeber die Frage der Abwägungsbeachtlichkeit von Änderungen der Sach- oder Rechtslage in der Zeit vor und nach der Beschlußfassung unterschiedlich behandelt, entbehrt nicht der sachlichen Rechtfertigung.
§
214 Abs. 3 Satz 1 BauGB dient der Planungssicherheit. Wäre die Gemeinde ohne zeitliche Grenze verpflichtet, jede Änderung der Sach- oder Rechtslage, die sich auf die Abwägung auswirken kann, zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Normsetzung zu berücksichtigen, so liefe sie Gefahr, daß sich der Abschluß ihrer Planung auf unabsehbare Zeit verzögert.
Das Risiko, daß die Verhältnisse im Zeitpunkt der Beschlußfassung und des Inkrafttretens auseinanderklaffen, ist jedenfalls dann gering, wenn die öffentliche Bekanntmachung als Schlußpunkt eines fehlerfreien Satzungsverfahrens dem Satzungsbeschluß innerhalb eines überschaubaren Zeitraums nachfolgt. An dem Merkmal eines engeren zeitlichen Zusammenhanges fehlt es indes vielfach, wenn die Gemeinde die gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrenshandlungen zwar mehr oder weniger zeitnah ausgeführt hat, der Bauleitplan aber nicht in Kraft getreten ist, weil sich im nachhinein herausstellt, daß ihm ein Fehler anhaftet, der zur Nichtigkeit führt. Diese Erkenntnis hat den Gesetzgeber gleichwohl nicht bewogen, die Geltung des §
214 Abs. 3 BauGB im Anwendungsbereich des §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB einzuschränken. Maßgebend dafür, die Bauleitplanung nach dem Satzungsbeschluß grundsätzlich von der weiteren Entwicklung der Sach- und Rechtslage abzukoppeln, waren Rechtssicherheitserwägungen und Vertrauensschutzgesichtspunkte (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.02.1985 - BVerwG 4 C 22 und 23.81 - Buchholz 406.11 § 183 BBauG Nr. 2 und vom 05.12.1986 - BVerwG
4 C 31.85 -
BVerwGE 75, 262; Beschluß vom 18.08.1982 - BVerwG 4 N 1.81 - BVerwGE 66, 116). Einen eindeutigen Bezugspunkt zu bestimmen, liegt nicht nur im Interesse der Gemeinde, die Klarheit darüber haben muß, wie lange sie die Problemlage, die sie mit ihrer Planung bewältigen möchte, als offen betrachten muß, sondern in mindestens dem gleichen Maße auch im Interesse der Planbetroffenen, für die der Plan die Grundlage für Dispositionen bildet. Das Vertrauen, das sie in den Bestand der auf bestimmte Tatsachen und Rechtsverhältnisse gegründeten Planungsentscheidung setzen, verliert nicht an Gewicht, je länger der Rechtsschein der Gültigkeit währt. Tendenziell verfestigt es sich eher. Je mehr Zeit vergeht, desto weniger drängt es sich als naheliegende Möglichkeit auf, daß die bis dahin nicht in Zweifel gezogenen rechtlichen Grundlagen der Planung noch nachträglich in Frage gestellt werden. Diesem Umstand trägt der Gesetzgeber Rechnung, wenn er auch bei nichtigen Plänen, denen behebbare Fehler anhaften, im Rahmen des §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB keine Ausnahme von dem in §
214 Abs. 3 Satz 1 BauGB formulierten Grundsatz vorsieht, daß für die Abwägung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlußfassung maßgebend ist. Das läuft nicht auf einen verabsolutierten Vertrauensschutz hinaus. Erkennt die Gemeinde nachträglich die Nichtigkeit einer von ihr beschlossenen Satzung, so eröffnet ihr §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB eine Fehlerbehebungsmöglichkeit, von der sie Gebrauch machen kann, aber nicht Gebrauch machen muß. Ihr ist es selbstverständlich unbenommen, Änderungen der Sach- oder Rechtslage, die seit der Beschlußfassung eingetreten sind, zum Anlaß für eine Neuplanung oder eine förmliche Planaufhebung zu nehmen, durch die der von ihr erzeugte Rechtsschein beseitigt wird. Die Möglichkeit, ein neues Bauleitplanverfahren einzuleiten, läßt indes §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB unberührt. Es handelt sich um zwei voneinander unabhängige Verfahrenswege. §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB hindert die Gemeinde in keiner Weise, bei einer Änderung der Sach- oder Rechtslage von einer steckengebliebenen Planung abzurücken, läßt ihr aber, wenn sie so nicht vorgehen, sondern an der von ihr eingeleiteten Planung festhalten will, die Alternative offen, das lediglich wegen eines Verfahrensfehls nicht abgeschlossene Verfahren zu Ende zu führen. Angesichts dieser Doppelspurigkeit besteht keine Notwendigkeit, §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB um zusätzliche Tatbestandsmerkmale anzureichern.
bb) Das bedeutet nicht, daß ein Bauleitplan, der nach Behebung eines Verfahrens- oder Formfehlers unter Beachtung der Anforderungen des §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB zustande gekommen ist, sich nicht gleichwohl als nichtig erweisen kann. Das Verfahren, das der Gesetzgeber der Gemeinde in §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB zur Verfügung stellt, ist in zwei Fällen nicht geeignet, einen gültigen Plan hervorzubringen:
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, daß ein Bebauungsplan wegen Funktionslosigkeit außer Kraft tritt, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die er sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzungen auf unabsehbare Zeit ausschließt, und die Erkennbarkeit dieser Tatsache einen Grad erreicht hat, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzungen gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt (vgl. BVerwG, Urteile vom 29.04.1977 - BVerwG
4 C 39.75 - BVerwGE 54, 5, vom 17.06.1993 - BVerwG
4 C 7.91 - Buchholz 406.11 §
10 BauGB Nr. 30 und vom 18.05.1995 - BVerwG
4 C 20.94 -
BVerwGE 98, 235). Aus dieser Rechtsprechung ergeben sich auch Folgerungen für die Anwendung des §
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Diese Vorschrift schafft zwar die Möglichkeit, Verfahrens- oder Formfehler zu beheben, schweigt aber dazu, welchen inhaltlichen Anforderungen der Plan im Zeitpunkt der Inkraftsetzung genügen muß. Verändern sich die tatsächlichen Verhältnisse im Plangebiet nach der Beschlußfassung in der vom Senat insbesondere im Urteil vom 29.04.1977 beschriebenen Weise, so können die Rechtsfolgen, die sich daraus letztlich ergeben, nicht unterschiedlich sein, je nachdem, ob die Änderung vor oder nach der Inkraftssetzung vonstatten gegangen ist. Tritt Recht, das einen funktionslosen Inhalt hat, ohne daß es hierzu eines förmlichen Aktes bedarf, außer Kraft, wenn sich der Mangel der Funktionslosigkeit nachträglich einstellt, so kann die Konsequenz nur lauten, daß Recht, das über die Entstehungsphase noch nicht hinausgelangt ist und schon in diesem Stadium erkennen läßt, daß es die ihm zugedachte Ordnungsfunktion schlechterdings nicht wird erfüllen können, nicht in Kraft treten kann. Denn auch wenn die Gemeinde es unter Beachtung aller Förmlichkeiten in Kraft setzen wollte, könnte sie nicht verhindern, daß es sogleich wieder außer Kraft träte.
Von einer Funktionslosigkeit kann freilich nur dann die Rede sein, wenn sich die Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse im Plangebiet soweit verselbständigt hat, daß von den planerischen Festsetzungen, die Gegenstand der gemeindlichen Beschlußfassung waren, keine steuernde Wirkung mehr ausgehen kann. Dagegen läßt sich diese Rechtsfigur dann nicht nutzbar machen, wenn im Plangebiet zwar plankonforme Zustände herrschen, nach der Beschlußfassung aber insofern eine neue Situation eingetreten ist, als sich die rechtlichen Rahmenbedingungen grundlegend verändert oder sich in der Nachbarschaft die tatsächlichen Gegebenheiten so nachhaltig gewandelt haben, daß die ursprünglichen Planungsgrundlagen nicht mehr tragfähig oder zumindest erschüttert erscheinen.
In Fällen dieser Art ist ausweislich des Senatsbeschlusses vom 18.12.1995 - BVerwG
4 NB 30.95 - (a.a.O.) darauf abzustellen, ob das im Zeitpunkt der Beschlußfassung unbedenkliche Abwägungsergebnis auch im Zeitpunkt der Inkraftsetzung noch haltbar ist. Dem steht §
214 Abs. 3 Satz 1 BauGB nur scheinbar entgegen. Wie der Senat im Urteil vom 29.09.1978 - BVerwG 4 C 30.76 - (BVerwGE 56, 283) im einzelnen dargelegt hat, kann beim Abwägungsergebnis anders als beim Abwägungsvorgang als zeitlicher Bezugspunkt nicht allein die Beschlußfassung dienen. Ist zu prüfen, ob ein Plan vom Abwägungsergebnis her den Anforderungen des Abwägungsgebots entspricht, so spielt vielmehr auch der Zeitpunkt des Inkraftsetzens eine Rolle. Mängel des Abwägungsergebnisses schlagen unmittelbar auf den Norminhalt durch. Ein Plan, der an einem solchen Fehler leidet, kann ebensowenig in Kraft treten wie ein Plan mit einem unvollziehbaren oder unsinnigen Inhalt oder einer der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung fremden Zielsetzung. Nicht jede Verfehlung des mit dem Abwägungsgebot verfolgten Zwecks, einen angemessenen Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen herbeizuführen, stellt das Abwägungsergebnis in Frage. Die Schranken, die der planerischen Gestaltungsfreiheit gezogen sind, sind vielmehr erst dann überschritten, wenn die Gemeinde einen Ausgleich trifft, der außer Verhältnis zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange steht. Das Verbot der Disproportionalität stellt sich als unmittelbare Ausprägung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Eine Gemeinde, die ihm zuwiderhandelt, bedient sich eines untauglichen planerischen Mittels, da sie sich außerhalb der äußersten Grenzen stellt, die ihr durch höherrangiges Recht gezogen sind.
Die Ausführungen im Urteil vom 29.09.1978 bezogen sich zwar auf einen Bebauungsplan, der erst längere Zeit nach dem Satzungsbeschluß erstmals in Kraft gesetzt worden war. Die Grundaussagen zum maßgeblichen zeitlichen Anknüpfungspunkt lassen sich aber auf die Fälle der erneuten Bekanntmachung nach vorangegangener Fehlerbehebung ohne weiteres übertragen (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 10.09.1976 - BVerwG
4 C 5.76 -
NJW 1977, 405, wonach Bebauungspläne im Zuge von Maßnahmen der kommunalen Neuordnung außer Kraft treten, wenn ihre Festsetzungen "unter den veränderten Umständen einfach nicht mehr brauchbar oder als Folge einer im Ergebnis nunmehr schlechterdings nicht mehr vertretbaren Abwägung der betroffenen Belange nicht mehr vertretbar" sind).
Das Senatsurteil vom 29.09.1978 ist nicht durch die neuere Rechtsentwicklung überholt. §
214 Abs. 3 Satz 1 BauGB steht nicht der Annahme entgegen, daß es sich - jedenfalls auch - nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Inkraftsetzens beurteilt, ob ein Plan wegen eines unhaltbaren Abwägungsergebnisses an einem Inhaltsmangel leidet. Diese Vorschrift ist an die Stelle des § 155 b Abs. 2 Satz 1 BBauG 1979 getreten, der mit ihr wörtlich übereinstimmte. Der Gesetzgeber hat bei der Novellierung des Bundesbaugesetzes im Jahre 1979 das kurz zuvor ergangene Senatsurteil vom 29.09.1978 nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern ausdrücklich gebilligt und bei seiner Regelung berücksichtigt. Wie aus den Materialien zu ersehen ist, war es nicht seine Absicht, dieser Rechtsprechung mit § 155 b Abs. 2 Satz 1 BBauG die Grundlage zu entziehen. Er sah keine Notwendigkeit zu einem klarstellenden Hinweis, da er trotz des von ihm gewählten Wortlauts, der auf einen starren zeitlichen Bezugspunkt hindeuten mag, als selbstverständlich davon ausging, daß "die Rechtsprechung, die in seltenen Ausnahmefällen auf den Zeitpunkt des Inkraftsetzens des Bebauungsplans abhebt, ... unberührt bleiben" sollte (vgl. den Ausschußbericht vom 21.05.1979, BTDrucks 8/2885, S. 46). Der Gesetzgeber war, wie aus der Begründung erhellt, bei der Schaffung des § 155 b Abs. 2 Satz 1 BBauG lediglich darauf bedacht zu vermeiden, "daß bei der Überprüfung von Bauleitplänen nachträgliche Änderungen der städtebaulichen Verhältnisse oder von Rechtsvorschriften zugrunde gelegt werden, die die Gemeinde bei der Beschlußfassung über den Bauleitplan noch nicht zu berücksichtigen hatte". Änderungen, die das Abwägungsergebnis nachträglich als unausgewogen im Sinne eines Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erscheinen lassen, gehören indes zu den Umständen, die zu berücksichtigen oder nicht zu berücksichtigen der Gemeinde nicht freisteht.
c) Das Normenkontrollgericht hat den angegriffenen Bebauungsplan für nichtig erklärt, ohne ihn daraufhin überprüft zu haben, ob er an einem inhaltlichen Mangel der beschriebenen Art leidet. Es hat sich mit der Feststellung begnügt, daß sich die tatsächlichen Verhältnisse in abwägungsrelevanter Weise verändert haben. Das reicht nicht aus. Die Sache ist zurückzuverweisen, damit das Normenkontrollgericht die Prüfung nachholt, ob das Abwägungsergebnis trotz der inzwischen eingetretenen Ereignisse noch haltbar ist und der Plan eine städtebauliche Gestaltungsfunktion noch zu erfüllen vermag.