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Antragsrecht berufsmäßiger Gemeinderatsmitglieder

BayVGH, Urteil vom 16.07.1980 - Az.: 4 B 616/79

Leitsätze:

Den berufsmäßigen Gemeinderatsmitgliedern steht nach bayerischem Kommunalrecht ein eigenes, weisungsunabhängiges und durch die Geschäftsordnung des Gemeinderats nicht abdingbares Antragsrecht zu. (amtlicher Leitsatz)

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Volltext

Gründe

(...)

Gegenstand der Verwaltungsstreitsache im Berufungsverfahren ist die Anweisung vom 14. Juli 1978 an den Kläger, ein berufsmäßiges Gemeinderatsmitglied, in der Beschlussvorlage in Sachen "Ausländerarbeit" einen bestimmten, vom Vorschlag des Klägers abweichenden Antrag im Auftrag des Oberbürgermeisters zu stellen und das hierin konkludent enthaltene Verbot, einen eigenen Antrag einzubringen. In diesem Sinne ist der in der mündlichen Verhandlung des Senats gestellte Hauptantrag auszulegen.

Es handelt sich um eine kommunalverfassungsrechtliche Streitigkeit (vgl. dazu Urteile des Senats vom 8. Mai 1968, VGH n.F. 21, 74, vom 31. Juli 1974, BayVBl 1976, 753 und vom 28. Mai 1980 Nr. 4. B - 1329/79). Für derartige Streitigkeiten ist es anerkannt, dass sie im Wege der allgemeinen Leistungsklage verfolgt werden können. Eines vorgängigen Widerspruchsverfahrens bedurfte es somit nicht.

Nachdem der Kläger der genannten Anweisung gefolgt ist und sich die Anordnung deshalb zwischenzeitlich erledigt hat, kann das Gericht die Anweisung nicht mehr aufheben, sondern nur ihre Rechtswidrigkeit durch Urteil feststellen, sofern der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO). Ein solches Interesse ist anzuerkennen, da sich Meinungsverschiedenheiten über die Antragsbefugnis des Klägers, die in § 40 der Geschäftsordnung der Beklagten (GeschO) vom 3. Mai 1978 i.d.F. des Beschlusses vom 23. April 1980 (GeschO n.F.) begründet sind, seither wiederholt haben und auch in Zukunft nicht ausgeschlossen werden können.

(...)

Die Berufung ist auch begründet. Der Senat ist der Ansicht, dass dem Kläger das von ihm geltend gemachte eigene, weisungsunabhängige Antragsrecht zusteht.

Die streitgegenständliche Anweisung der Beklagten vom 14. Juli 1978 an den Kläger, welche ihm eine vom Antrag des Oberbürgermeisters abweichende Antragstellung untersagte, verstößt gegen Art. 40 der Gemeindeordnung (GO) i.d.F. vom 31. Mai 1978 (GVBl S. 353), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. August 1979 (GVBl S. 223), und ist deshalb rechtswidrig. Die Anweisung steht zwar im Einklang mit § 40 Abs. 2 Satz 4 GeschO n.F.; diese Vorschrift verstößt jedoch ihrerseits gegen die Gemeindeordnung insofern, als die berufsmäßigen Stadtratsmitglieder - nur - im Auftrag des Oberbürgermeisters Anträge stellen dürfen und ist insoweit ungültig. Denn das Gesetz gibt den berufsmäßigen Gemeinderatsmitgliedern in Angelegenheiten ihres Aufgabengebietes ein eigenes, weisungsungebundenes Antragsrecht, das durch die Geschäftsordnung nicht abdingbar ist. Der Senat schließt sich mit dieser Entscheidung der einhelligen Ansicht in der Literatur an (vgl. Widtmann, GO, 4. Aufl., Art. 40 Anm. 1; Hölzl, GO, Stand: Dezember 1978, Art. 40 Anm. 2; Masson/Samper, GO, Stand: Juli 1978, Art. 40 Anm. 7; Ruscher, "Die rechtliche Stellung der berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieder nach der Bayer. Gemeindeordnung 1952", Diss. Erlangen, 1956, S. 60, Borchmann, "Die Referenten in der Bayer. Verwaltung, DÖV 1977 125/127), die - soweit ersichtlich - der langjährigen Praxis sämtlicher bayerischer Gemeinden, welche berufsmäßige Gemeinderatsmitglieder besitzen, darunter auch der Praxis der Beklagten bis zum Jahre 1978 entspricht.

1. Das Antragsrecht der berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieder ist - ebenso wie das der ehrenamtlichen - allerdings in der Gmeindeordnung nicht ausdrücklich angesprochen. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass die Gemeindeordnung selbst keine Regelung enthält, sondern diese etwa der Geschäftsordnungsautonomie des Gemeinderats überlässt. Gegen diese Ansicht spricht, dass die Gemeindeordnung die Mitgliedschaftsrechte - im Unterschied zum Geschäftsgang - grundsätzlich abschließend geregelt hat und für die Geschäftsordnungsautonomie ein Regelungsspielraum im Bereich der Mitgliedschaftsrechte nur besteht, soweit ihn die Gemeindeordnung ausdrücklich eingeräumt hat (vgl. Art. 33 Abs. 1, Art. 37 Abs. 2, Art. 32 Abs. 3 GO). Dies hat der Senat in seinem Urteil vom 16. Februar 1960 (BayVBl 1960 S. 192) bereits grundsätzlich ausgesprochen. Dem Gemeinderat steht gemäß Art. 40 und Art 41 Abs. 1 GO die Entscheidung darüber zu, ob berufsmäßige Gemeinderatsmitglieder überhaupt gewählt werden sollen, sowie die Entscheidung über ihre Amtsdauer und ihr Aufgabengebiet. Ihre im einzelnen noch darzulegende Doppelstellung als kommunale Wahlbeamte und als Mitglieder des Gemeinderats dagegen ist den Gemeinden nicht zur Eigenregelung übertragen. Sie ist ihnen vielmehr als eine Rechtsfigur vorgegeben, von der die Gemeinden Gebrauch machen, die sie aber nicht abändern können.

In diesem Zusammenhang ist auch hervorzuheben, dass das Anwesenheitsrecht, das Rederecht und der Stimmrechtsausschluss der berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieder in der Gemeindeordnung grundsätzlich festgelegt sind und nicht durch die Geschäftsordnung abdingbar sind. Es wäre nicht einzusehen, warum für das damit in unmittelbarem Sachzusammenhang stehende Antragsrecht etwas anderes gelten sollte. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass auch das Antragsrecht in der Gemeindeordnung unabdingbar geregelt ist.

2. Diese Regelung findet sich in Unterabschnitt c "die berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieder" des 1. Abschnitts des Zweiten Teils der Gemeindeordnung "Gemeindeorgane und ihre Hilfskräfte". Den berufsmäßigen Gemeinderatsmitgliedern räumt Art. 40 GO in Angelegenheiten ihres eigenen Aufgabengebiets "beratende Stimme" ein. Dass hierin ein weisungsunabhängiges, eigenständiges Antragsrecht umschlossen ist, kann allerdings nicht in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise aus dem Wortlaut des Gesetzes entnommen werden.

Einerseits spricht gegen ein Antragsrecht das Wort "beratend"; denn eine Beratung des Gemeinderats ist auch in der Weise möglich, dass das berufsmäßige Gemeinderatsmitglied das Recht zur Anwesenheit und zum Vortrag seiner Auffassung besitzt, wobei es auch den Vorschlag für eine Beschlussformel unterbreiten könnte, ohne jedoch einen förmlichen Antrag zu stellen. Gegen das Antragsrecht spricht weiter, dass nicht schon der Vortrag, sondern nur der förmliche Antrag das formelle Abstimmungsverfahren in Gang setzt und deshalb der Antrag mehr der Abstimmung als der Beratung zugeordnet werden könnte. Schließlich lässt sich für diese Auslegung nicht die Vorschrift des Art. 78 Abs. 2 Satz 1 GO anführen, wonach "der Ortssprecher ... an allen Sitzungen des Gemeinderates mit beratender Stimme teilnehmen und Anträge stellen kann", sowie die Bestimmung des Art. 60 Abs. 4 GO, welche den Bezirksausschüssen das Recht gibt, Anträge an den Stadtrat zu stellen. In beiden Vorschriften ist das Antragsrecht (in Art. 78 neben der "beratenden Stimme") besonders erwähnt, so dass daraus der Schluss gezogen werden könnte, dass die Gemeindeordnung das Antragsrecht grundsätzlich nur gewähre, wenn sie es ausdrücklich festlegt.

Andererseits lässt sich für das Antragsrecht anführen, dass Art. 40 Satz 2 GO das Wort "beratend" nicht für sich allein, sondern nur im Zusammenhang mit "Stimme" verwendet. Der allgemeine Sprachgebrauch kennt das Gegensatzpaar "beratende Stimme" und "beschließende Stimme". Mit letzterem Begriff ist in der Regel das Abstimmen und das Entscheiden gemeint, während mit "beratender Stimme" die Gesamtheit der vorangegangenen Mitwirkung im Kollegium bezeichnet wird, darunter auch das Stellen von Anträgen. In diesem Sinne verwendet z.B. Art. 2 des Gesetzes zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes i.d.F. vom 13. Oktober 1976 (GVBl S. 455) und § 11 der GeschO n.F. die Begriffe "beratende Mitglieder" und "beschließende Mitglieder", wobei nach Nr. 2.4 der Bekanntmachung zum Vollzug des Gesetzes zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes vom 17. Mai 1977 (MABl S. 497) und der Praxis der beklagten die beratenden Mitglieder Anträge stellen können.

Angesichts dieses allgemeinen Sprachgebrauchs ist es durchaus denkbar, der ausdrücklichen Aufnahme des Antragsrechts durch das Erste Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung vom 27. Juli 1971 (GVBl S. 247) in Art. 78 Abs. 2 Satz 1 GO lediglich klarstellende Bedeutung beizumessen. Demgemäß ist es nicht ausgeschlossen, dass in Art. 40 Satz 2 GO dieses Recht auch ohne Erwähnung enthalten ist.

3. Dass dem so ist, folgt für den Senat eindeutig aus der Entstehungsgeschichte:

Bei der Neuordnung des bayerischen Gemeinderechts in den Jahren 1951/1952 stand der Gesetzgeber vor der Frage, ob die aus der Zeit von 1919 bis 1935 und von 1945 bis 1948 bekannte Institution des berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieds mit vollem Stimmrecht in Angelegenheiten des eigenen Geschäftsbereichs in die neue Gemeindeordnung wieder aufgenommen werden sollte oder nicht. Bedenken bestanden im Hinblick auf den Grundsatz der unmittelbaren Wahl und eine Verfälschung des Wählerwillens sowie eine Zurückdrängung des Einflusses des ehrenamtlichen Elements in der Gemeindeverwaltung. Der Gesetzgeber entschloss sich zu einem Kompromiss: Die Zuwahl hauptamtlicher Gemeinderatsmitglieder wurde zugelassen; ihnen wurde jedoch nur beratende Stimme eingeräumt. Was mit "beratender Stimme" gemeint ist, ergibt sich aus der Begründung zu Art. 41 des Regierungsentwurfs vom 2. August 1951 (Bayerischer Landtag, 2. L.P., Beilage 1140), der in dem hier einschlägigen Teil nach langen wechselvollen Beratungen als Gesetz beschlossen wurde: "Art. 41 lässt zwar in Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern eine Zuwahl hauptamtlicher Gemeinderatsmitglieder zu, gibt ihnen aber nur beratende Stimme (Abs. 1). Er versagt ihnen also die Teilnahme an der Abstimmung, bei der nur die vom Volk gewählten ehrenamtlichen Gemeinderatsmitglieder mitwirken". Mit dieser Einschränkung entschloss sich der Gesetzgeber zu der Wiederherstellung der Institution des berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieds, wie sie sich herkömmlich darstellte und auch herkömmlich das Antragsrecht umschloss.

Die Institution des berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieds war ab 1919 ein fester und in der Praxis bedeutsamer Bestandteil des bayerischen Gemeindeverfassungsrechts gewesen. Sie lässt sich auf die Magistratsverfassung des Bayerischen Gemeindeedikts vom 15. Mai 1818 (GVBl S. 49; vgl. Borchmann a.a.O und v. Kahr, Bayer. Gemeindeordnung, Band I 1896, Einl. S. 14 f) und die Bayer. Gemeindeordnung für die landesteile diesseits des Rheins vom 29. April 1869 (GVBl S. 865; vgl Art. 70 bis 107) zurückverfolgen. In letzerer spielten die rechtskundigen und technischen Magistratsräte eine gewichtige Rolle (Art. 71 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 GO vom 29. April 1869). Die rechtskundigen Magistratsräte bildeten zusammen mit dem ersten Bürgermeister und den bürgerlichen (gewählten) Magistratsräten gleichberechtigt den Magistrat und hatten unbeschränktes Stimmrecht.

Ein Stimmrecht, das auf die Gegenstände ihres Wirkungskreises beschränkt war, besaßen die Magistratsräte für Bauwesen, Schulangelegenheiten, Forstwirtschaft, Gesundheitspflege und Medizinalpolizei. Der Magistrat verwaltete unter Vorbehalt der dem anderen maßgeblichen Gemeindeorgan, den Gemeindebevollmächtigten, zukommenden Befugnisse, die Gemeindeangelegenheiten (Art. 84 GO vom 29. April 1869). Beim Übergang zur Ratsverfassung durch das Gesetz über die Selbstverwaltung (Selbstverwaltungsgesetz) vom 22. Mai 1919 (GVBl S. 239), in der es nur noch ein Kollegialorgan, den Gemeinderat, gab, wurde die Frage der Weiterverwendung der rechtskundigen und technischen Magistratsräte in der Weise gelöst, dass diese "im Falle des Bedürfnisses" als "berufsmäßige Stadt- oder Gemeinderäte mit oder ohne fachmännische Vorbildung" von den Stadt- oder Gemeinderäten zugewählt werden konnten (Art. 6 und 7 Selbstverwaltungsgesetz). Sie besaßen Stimmrecht nur in Angelegenheiten ihrer Geschäftsaufgaben. Die der Regierung unmittelbar unterstellten Städte waren verpflichtet, mindestens ein rechtskundiges, berufsmäßiges Stadtratsmitglied anzustellen. Mit Ausnahme der vorstehenden Verpflichtung für die genannten Städte behielt Art. 14 Abs. 4 Satz 2 GO vom 17. Oktober 1927 (GVBl S. 293) die Regelung über die berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieder einschließlich des Stimmrechts in Angelegenheiten der eigenen Geschäftsaufgaben bei. Hinsichtlich der Gegenstände fremder Geschäftsaufgaben war das Stimmrecht gesetzlich versagt, das Rederecht dagegen allgemein anerkannt (s. Helmreich/Rock, Bayer. Gemeindeordnung, 8. Aufl., Art. 13 Anm. 18, Laforet/v. Jan/Schattenfroh, Bayer. Gemeindeordnung, Bd. 1, 1931, Art. 13 Anm. 11 a und Woerner, Bayer. Gemeindeordnung, 1931, Art. 13 Anm 19). Das Antragsrecht in Gegenständen fremder Geschäftsaufgaben wurde von der herrschenden Meinung bejaht (vgl. Helmreich/Rock a.a.O. Art 13 Nr. 18; Mayer, "Die Rechtsstellung der berufsmäßigen Mitglieder des Gemeinderats nach der neuen Gemeindeordnung", BayVBl 1928, S. 65/71; a.A. Laforet/v. Jan/Schattenfroh, a.a.O.).

Nach der Deutschen Gemeindeordnung (DGO) vom 30. Januar 1935 (RGBl I S. 49) besaßen die hauptamtlichen Beigeordneten das Recht an den Beratungen des Bürgermeisters mit den Gemeinderäten teilzunehmen (Art. 56 Abs. 3), unterlagen nach der Grundnorm des Art. 32 DGO jedoch im vollen Umfang dessen Weisungen. Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft erklärte Art. III NR. 1 des Gesetzes der Militärregierung Deutschland, Kontrollgebiet des Obersten Befehlshabers, das in Art. 32 DGO enthaltene Führerprinzip für unanwendbar. Damit entstand die Frage, ob in dieser Regelungslücke die Gemeindeordnung 1927 wieder auflebte und mit ihr das Institut des berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieds. Die Praxis ist in dieser Weise verfahren (vgl. Hölzl "Das Gemeinderecht im Übergang", Der bayer. Bürgermeister, 1948, S. 261).

Auch die Gemeindeordnung vom 18. Dezember 1945 (GVBl 1946 S. 225) hat diese Rechtsunsicherheit nicht beseitigt, da sie sich zu dieser Frage nicht eindeutig äußerte (vgl. einerseits Art. 3 und andererseits Art. 28 Abs. 4). Art 38 des Gemeindewahlgesetzes vom 27. Februar 1948 (GVBl S. 19) schaffte dann Rechtsklarheit mit der Bestimmung: "Die Wahl oder Bestellung berufsmäßiger Gemeinderatsmitglieder ist nicht mehr zulässig".

Der Gesetzgeber der Gemeindeordnung vom 25. Januar 1952, welcher im Abschnitt "Gemeindeorgane und ihre Hilfskräfte" einen Unterabschnitt "Die berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieder" schuf, ohne ihre Rechtsstellung im einzelnen zu umschreiben, kann nur so verstanden werden, dass er auf den geschichtlich überkommenen Begriff des berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieds nach bayerischem Kommunalrecht zurückgegriffen hat. Dieser Begriff beinhaltet wie dargelegt insbesondere das Recht, Anträge zu stellen.

Dass die Entstehungsgeschichte allseits ebenso gewertet wurde, zeigt die Literatur jener Zeit (vgl. Gebhard "Die Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern" vom 25. Januar 1952 in Festschrift für Laforet, 1952, S. 377/390: "diese nehmen ... beratend teil, haben also kein Stimmrecht bei der Beschlußfassung") und die unmittelbar anschließende und 25 Jahre ununterbrochene Praxis der bayerischen Gemeinden. Auch §§ 37 und 38 GeschO vom 5. Dezember 1973 i.d.F. des Beschlusses vom 6. Juli 1977 stehen in dieser Tradition (...). Sie regeln sogar den Fall eines Antrags eines berufsmäßigen Stadtratsmitglieds, welcher von der Meinung des Oberbürgermeisters abweicht: Danach hat nicht etwa die eigene Antragstellung zu unterbleiben, sondern das berufsmäßige Stadtratsmitglied hat lediglich die Tatsache der Meinungsverschiedenheit mit dem Oberbürgermeister bekanntzugeben (...)

4. Spricht nach alledem die Entstehungsgeschichte und die allgemeine Rechtsüberzeugung entscheidend für das Antragsrecht, so lassen sich hierfür auch folgende aus der Funktion des berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieds hergeleitete Erwägungen heranziehen. In funktioneller Hinsicht ist davon auszugehen, dass den berufsmäßigen Gemeinderatsmitgliedern insofern eine Doppelstellung eingeräumt ist, als sie einerseits nur dem Gesetz unterworfene Mitglieder des Gemeinderats (wenn auch mit beschränkten Rechten, vgl. Art. 35 Abs 2 Satz 2, 2. Halbsatz KWBG) und andererseits kommunale Wahlbeamte sind, die dem Weisungsrecht des Vorgesetzten unterliegen (Art. 3 Abs. 2 und Art 35 Abs 2 Satz 2, 1. Halbsatz KWBG). Dies unterscheidet die berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieder von den Gemeindebediensteten gemäß Art. 42 ff GO. Letztere sind nicht Mitglieder im Gemeinderat und unterliegen in allen Fällen dem Weisungsrecht des ersten Bürgermeisters (vgl. Art. 46 Abs. 1 Satz 1 und Art. 37 Abs. 4 GO). Ihe Teilnehme und Redemöglichkeiten stehen zur jederzeitigen Disposition des Gemeinderats (vgl. Widtmann, a.a.O., Art. 47 Anm. 4).

Die Doppelstellung ist den berufsmäßigen Gemeinderatsmitgliedern vom Gesetzgeber eingeräumt zum Zwecke der besseren Information und Zusammenarbeit zwischen Gemeinderat und Gemeindebürokratie. Die berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieder sind nicht nur Berater des ersten Bürgermeisters, sondern des ganzen Gemeinderats. Die so verstandene Mittlerrolle können sie nur wirkungsvoll ausüben, wenn sie neben dem selbständigen Vortragsrecht auch das eigenständige Antragsrecht besitzen. Nur so ist es ihnen möglich, im Gemeinderat die notwendigen Beschlüsse zur Behebung der in der Vollzugspraxis entstandenen Schwierigkeiten herbeizuführen. Mit der Einräumung des Rechts, die Vollversammlung oder einen Ausschuśs von wichtigen Ereignissen und Verwaltungsvorgängen zu unterrichten (Bekanntgaberecht, vgl. § 52 GeschO a.F. und §§ 55 GeschO n.F.), können die berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieder die vom Gesetz zugedachte Mittlerfunktion nicht effektiv ausüben, weil das Bekanntgaberecht nicht die Möglichkeit bietet, die aus der Sicht der berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieder notwendige Abhilfe im Gemeinderat zu beantragen. Ein Abhilfevorschlag kann wirksam nur in der Form des Antrags erfolgen, weil Beschlüsse nur auf Antrag hin gefasst werden können. Es würde der vom Gesetzgeber vorgesehenen Bedeutung und Unparteilichkeit (vgl. Art. 34 Abs. 1 KWBG) des berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieds widersprechen, wenn es die Beratung nur in der Weise in Gang setzen könnte, dass es ein ehrenamtliches Mitglied zur Antragstellung gewönne. Desgleichen würde es der Stellung des Amtes im System des bayerischen Gemeindeverfassungsrechts erheblichen Abbruch tun, wenn das berufsmäßige Gemeinderatsmitglied gezwungen werden könnte, einen von seinem Vorschlag abweichenden und ihm sogar entgegengesetzten Antrag zu stellen. Nach allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen gipfelt der Sachvortrag in dem Antrag, der das Gesagte bekräftigend zusammenfasst. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Verzahnung von Vertretungsorgan und Bürokratie, von Laienelement und Fachkräften der Zweck der Art. 40 und 41 GO ist (vgl. dazu Hölzl a.a.O., Art. 31 Anm. 2 und Eckhardt, "Die Rechtsstellung des Bayer. Gemeinderats im Vergleich zur Rechtsstellung zu Gemeindevertretungen in den übrigen Bundesländern Diss. München 1969), dem nur durch eine funktionsgerechte Auslegung Rechnung getragen wird.

Die Doppelstellung des berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieds mag zu Konflikten führen, insbesondere in der Weise, dass das berufsmäßige Gemeinderatsmitglied in den Sitzungen des Gemeinderats und der Ausschüsse Auffassungen vertritt und Anträge stellt, welche von den Auffassungen und Anträgen des ihm außerhalb der Sitzungen vorgesetzten ersten Bürgermeisters abweichen. Daraus ergibt sich jedoch kein durchgreifendes Argument gegen das Antragsrecht.

Zunächst ist zu bedenken, dass der mögliche Konflikt zwischen erstem Bürgermeister und berufsmäßigem Gemeinderatsmitglied auch bei dem allseits unbestrittenen originären Rederecht des berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieds auftreten kann Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber aus dem bereits dargelegten Erwägungen diesen Konflikt in Kauf genommen hat. Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass das geltende bayerische Gemeindeverfassungsrecht - im Unterschied zum staatlichen Verfassungsrecht (für dieses vgl. Art. 55 Nr. 5 BV) - keine einheitliche Verwaltungsspitze kennt, sondern zwei nebengeordnete Organe (den Gemeinderat und den ersten Bürgermeister) mit der Verwaltung der Gemeinde betraut, wobei in der Person der ersten und der weiteren Bürgermeister sowie der berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieder personelle Verflechtungen zwischen beiden Verwaltungsorganen bestehen, so dass Konflikte allgemein nicht ausgeschlossen sind.

Sodann ist zu berücksichtigen, dass die möglichen Konfliktsituationen nicht dazu führen, dass der erste Bürgermeister bei der Wahrnehmung seiner Funktionen in unangemessener Weise beeinträchtigt wird.

Der erste Bürgermeister kann sich nämlich bei der Vorbereitung der Beratungsgegenstände (Art. 46 Abs. 2 Satz 1 GO) der berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieder bedienen (vgl. Widtmann a.a.O., Art. 46 Anm. 3). In den Sitzungen des Gemeinderats wird der Sachvortrag und Antrag dieser Fachleute ihm im Regelfall ersparen, selbst Ausführungen aus der Sicht der Verwaltung zu machen und Anträge zu stellen. Für den Fall divergierender Auffassungen hält es der Senat für zulässig, wenn der erste Bürgermeister es den berufsmäßigen Gemeinderatsmitgliedern zur Pflicht macht, in ihren Vorlagen für den Gemeinderat neben der eigenen auch seine Auffassung darzulegen. Dies folgt aus ihrer Rechtsstellung als kommunale Wahlbeamte, wobei der Kern der Rechtsstellung als berufsmäßige Gemeinderatsmitglieder nicht beeinträchtigt wird. Der erste Bürgermeister hat ferner das Recht, sich über die Vorlagen rechtzeitig zu informieren, um gegebenenfalls das berufsmäßige Gemeinderatsmitglied von einer abweichenden und - so gewünscht - auch vorzutragenden Meinung des ersten Bürgermeisters in Kenntnis zu setzen.

Das berufsmäßige Gemeinderatsmitglied hat seinerseits die Pflicht, den ersten Bürgermeister umfassend über seine Vorstellungen zu unterrichten (vgl. Art. 35 Abs. 2 Satz 1 KWBG).

Weiterhin wäre es verfehlt, im Antragsrecht eine Verstärkung des Gegensatzes zwischen Gemeinderat und Gemeindebürokratie zu sehen; denn Vermeidung von Gegensätzen - im Sinne des Gesetzes - bedeutet nicht, dass Sachprobleme nicht zum Austrag gelangen sollen, sondern im Gegenteil, dass durch die Doppelstellung der berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieder die Lösung der anstehenden Fragen durch offenes und sachbezogenes Zusammenwirken von Gemeinderat und Gemeindebürokratie erleichtert wird.

(...)

5. Das Antragsrecht der berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieder verstößt - wie abschließend festzustellen ist - auch nicht gegen das Grundgesetz, insbesondere nicht gegen Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach das Volk in den Gemeinden eine Vertretung haben muss, die u.a. aus unmittelbaren Wahlen hervorgegangen ist, und auch nicht gegen die bayerische Verfassung (s. Art. 11 Abs. 2 und 4 BV). Die berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieder sind allerdings nur mittelbar, nämlich durch die vom Volk gewählten ehrenamtlichen Gemeinderäte und ersten Bürgermeister gewählt (Art. 40 Abs. 1 GO). Gleichwohl liegt keine Verletzung des Verfassungsgebots der unmittelbaren Wahl der Gemeindevertretung vor, weil die berufsmäßigen Gemeinderatsmitglieder an Abstimmungen und Wahlen nicht teilnehmen können und deshalb letztlich Entscheidungen nicht von ihnen getroffen werden.

Das Antragsrecht bietet den berufsmäßigen Gemeinderatsmitgliedern die Möglichkeit Probleme anzusprechen, welche der erste Bürgermeister und die ehrenamtlichen Gemeinderäte möglicherweise nicht von sich aus auf die Tagesordnung setzen würden, und den Gemeinderat damit zu einer Abstimmung zu zwingen. Der Senat verkennt nicht, dass darin eine gewisse Auflockerung des Grundsatzes der unmittelbaren Wahl begründet ist. Er hat in seine Erwägungen auch den Umstand einbezogen, dass durch die Formulierung eines Antrags auf die Willensbildung Einfluss genommen werden kann.

Ein Verfassungsverstoß ist indes hierin nicht begründet, denn dem ersten Bürgermeister und den ehrenamtlichen Gemeinderäten allein bleibt die Entscheidung über den Antrag und die Wertung seiner Formulierung vorbehalten. Damit aber ist das wesentliche Element der unmittelbaren Wahl gewahrt.