Freiwillige Feuerwehr: Unkameradschaftliches Verhalten allein kein Ausschlussgrund
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.08.1996 - Az.: 1 S 1353/96
Leitsätze:
1. Der Ausschluss aus der Freiwilligen Feuerwehr als schärfste Reaktion auf eine Dienstpflichtverletzung darf nur dann erfolgen, wenn dem ehrenamtlich tätigen Feuerwehrangehörigen ein so schwerer Verstoß gegen Dienstpflichten vorzuwerfen ist, dass andere Disziplinarmaßnahmen nicht angemessen sind oder ohne Erfolg angewandt wurden. (amtlicher Leitsatz)
2. Besteht zwischen der Mehrzahl der Feuerwehrleute und dem Feuerwehrangehörigen kein Vertrauensverhältnis mehr und ist dies auf das unkameradschaftliche Verhalten des Feuerwehrangehörigen zurückzuführen, so rechtfertigt dies den Ausschluss des Feuerwehrangehörigen aus der Gemeindefeuerwehr nicht, da die Ausschlussgründe in § 12 Abs. 4 FwG abschließend aufgeführt sind und das Nichtbestehen eines kameradschaftlichen Vertrauensverhältnisses zwischen den Angehörigen der Feuerwehr hierzu nicht gehört. (amtlicher Leitsatz)
Kategorien:
Volltext
Gründe
Das Berufungsvorbringen der Gemeinde rechtfertigt keine andere Entscheidung. Zwar hebt die Gemeinde zu Recht hervor, dass der Feuerwehrangehörige gegen seine Verpflichtung, sich anderen Angehörigen der Feuerwehr gegenüber kameradschaftlich zu verhalten, verstoßen hat, indem er vier Feuerwehrkameraden wegen übler Nachrede zur Anzeige gebracht hat (vgl. Surwald, Feuerwehrgesetz für Baden-Württemberg, 6. Aufl., § 12 RdNr. 14). Ob hierin ein schwerer Verstoß gegen die Verpflichtung zur Kameradschaft zu sehen ist, kann der Senat offen lassen. Selbst wenn dies der Fall wäre, so wären die Entlassungsverfügung der Gemeinde und der Widerspruchsbescheid des Landratsamts rechtswidrig.
Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Das Feuerwehrgesetz regelt in § 14 Abs. 2 die bei Dienstpflichtverletzungen möglichen Disziplinarmaßnahmen (vgl. Surwald, Feuerwehrgesetz für Baden-Württemberg, 6. Aufl., § 14 RdNr. 12). Verletzt ein ehrenamtlich tätiger Angehöriger der Gemeindefeuerwehr schuldhaft die ihm obliegenden Dienstpflichten, so kann ihm der Feuerwehrkommandant einen Verweis erteilen oder ihn vorläufig des Dienstes entheben. Grobe Verstöße kann der Bürgermeister auf Antrag des Feuerwehrkommandanten mit einer Geldbuße bis zu 100 DM ahnden. Als "Disziplinarmaßnahme" in diesem Sinne ist auch der Ausschluss des ehrenamtlichen Feuerwehrmitglieds anzusehen (vgl. Surwald, aaO), denn auch er stellt eine Reaktion auf die Dienstpflichtverletzung dar.
Zwar schreibt das Feuerwehrgesetz kein gestuftes disziplinarrechtliches Vorgehen vor der Einleitung eines Ausschlussverfahrens gegenüber einem ehrenamtlich tätigen Feuerwehrangehörigen vor. Die getroffene Maßnahme darf jedoch nicht außer Verhältnis zur begangenen Dienstpflichtverletzung stehen. Hieraus folgt, dass der Ausschluss aus der Freiwilligen Feuerwehr als schärfste Reaktion auf eine Dienstpflichtverletzung nur dann erfolgen darf, wenn dem ehrenamtlich tätigen Feuerwehrangehörigen ein so schwerer Verstoß gegen Dienstpflichten vorzuwerfen ist, dass andere Disziplinarmaßnahmen nicht angemessen sind oder ohne Erfolg angewandt wurden (Schäfer/Hildinger, Feuerwehrgesetz Baden-Württemberg, 1990. § 13 RdNrn. 9 und 10).
Weder die dem Feuerwehrangehörigen vorgeworfene unberechtigte Entgegennahme eines Erfrischungszuschusses im Jahr 1990 in Höhe von wenigen Deutschen Mark, noch das ihm vorzuwerfende unkameradschaftliche Verhalten in Bezug auf die Anzeige von Kameraden im Zusammenhang mit diesem Tatsachenkomplex rechtfertigen allein oder zusammen ohne zuvor erfolglos gebliebene Disziplinarmaßnahmen, wie etwa einem Verweis oder einer Geldbuße, den Ausschluss aus der Gemeindefeuerwehr.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die vom Feuerwehrangehörigen eingereichte Anzeige wegen übler Nachrede durch die Behauptung der Angezeigten ausgelöst wurde, er habe zu Unrecht im Jahr 1990 einen Erfrischungszuschuss erhalten. Die Anzeige sollte aus der Sicht des Feuerwehrangehörigen zu seiner Rechtfertigung führen. Sie war somit eine zwar unkameradschaftliche aber situationsbedingte Überreaktion des Feuerwehrangehörigen. Ihr hätte mit milderem disziplinarischen Vorgehen begegnet werden können.
Der Gesetzeszweck gebietet nicht die unmittelbare Einleitung des Ausschlussverfahrens gegenüber dem Feuerwehrangehörigen. Der Senat verkennt nicht, dass die Feuerwehr eine wichtige Aufgabe zum Wohl der Allgemeinheit erfüllt und sie dies nur kann, wenn zwischen den ehrenamtlich tätigen Feuerwehrangehörigen ein Mindestmaß an Vertrauen und Kameradschaft besteht. Selbst wenn aus dem Abstimmungsergebnis des Feuerwehrgesamtausschusses vom 19.4.1996 der Schluss gezogen werden sollte, dass dieses Vertrauensverhältnis zwischen der Mehrzahl der Feuerwehrleute und dem Feuerwehrangehörigen nicht besteht und dies auf das unkameradschaftliche Verhalten des Feuerwehrangehörigen zurückzuführen ist, so rechtfertigt dies den Ausschluss des Feuerwehrangehörigen aus der Gemeindefeuerwehr nicht, da die Ausschlussgründe in § 12 Abs. 4 FwG abschließend aufgeführt sind und das Nichtbestehen eines kameradschaftlichen Vertrauensverhältnisses zwischen den Angehörigen der Feuerwehr hierzu nicht gehört.