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Listenverbindungen bei Kreistagswahlen ohne Sperrklausel zulässig

BayVGH, Beschluss vom 16.07.2009 - Az.: 4 ZB 09.26

Leitsätze:

Die Zulassung von - auf dem Stimmzettel als solche gekennzeichneten - Listenverbindungen durch das bayerische Kommunalwahlrecht begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, da sie der tendenziellen Benachteiligung kleinerer Parteien durch die Sitzzuteilung nach d'Hondt entgegenwirken und eine Sperrklausel, zu deren Umgehung Listenverbindungen dienen könnten, nicht besteht. (Leitsatz des Herausgebers)

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Volltext

Tenor

In der Verwaltungsstreitsache

...

- Kläger -

bevollmächtigt:

...

gegen

Freistaat Bayern, vertreten durch die Landesanwaltschaft Bayern,

Ludwigstr. 23, 80539 München,

- Beklagter -

beigeladen:

[90 Beigeladene]

wegen

Wahlanfechtung (Kreistagswahl);

hier: Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 12. November 2008,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 4. Senat, durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Motyl, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Wagner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Peitek ohne mündliche Verhandlung am 16. Juli 2009 folgenden

Beschluss:

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Parteien streiten um die Gültigkeit der Kreistagswahl für den Landkreis Würzburg, bei dem die FDP und die ÖDP eine Listenverbindung eingegangen waren.

Der Kläger, der einer kleineren Partei angehört, die keine Listenverbindung eingegangen war, hat Klage auf Feststellung erhoben, dass die Wahl für den Kreistag ungültig und die Auszählung und Verteilung der Kreistagssitze nichtig ist. Die Listenverbindung führe bei der Sitzverteilung zu einer Verzerrung des Wählerwillens.

Mit Urteil vom 12. November 2008 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung.

Der Beklagte tritt dem Antrag entgegen; die Beigeladenen haben sich nicht geäußert.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung führt nicht zum Erfolg, da der sinngemäß geltend gemachte Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht vorliegt.

Der Kläger sieht den Grundsatz der gleichen Gewichtigkeit der Wählerstimmen dadurch verletzt, dass auf die Listenverbindung mit 5,92% der Wählerstimmen vier Sitze entfallen sind, hingegen auf seine Partei mit 4% der Wählerstimmen nur zwei Sitze. Das Verwaltungsgericht habe die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zur Listenverbindung nicht bzw. nicht richtig gewürdigt und sei daher zu einem unzutreffenden Ergebnis gelangt.

Mit diesem Vorbringen kann die Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht mit Erfolg in Frage gestellt werden. Ausgangspunkt des Rechtsstreits ist Art. 26 Satz 1 GLKrWG; hiernach ist bei Kommunalwahlen die Verbindung von Wahlvorschlägen (Listenverbindung) zulässig, wenn alle Vorschläge in gleicher Weise verbunden sind. Diese Regelung geht auf den für Landkreiswahlen entsprechend anwendbaren Art. 21 GWG vom 27. Februar 1948 (GVBl S. 19) zurück, der Listenverbindungen für zulässig erklärte.

Bei Erlass des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes im Jahre 1994 (GVBl S. 747) hat sich der Gesetzgeber mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. September 1990 (BVerfGE 82, 322 = NJW 1990, 3001), die sich kritisch zu Listenverbindungen bei Wahlen äußert, auseinandergesetzt. Trotz der in dieser zur ersten Bundestagswahl nach der Wiedervereinigung ergangenen Entscheidung geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken in Bezug auf Listenverbindungen, bestand nach Ansicht des bayerischen Landesgesetzgebers "keine Notwendigkeit, Listenverbindungen als eine bewährte und vielfach praktizierte Regelung künftig nicht mehr zuzulassen, da es im Gemeinde- und Landkreiswahlrecht keine Sperrklausel gibt und ein etwaiger Vorwurf der Wählertäuschung dadurch entkräftet wird, dass nunmehr in Art. 24 Satz 2 des Gesetzentwurfs vorgeschrieben wird, dass die Listenverbindungen auf dem Stimmzettel kenntlich zu machen sind" (LT-Drs. 12/15644 zu Art. 24).

Das Verwaltungsgericht hat sich ausdrücklich dieser Auffassung angeschlossen und hat unter Hinweis auf die Unterschiede zwischen der Bundestagswahl mit der hier geltenden Sperrklausel von 5% und dem bayerischen Kommunalwahlrecht, das diese Sperrklausel nicht eingeführt hat, zu Recht darauf hingewiesen, dass durch eine Listenverbindung eine solche Sperrklausel nicht umgangen werden kann. Dieser Argumentation steht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht entgegen, denn die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesverfassungsgerichts basieren ausdrücklich auf der Erwägung, dass eine Listenverbindung geeignet ist, die gleichmäßige Wirkung der Sperrklausel für solche Parteien zu durchbrechen, die ohne Listenverbindung nicht im Stande wären, die 5%-Hürde aus eigener Kraft zu überwinden; Listenverbindungen hätten daher nicht nur zur Folge, sondern auch zum Ziel, dass sie die Wirkung von Sperrklauseln unterschiedlich gestalten, je nachdem ob Listen verbunden sind oder nicht. Das Bundesverfassungsgericht sieht hierin einen unterschiedlichen Erfolgswert der einzelnen Wählerstimmen, je nachdem, ob sie auf einer Einzelliste oder einer Listenverbindung abgegeben wird, was dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit widerspreche (BVerfGE 82,322/345 f. = NJW 1990, 301/303 f.)

Der Senat hat bislang - wenn auch ohne vertiefte Begründung - die Auffassung vertreten, dass gegen die Listenverbindung keine durchgreifenden Bedenken be- stehen (BayVGH vom 4.1.1991 - 4 B 90.3498). Hieran wird festgehalten. Der Grundsatz der Wahlgleichheit ergibt sich aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV, Art. 22 Abs. 1 GLKrWG, die den in Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltenen Wahlrechtsgrundsätzen entsprechen. Dieser Grundsatz gebietet zunächst, dass alle Staatsbürger, die ihre Stimme abgeben, grundsätzlich formal gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis ausüben und dass das Gewicht ihrer Stimme weder nach ihrem Zähl- noch nach ihrem Erfolgswert differenziert wird (BVerfG vom 13.2.2008 BVerfGE 120, 82/102 m.w.N.). Für das Wahlgesetz leitet das Bundesverfassungsgericht aus dem Grundsatz der Wahlgleichheit ab, dass auch der Grundsatz gleicher Wettbewerbschancen der Parteien in demselben Sinn formal zu verstehen ist, d.h. die Ausgestaltung des Wahlverfahrens muss den Parteien gleiche Wettbewerbschancen eröffnen (BVerfG vom 29.9.1990, NJW 1990, 3001). Der Grundsatz der Wahlgleichheit wirkt sich je nach dem vom Gesetz festgeschriebenen Wahlsystem unterschiedlich aus. Für die Verhältniswahl bedeutet dies, dass jeder Wähler mit seiner Stimme den gleichen Einfluss auf die Zusammensetzung der Vertretung haben muss. "Ziel des Verhältniswahlsystems ist es, dass alle Parteien in einem möglichst den Stimmenzahlen angenäherten Verhältnis in dem zu wählenden Organ vertreten sind. Zur Zählwertgleichheit tritt im Verhältniswahlrecht die Erfolgswertgleichheit hinzu" (BVerfG vom 13.2.2008, a.a.O., S.103 m.w.N.).

Eine für die Kommunalwahl eingegangene Listenverbindung zielt darauf ab, dass nach Art. 35 Abs. 1 Satz 1 GLKrWG die auf die verbundenen Wahlvorschläge abgegebenen Stimmen zunächst für die Sitzverteilung zusammengezählt werden; erst nach der Ermittlung der Sitze werden diese sodann nach Art. 35 Abs. 3 GLKrWG auf die einzelnen zuvor verbundenen Wahlvorschläge verteilt. Das Zusammenzählen der auf den verbundenen Wahlvorschlag abgegebenen Stimmen kann - muss aber nicht - dazu führen, dass wegen der höheren Gesamtzahl der Stimmen bei der Verteilung der Reststimmen auf die an der Listenverbindung beteiligten Parteien und Wählergruppen ein Sitz mehr entfällt (siehe dazu Beispiele in Nr. 81 GLKrWGBek vom 9. Nov. 2006 , zuletzt geändert durch Bek. vom 5. Juli 2007 ; Büchner, Kommunalwahlrecht in Bayern, Erl. 1 zu Art. 26; Kuhn/Schober, KomPrax Bay 1991, 371/373). Bei der streitgegenständlichen Kreistagswahl ist auf die ÖDP, die mit der FDP eine Listenverbindung eingegangen war, ein Sitz mehr entfallen als sie ohne Listenverbindung errungen hätte. Diese Auswirkung der Listenverbindung scheint auf den ersten Blick dem Gebot der Erfolgswertgleichheit jeder Stimme zu widersprechen. Dies ist mit Blick auf die Besonderheiten des bayerischen Kommunalwahlrechts indes nicht der Fall (generell zur Tragweite des Grundsatzes der Wahlgleichheit im bayer. Kommunalwahlrecht siehe Waltner/Bauer, Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz mit Wahlordnung, 17. Aufl. 2001, Anm. 1 zu Art. 22).

Nach Art. 22 Abs. 1 GLKrWG werden Gemeinderatsmitglieder und die Kreisräte nach den Grundsätzen eines verbesserten Verhältniswahlrechts gewählt, d.h. die Verhältniswahl ist mit der Persönlichkeitswahl gekoppelt. Die in Art. 34 Nrn. 4 und 5 GLKrWG eröffnete Möglichkeit, einem Wahlbewerber aus einer Liste bis zu drei Stimmen zu geben (kumulieren) und auch Wahlbewerber aus verschiedenen Listen wählen zu können (panaschieren), zeigt, dass der bayerische Kommunalwahlgesetzgeber der Persönlichkeitswahl auf kommunaler Ebene besonderes Gewicht beimisst. Der Gesetzgeber hat insoweit dem ausdrücklichen Wunsch der Militärregierung Rechnung getragen, die eine strikte Bindung an die Liste ablehnte (BayLandtag 1947/48, Beilage 1045, Seite 6).

Die bei der streitgegenständlichen Kreistagswahl für die ÖDP aufgrund der Listenverbindung eingetretene Begünstigung bei der Sitzverteilung ist, worauf der Beklagte zutreffend hingewiesen hat, auf die Anwendung des Verfahrens nach d´Hondt zurückzuführen, das nicht zu ganz proportionsgerechten Ergebnissen führt und tendenziell größere Parteien/Wählergruppen bevorzugt und kleinere Parteien/Wählergruppen benachteiligt (Büchner, Erl. 1 zu Art. 26; Waltner/Bauer, Anm. 2 zu Art. 35). Trotz dieser Auswirkungen hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof das Verfahren nach d´Hondt als ein verfassungsrechtlich anerkanntes, folgerichtiges und bewährtes Berechnungsverfahren eingestuft; dies vor allem mit Blick darauf, dass alle praktizierten Verteilungssysteme zwangsläufig mit Nachteilen verbunden und diese Nachteile nicht auf einer vom Gesetzgeber vorgenommenen zusätzlichen Modifikation zurückzuführen sind (BayVerfGH vom 12.8.1994 BayVBl 1994, 716/718 m.w.N.). Bei jedem Sitzberechnungsverfahren bleiben zwangsläufig Reststimmen unberücksichtigt. Auch wenn die Möglichkeit der Listenverbindung grundsätzlich allen Parteien und Wählergruppen offensteht, widerspricht es der Lebenswirklichkeit, dass große Parteien eine Listenverbindung eingehen, die ohnehin von dem Sitzverteilungsverfahren profitieren. Durch die Listenverbindung werden - wie auch die streitgegenständliche Sitzverteilung belegt - kleinere Parteien und Wählergruppen begünstigt. Durch das Eingehen der Listen- verbindung eröffnet sich gerade für sie die Chance, bei der Verteilung der Rest- stimmen ein "Grenzmandat" zu erhalten. Auf diese Weise werden die Nachteile, die für sie mit der Sitzverteilung nach d`Hondt verbunden sind, in gewisser Weise ausgeglichen. In dieser Ausgleichsfunktion findet die Listenverbindung ihre Legitimation. Sie trägt dabei dem Anliegen Rechnung, dass gerade auf kommunaler Ebene kleine Wählergruppen, die spezifisch örtliche Interessen vertreten, durch eine Listenverbindung die Chance auf einen Sitz im Kreistag oder Gemeinderat erhalten (siehe dazu NWVerfGH vom 16.12.2008 NVwZ 2009, 449/450).

Fehl geht auch die Rüge, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 10. Dezember 2003 (BVerwGE 119, 305) aufgestellten Grundsätze nicht auf das vorliegende Verfahren übertragen. Der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts lag die Fallgestaltung zugrunde, dass vier Fraktionen, die im Rat einer nordrhein-westfälischen Stadt vertreten waren, einen gemeinsamen Wahlvorschlag für die Verteilung der Ausschusssitze eingereicht hatten. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts stellt die darauf basierende Verteilung der Ausschusssitze einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip dar, da die gebildeten Zählgemeinschaften als solche weder vom Volk gewählt seien, noch über die Ausschusswahl hinausgehende politische Ziele verfolgten, sondern ein erst nach der Kommunalwahl vereinbartes "ad-hoc Bündnis" zum Zweck der besseren Reststimmenverwertung seien (BVerwGE 119, 305/308 f.). Da bei der streitgegenständlichen Kreistagswahl im Gegensatz zu der vom Bundesverwaltungsgericht zu beurteilenden Fallgestaltung einer Ausschussbesetzung der Wähler seine Stimme in Kenntnis der Listenverbindung abgegeben hat, liegt ein wesentlicher Unterschied vor; die demokratische Legitimation kann insoweit nicht in Frage gestellt werden. Das Verwaltungsgericht hat daher zu Recht angenommen, dass der dort zur Entscheidung gestellte Sachverhalt nicht vergleichbar ist.

Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).