Sachlichkeitsgebot hindert nicht die Werbung für Ratsbegehren
BayVGH, Urteil vom 25.09.2009 - Az.: 4 CE 09.2403
Leitsätze:
Für ein Ratsbegehren darf eine Gemeinde in gleicher Weise werben wie private Initiatoren für ein Bürgerbegehren. Auch wo ein Ratsbegehren in Konkurrenz zu einem Bürgerbegehren tritt, ist die Gemeinde nicht durch das Sachlichkeitsgebot oder die Bestimmungen von Art. 18a Abs. 15 GO BY daran gehindert, nur die für das Ratsbegehren sprechenden Gründe, nicht aber die Gegenargumente zu verbreiten. (Leitsatz des Herausgebers)
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Volltext
Tenor
In der Verwaltungsstreitsache 1. ... 2. ... - Antragsteller -
bevollmächtigt zu 1 und 2: Rechtsanwalt ...
gegen
Stadt Neustadt b. Coburg, vertreten durch den Oberbürgermeister, Georg-Langbein-Str. 1, 96465 Neustadt b. Coburg, - Antragsgegnerin -
wegen
Bürgerentscheids (Antrag nach §
123 VwGO);
hier: Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 25. September 2009,
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 4. Senat, durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Motyl, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Wagner, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Rickelmann ohne mündliche Verhandlung am 25. September 2009 folgenden
Beschluss:
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Antragsteller sind Vertreter eines Bürgerbegehrens, über das am 27. September 2009 in einem Bürgerentscheid abgestimmt werden soll. Zugleich sind die Gemeindebürger aufgerufen, am gleichen Tag über einen Bürgerentscheid abzustimmen, der auf einem Ratsbegehren beruht.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist das Begehren der Antragsteller, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, über den Bürgerentscheid „Gegen Solarfelder in Brüx und Mittelwasungen“ (Bürgerbegehren) und über den Bürgerentscheid „Für Solarfelder in Brüx und Mittelwasungen“ (Ratsbegehren), am Sonntag, dem 27. September 2009 abstimmen zu lassen.
Einige Tage vor dem festgesetzten Termin hatte die Antragsgegnerin eine Informationsschrift an alle Haushalte verteilen lassen, in der die für das Ratsbegehren sprechenden Argumente dargestellt werden. Auf den bis zum 23. September 2009 für die briefliche Abstimmung herausgegebenen Stimmzetteln, die das Bürgerbegehren betrafen, war das im Einleitungssatz der Fragestellung enthaltene Wort „grundsätzlich“ nicht aufgeführt.
Mit Beschluss vom 25. September 2009 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung ab, da die Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hätten. Das in Art. 18 a Abs. 15 GO enthaltene Sachlichkeitsgebot sei vorliegend nicht verletzt, da die Gemeinde für ihr Ratsbegehren werben dürfe. Auch habe im laufenden Abstimmungsverfahren der auf dem Stimmzettel enthaltene Fehler geheilt werden dürfen, da der versehentliche Fehler nicht sinnentstellend gewirkt habe.
Gegen den Beschluss haben die Antragsteller Beschwerde erhoben. Das Verwaltungsgericht habe das Sachlichkeitsgebot nach Art.18 a Abs. 15 GO zu eng ausgelegt. Die Auslegung stehe nicht mit dem Grundsatz der Chancengleichheit in Einklang. Hinzu komme der fehlerhafte Stimmzettel. Der Respekt vor der demokratischen Abstimmung gebiete, dass allen Abstimmenden gleiche Unterlagen zur Verfügung stünden. Die Antragsteller könnten nicht beurteilen, ob das Wort „grundsätzlich“ vorsätzlich oder fahrlässig weggelassen worden sei.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Gründe
II.
Die zulässige Beschwerde, die nur anhand der dargelegten Gründe geprüft wird (§
146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ist nicht begründet.
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass der streitgegenständliche Anordnungsanspruch nicht mit Erfolg auf den Umstand gestützt werden kann, dass in der von der Antragsgegnerin herausgegebenen Informationsschrift zwar die für das Ratsbegehren sprechenden Argumente, nicht jedoch die für das Bürgerbegehren sprechenden Gründe dargestellt sind. Diese einseitige Darstellung steht mit dem in Art. 18 a Abs. 15 GO festgelegten Sachlichkeits- oder Paritätsgebot in Einklang.
Durch die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 19. Januar 1994 (VerfGH 47,1) ist geklärt, dass das bei Wahlen für den Staat und die Gemeinden geltende Neutralitätsgebot in Verfahren der Volksgesetzgebung nicht gilt und dass an seine Stelle ein Sachlichkeitsgebot (Objektivitätsgebot) tritt. Das für den Volksentscheid geltende Sachlichkeitsgebot gilt auch für den Bürgerentscheid, denn beide sind vergleichbare Institutionen der direkten Demokratie (BayVGH vom 17.3.1997 4 ZE 97.874). Dieses für die Gemeinden geltende verfassungsrechtliche Sachlichkeitsgebot wird bei Bürgerentscheiden durch Art. 18 a Abs. 15 GO dahingehend ergänzt, dass die vom Gemeinderat und die von Vertretern des Bürgerbegehrens vertretenen Auffassungen zum Gegenstand des Bürgerentscheids in Veranstaltungen, Informationsschriften o.ä. nur in gleichem Umfang dargestellt werden dürfen (BayVGH vom 17.3.1997 a.a.O.). Die Vorschrift betrifft die Informationspolitik der Gemeinde. Bei einer Verletzung des Sachlichkeitsgebots können die Vertreter des Bürgerbegehrens regelmäßig nur verlangen, dass etwa eine unausgewogene Darstellung korrigiert oder in einer bevorstehenden Informationsveranstaltung eine korrekte Darstellung von Für und Wider zu der Sachfrage, die Gegenstand des Bürgerentscheids ist, vorgenommen wird (BayVGH vom 17.3.1997 a.a.O.). Demgegenüber zielt das streitgegenständliche Antragsbegehren nicht nur auf eine dem Gebot des Art. 18 a Abs. 15 Satz 1 GO entsprechende sachliche Information ab, sondern erstreckt sich darüber hinausgehend auf die Untersagung der Durchführung der Bürgerentscheide zum festgesetzten Termin. Ob ein (unterstellter) Verstoß gegen Art. 18 a Abs. 15 GO einen derart weitreichenden Anspruch überhaupt verleihen kann, ist sehr fraglich. Ein solcher Anspruch könnte unter Umständen allenfalls dann in Betracht kommen, wenn - wie hier - die Durchführung des Bürgerentscheids unmittelbar bevorsteht und eine besonders gravierende Verletzung des Anspruchs auf ausgewogene Darstellung vorliegt, der eine sachgerechte Abstimmung über die zur Entscheidung gestellte Frage in besonderem Maße erschwert. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.
Obwohl in der Informationsschrift der Antragsgegnerin nur die für das Ratsbegehren sprechenden Gründe dargestellt sind, hat das Verwaltungsgericht gleichwohl zu Recht einen Verstoß gegen Art. 18 a Abs. 15 GO verneint, da diese Bestimmung die hier gegebene Konstellation der Konkurrenz von Ratsbegehren und Bürgerbegehren nicht erfasst. Das Verwaltungsgericht hat dies aus dem Wortlaut der Vorschrift abgeleitet, die die Darstellung der Auffassungen des Gemeinderats und die Auffassung der vertretungsberechtigten Vertreter des Bürgerbegehrens zum Gegenstand des Bürgerentscheids betrifft. Der Senat teilt die Rechtsauffassung, dass diese Vorschrift nur für den Bürgerentscheid gilt, der aufgrund eines Bürgerbegehrens i.S. von Art. 18 a Abs. 1 GO durchgeführt wird. Dies ergibt sich darüber hinaus auch aus der systematischen Stellung und dem Regelungszusammenhang. Die hier gegebene Fallgestaltung, dass der Gemeinderat aus Anlass eines mit dem Bürgerbegehren beantragten Bürgerentscheids gemäß Art. 18 a Abs. 2 GO beschließt, diesem Bürgerentscheid als Entscheidungsalternative einen von ihm beschlossenen Bürgerentscheid gegenüber zu stellen, ist nicht anhand von Art. 18 a Abs. 15 GO zu beurteilen (vgl. Thum, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Bayern, Anm. 4 b zu Art. 18 a Abs. 2 GO; Hölzl/Hien/Huber, Gemeindeordnung mit Verwaltungsgemeinschaftsordnung, Landkreisordnung und Bezirksordnung, Anm. 3 zu Art. 18 a GO). Entscheidet sich der Gemeinderat aus Anlass der Zulassung eines Bürgerbegehrens dafür, den Bürgern eine Alternative durch einen weiteren Bürgerentscheid zur Entscheidung zu stellen, hat dies - wie es vorliegend der Fall ist - zur Folge, dass sich die Ziele von Bürgerbegehren und Ratsbegehren teilweise oder ganz widersprechen. Mit der Entscheidung nach Art. 18 a Abs. 2 GO für ein Ratsbegehren tritt der Gemeinderat in unmittelbare Konkurrenz zu dem Bürgerbegehren. Diese besondere Konkurrenzsituation führt dazu, dass die Gemeinde für ihr Ratsbegehren ebenso wie die privaten Initiatoren für ihr Bürgerbegehren werben darf (s. dazu Thum Anm. 7 c zu Art. 18 a Abs. 15 unter Hinweise auf Motive des Gesetzgebers). Im Fall des Ratsbegehrens, das mit einem Bürgerbegehren konkurriert, ist die Gemeinde Partei. Der Umstand, dass die Antragsgegnerin in ihrer Informationsschrift ihre für das Ratsbegehren sprechenden Gründe dargestellt hat, kann daher einen Anordnungsanspruch der Antragsteller nicht begründen.
Der streitgegenständliche Anspruch ist auch nicht mit Blick auf das Fehlen des Wortes „grundsätzlich“ auf den bis zum 23. September 2009 herausgegebenen Stimmzetteln glaubhaft gemacht. Dass den Vertretern eines Bürgerbegehrens ein im Wege der einstweiligen Anordnung grundsätzlich durchsetzbares Recht auf korrekte Wiedergabe der Fragestellung des Bürgerbegehrens zusteht, bedarf keiner Vertiefung. Der Senat teilt indes die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass mit Blick auf die vorliegenden Besonderheiten gleichwohl ein Anspruch auf Absetzung des Termins für die Bürgerentscheide nicht glaubhaft gemacht ist. Der Fehler auf dem Stimmzettel beruht auf einem Versehen und nicht auf der Absicht der Antragsgegnerin, die Chancen des auf dem Bürgerbegehren beruhenden Bürgerentscheids zu mindern. Hiervon gingen auch die Antragsteller in ihrem an die Antragsgegnerin gerichteten Schreiben vom 24. September 2009 aus. Für eine gegenteilige Auffassung bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Ebenso besteht kein Anlass an der Einlassung in der Schutzschrift der Antragsgegnerin zu zweifeln, dass ab 24. September 2009 ab 8.00 Uhr Stimmzettel mit der korrekten Fragestellung herausgegeben werden, die dann für die Abstimmung am 27. September 2009 zur Verfügung stehen. Obwohl damit - was unerfreulich ist - im Ergebnis zum Teil noch Stimmzettel mit der unvollständigen Fragestellung in Umlauf sind, schließt sich der Senat der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts an, dass der aufgetretene Fehler im laufenden Abstimmungsverfahren ausnahmsweise noch geheilt werden konnte. Dies stützt sich darauf, dass das versehentliche Weglassen des Wortes „grundsätzlich“ im Einleitungssatz der Fragestellung wegen der folgenden korrekt wiedergegebenen konkreten Fragestellungen nicht zu einer sinnentstellenden Fragestellung führt. Für den Abstimmenden kann objektiv kein Zweifel über die konkret zur Abstimmung gestellte Frage bestehen. Insoweit sieht der Senat von einer weiteren Darstellung ab und nimmt auf die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss Bezug (§
122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
154 Abs. 2, §
159 VwGO. Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf §
47 Abs. 3 i.V.m. §
52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
152 Abs. 1 VwGO).