Hinweis auf "blumenreiche Worte" rechtfertigt keinen Ordnungsruf
OVG Koblenz, Urteil vom 29.11.1994 - Az.: 7 A 10194/94
Leitsätze:
1. Schon ein förmlicher Ordnungsruf und nicht erst der nach wiederholtem Ordnungsruf verhängte Ausschluss aus einer Ratssitzung stellt einen Eingriff in die Statusrechte des betroffenen Ratsmitglieds dar, der im Wege des Kommunalverfassungsstreits gerichtlich überprüft werden kann. (Leitsatz des Herausgebers)
2. Die Äußerung eines Ratsmitglieds, der Bürgermeister habe "mit blumenreichen Worten" Ausführungen gemacht, stellt keine grobe Ungebühr dar, die einen förmlichen Ordnungsruf rechtfertigen könnte. (Leitsatz des Herausgebers)
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Volltext
Tenor
Urteil
In dem Verwaltungsrechtsstreit
...
wegen Ordnungsmaßnahmen gegen ein Gemeinderatsmitglied
hat der 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29. November 1994, an der teilgenommen haben
...
für Recht erkannt:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 08. Dezember 1993 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahren hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger, als Angehöriger der SPD Fraktionsmitglied des Stadtrats von ... und zugleich Mitglied des Haupt- und Finanzausschusses, begehrt die Feststellung, dass zwei ihm in der Sitzung dieses Ausschusses vom 02. Oktober 1991 erteilte Ordnungsrufe durch den beklagten Bürgermeister rechtswidrig gewesen sind.
In dieser Ausschusssitzung wurde unter Tagesordnungspunkt 1) die "Bestellung eines neuen Geschäftsführers für die Kurbad GmbH" (...) verhandelt. Der Bürgermeister erstattete eingangs einen umfangreichen Bericht über die dort bestehenden Probleme. Die Betriebsführung dieser Gesellschaft war - wie im Rat allgemein bekannt und Gegenstand mancher politischer Auseinandersetzung in den Gremien - in den vorausgegangenen 10 Jahren ein schwieriges Aufgabengebiet und gab den Stoff für politische Meinungsverschiedenheiten, insbesondere zwischen dem Bürgermeister und der SPD Fraktion, ab. Nach den Ausführungen des Bürgermeisters in der genannten Ausschusssitzung hob der Kläger als Sprecher der SPD Fraktion zu Ausführungen an, die er sinngemäß mit den Worten einleitete: "Der Bürgermeister habe mit blumenreichen Worten ..." zu den Verhältnissen Ausführungen gemacht. Auf diese Kennzeichnung hin unterbrach ihn der Bürgermeister und wies die Ausdrucksweise zurück. Nachdem der Kläger die Ausdrucksweise wiederholte und erneut zu seiner Erklärung anhob, rügte der Bürgermeister die Ausdrucksweise erneut und verbat sich derartige Formulierungen. Er kündigte an, dass er den Kläger bei einer nochmaligen Wiederholung dieser Formulierung von der Sitzung ausschließen werde.
Mit Schreiben vom 13. Juli 1992 an den Beklagten beanstandete der Kläger, dass die Niederschrift insoweit unvollständig sei, als sie keinen Hinweis darauf gebe, dass der beklagte Bürgermeister bereits nach der ersten Rüge hinzugefügt habe: "... er lasse sich dies nicht gefallen, ... von ihm erst recht nicht." Der Kläger forderte im übrigen den Beklagten auf, ihm mitzuteilen, ob er in Zukunft bei einem vergleichbaren Fall Anlass für einen förmlichen Ordnungsruf und nach dreimaliger Wiederholung für einen Ausschluss von der Sitzung sehe.
In seinem Antwortschreiben führte der Beklagte aus, dass die Formulierung des Klägers für sich gesehen zwar nicht als grob ungebührlich bezeichnet werden könne. Es müsse allerdings berücksichtigt werden, dass die situationsbezogene "Häme" des Klägers, die die Worte begleitet hätten, naturgemäß in der Sitzungsniederschrift nicht zum Ausdruck gelangten. Beides zusammen habe zu den entsprechenden Rügen gemäß § 38 Gemeindeordnung geführt.
Mit am 29. Dezember 1992 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung er im wesentlichen geltend gemacht hat: In seinem Verhalten habe keine grobe Ungebühr i.S.d. § 38 Gemeindeordnung gelegen; daher seien die förmlichen Ordnungsrufe und die Androhung des Ausschlusses von der Sitzung nicht berechtigt gewesen. Er habe lediglich sein Rederecht und sein Recht auf freie Meinungsäußerung im Gemeinderat wahrgenommen. Um seinen Argumenten die nötige Überzeugungskraft zu verleihen, habe er sich auch des rhetorischen Mittels der Ironie bedienen dürfen. Jedenfalls liege in der Erteilung der Ordnungsrufe ein Verstoß gegen das Übermaßverbot.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass die in der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses des Stadtrates von ... ihm erteilten Ordnungsrufe rechtswidrig waren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat sich im wesentlichen auf seine Stellungnahme in der Vorkorrespondenz bezogen. Hinzugefügt hat er, er halte die Klage bereits deshalb für unzulässig, weil tatsächlich kein Ausschluss erfolgt sei und eine Verletzung von Mitgliedschaftsrechten des Klägers daher nicht vorliege.
Das Verwaltungsgericht Koblenz hat der Klage mit Urteil vom 08. Dezember 1993 stattgegeben und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für eine zulässige Feststellungsklage im Kommunalverfassungsstreit zwischen Ratsmitglied und Bürgermeister als Vorsitzenden des Rates lägen vor, weil der Kläger die Verletzung eigener Rechte geltend machen könne. Ohne die Klärung der Berechtigung solcher Ordnungsrufe sei wegen eines drohenden Ausschlusses von der Sitzung die weitere Mitwirkungsmöglichkeit eines Ratsmitglieds bei der Beratung innerhalb des Rates oder eines Ausschusses gefährdet. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ordnungsrufe ergebe sich auch wegen der mit ihnen verbundenen diskriminierenden Wirkung. Die Ordnungsrufe seien hier auch nicht in Anwendung des § 38 Gemeindeordnung berechtigt gewesen. Weder habe eine im Sinne dieser Bestimmung "grobe Ungebühr", noch ein Verstoß gegen Bestimmungen der Geschäftsordnung vorgelegen. Wegen der mit dem Sitzungsausschluss drohenden einschneidenden Wirkungen des förmlichen Ordnungsrufes setze die Feststellung "grob ungebührlichen" Verhaltens voraus, dass ein besonderes Fehlverhalten vorgelegen habe, das die Grenzen des Tragbaren erheblich überschritten habe. Der Bürgermeister müsse im übrigen auch scharfe, auf seine Amtsführung bezogene Kritik, die die Grenzen einer Schmähkritik nicht überschreite, hinnehmen. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liege in dem Gebrauch der Formulierung "mit blumenreichen Worten" kein zu beanstandendes Verhalten des Klägers, wobei es für die Beurteilung auf objektive Maßstäbe, nicht auf das subjektive Empfinden des Bürgermeisters ankomme.
Dagegen hat der Beklagte rechtzeitig Berufung eingelegt, zu deren Begründung er im wesentlichen geltend macht: Die Klage sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts unzulässig, da die beanstandete Maßnahme des Bürgermeisters in der Sitzung allenfalls als formlose Rüge einzuordnen sei; selbst ein förmlicher Ordnungsruf verletze ein Ausschussmitglied aber noch nicht in seinen Rechten. Das Ratsmitglied könne durch eine solche Maßnahme noch nicht in seinen Mitwirkungsrechten beeinträchtigt werden. Erst wenn der Ausschluss erfolge, liege ein unmittelbarer Eingriff in die Rechtsstellung als Rats- oder Ausschussmitglied vor. Der Ausschluss könne erst nach dreimaligem Ordnungsruf erfolgen; dieser habe als solcher lediglich eine Warnfunktion, verliere im übrigen auch mit dem Ende der Sitzung seine Wirkung. Die mangelnde Rechtserheblichkeit des Ordnungsrufes komme auch darin zum Ausdruck, dass die Gemeindeordnung das Einspruchsverfahren - Anrufung des Gemeinderates - nach § 38 Abs. 3 Gemeindeordnung lediglich für den Fall des erfolgten Ausschlusses vorsehe. Es müsse wie eine merkwürdige Diskrepanz anmuten, wenn man - dem Verwaltungsgericht folgend gegen Ordnungsrufe die Klagemöglichkeit einräume, für den gravierenderen Fall der Ausschlussmaßnahme jedoch als Prozessvoraussetzung die vorherige Anrufung des Gemeinderates verlange. Jedenfalls sei die Klage unbegründet, da auch die Voraussetzungen für die Erteilung eines Ordnungsrufes vorgelegen hätten: Zu berücksichtigen sei nicht nur die Wortwahl als solche, sondern stets auch die Art und Weise der getätigten Äußerungen. Es müsse situationsbedingt entschieden werden. Dem Sitzungsvorsitzenden komme ein Beurteilungsspielraum zu. Lediglich bei einer auffälligen Diskrepanz zwischen dem gemaßregelten Verhalten und dem Ausspruch eines Ordnungsrufes sei die Unzulässigkeit einer solchen Maßnahme gerichtlich festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 08. Dezember 1993 die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist mit dem Verwaltungsgericht der Auffassung, dass ein betroffenes Ratsmitglied die Gelegenheit haben müsse, sich bereits gegen eine erstmalige Rüge auf dem Klagewege zu wehren, weil andernfalls das Recht des Mitglieds auf Beteiligung an Beratungen und Beschlussfassungen gefährdet sein könne. Dass ein Ratsmitglied gegen einen Ordnungsruf klagen könne, sei im übrigen in der Rechtsprechung des OVG Rheinland-Pfalz anerkannt. In der Sache selbst verkenne die Berufungsbegründung, dass ein Bürgermeister selbst scharfe Kritik an seiner Amtsführung hinnehmen müsse; erst recht sei das Mittel der Ironie nicht unangemessen. Das Recht des Ratsmitglieds auf Redefreiheit sei durch die hier getroffene Maßnahme zu Unrecht eingeschränkt worden.
Gründe
Die Berufung des beklagten Bürgermeisters ist unbegründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben. Dieser Klage des Ratsmitglieds auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Ordnungsrufes mangelt es weder an der Zulässigkeit noch ist sie unbegründet.
Es liegt eine im Kommunalverfassungsstreitverfahren zulässige Feststellungsklage vor, insbesondere kann der Kläger geltend machen, durch einen Ordnungsruf in eigenen Rechten eines Ratsmitglieds verletzt zu sein (§§
43,
42 Abs. 2 VwGO). In der Sache selbst erweist sich der Ordnungsruf als rechtswidrig, da das Verhalten des Ratsmitglieds nicht die Voraussetzungen einer groben Ungebühr (§ 38 Abs. 1 Satz 1 GemO) erfüllt. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgericht Bezug nehmen (§
130 b VwGO).
Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist lediglich ergänzend anzumerken: Die Zulässigkeit einer Klage im Kommunalverfassungsstreit zwischen betroffenem Ratsmitglied und Bürgermeister als Vorsitzenden des Rates auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Ordnungsrufes ist in der Rechtsprechung des Senats anerkannt (vgl. Urteil vom 02.09.1986, 7 A 7/86, DVBl 1987, 147). Auch Rechtsverhältnisse aus einer vergangenen Wahlperiode sind danach noch feststellungsfähig, wenn der Kläger weiterhin Ratsmitglied ist, selbst wenn die Person des Bürgermeisters gewechselt hat; es ist nämlich ein Interesse anzuerkennen, dass das Ratsmitglied die im Kreise seiner Kollegen verbleibende diskriminierende Wirkung abzuwenden sucht und im übrigen bestrebt ist, eine Klärung im Hinblick auf zukünftig mögliche Fallgestaltungen herbeizuführen, um sein Mitwirkungsrecht abzusichern. Im übrigen liegt es im vorliegenden Falle so, dass der Kläger weiterhin Ratsmitglied ist und auch der Bürgermeister weiterhin im Amt ist.
Das Berufungsvorbringen gibt dem Senat keine Veranlassung, von der Auffassung abzuweichen, dass das durch einen förmlichen Ordnungsruf betroffene Ratsmitglied die Verletzung einer Rechtsposition (innerorganschaftlicher Art) geltend machen kann. Der Berufungsbegründung ist einzuräumen, dass eine Abgrenzung vom formlosen Ordnungsrufen (Hinweis, Ermahnung, Rüge, Missbilligung im Vorfeld des förmlichen Ordnungsrufes) erfolgen muss, mit denen noch kein Eingriff in die Rechtsstellung des Mitglieds einer Vertretungskörperschaft verbunden ist (vgl. BVerfG
NJW 1982, 2233, 2234). Dem Bürgermeister, der die Sitzung leitet, ist es auf diese Weise ermöglicht, im Vorfeld einer rechtlich erheblichen Maßnahme steuernd auf die Ordnung in der Sitzung Einfluss zu nehmen, ohne sich in rechtliche Auseinandersetzungen verwickeln zu müssen. Dem Ratsmitglied kann ein Verzicht auf Rechtsbehelfe insoweit zugemutet werden, als er vor der Klarstellung, dass ein förmlicher Ordnungsruf erfolgt, in seinem Verhalten letztlich frei bleibt und nicht befürchten muss, aufgrund der Tatbestandswirkung der förmlichen Maßnahme (§ 38 Abs. 1 Satz 2 GemO) nach dreimaliger Wiederholung von der Sitzung ausgeschlossen zu werden. Der förmliche Ordnungsruf mit seiner Feststellungs- und Warnfunktion stellt demgegenüber einen Eingriff in die Statusrechte des Rats- bzw. Ausschussmitglieds dar. Dieses ist gezwungen, sich auf die Rechtsauffassung des Vorsitzenden einzustellen, will es nicht unwiederbringliche Nachteile im Hinblick auf seine Möglichkeit der weiteren Teilnahme und damit den Kern der Mandatsausübung in Kauf nehmen. Beugt das Ratsmitglied sich nicht und gibt es damit sein Rederecht (zum Teil) preis, riskiert es bei Wiederholung alsbald den dritten förmlichen Ordnungsruf, so dass die Wirksamkeit eines Ausschlusses nicht verhindert werden kann. Die Anrufung gegenüber dem Gemeinderat hat keine aufschiebende Wirkung (§ 38 Abs. 3 Satz 2 GemO). Über den Einspruch hat der Gemeinderat erst in der nächsten Sitzung zu beschließen (§ 38 Abs. 3 Satz 3 GemO). Mit Beginn der förmlichen Maßnahmen muss daher der Eingriff in die Mitwirkungsrechte angenommen werden, da anders das Rederecht und sonstige Mitwirkungsrechte nicht gesichert werden könnten. Die Provokation eines förmlichen Ausschlusses zur Klärung der Fragen kann dem Ratsmitglieds nicht zugemutet werden, würde im übrigen zudem nicht verhindern können, dass wenigstens zeitweise wegen des geschilderten Verfahrensablaufes auf die Teilhabe an den Verhandlungen und damit den Kern der Ausübung des Ratsmandats verzichtet werden müsste (vgl. zum Recht auf Rechtsschutz insoweit auch Gabler/Höhlein, GemO, Stand 7/94 § 38 Rdnr. 1, 2).
Vorliegend bestehen - wie auch das Verwaltungsgericht angenommen hat - keinerlei Zweifel, dass zumindest die zweite Intervention des Bürgermeisters einen förmlichen Ordnungsruf darstellte. Eine als förmlicher Ordnungsruf zu qualifizierende Maßnahme muss für den Betroffenen schon wegen der drohenden weiteren Folgen klar erkennbar sein; im vorliegenden Fall war die "Förmlichkeit" deshalb unverkennbar, da die Rüge mit der Androhung verbunden wurde, dass der Kläger im Wiederholungsfalle von der Sitzung ausgeschlossen werde. Ob sich dies als rechtmäßig erwiesen hätte - etwa weil daran zu zweifeln wäre, ob die erste Intervention bereits einen förmlichen Ordnungsruf darstellte -, ist insoweit unerheblich.
Der Berufungsbegründung kann auch nicht dahin gefolgt werden, das hier vom Bürgermeister gerügte Verhalten des Ratsmitglieds erfülle die Voraussetzungen einer "groben Ungebühr" i.S.d. § 38 Abs. 1 Satz 1 GemO. Es kann offen bleiben, ob dem Sitzungsleiter insoweit ein gewisser Beurteilungsspielraum zugebilligt werden könnte, insbesondere angesichts des Umstandes, dass eine komplexe Bewertung von Wortlaut der Äußerungen und der gesamten Atmosphäre erforderlich ist, in der sie gefallen ist. Anders als im Bereich der grundrechtlich gesicherten Meinungsfreiheit aus Art.
5 Abs. 1 GG, wie sie dem Kläger als Staatsbürger außerhalb des hier in Rede stehenden Zusammenhangs zusteht, mag es im hier zu beurteilenden Fall der Intraorganbeziehung zwischen Ratsmitglieds und Bürgermeister auch so liegen, dass nicht die für das Ratsmitglied "günstigste" Auslegungsmöglichkeit den Beurteilungsmaßstab abgibt, sondern die "verständige Würdigung" durch den Sitzungsleiter, dessen Schwierigkeiten bei der Notwendigkeit einer spontanen Reaktion zur Aufrechterhaltung der Sitzungsordnung berücksichtigt werden müssen.
Eine Überempfindlichkeit des Bürgermeisters insbesondere bei einer in der politischen Auseinandersetzung zugespitzten Ausdrucksweise, etwa der Verwendung des rhetorischen Stilmittels der Ironie, kann indessen nicht gebilligt werden. Dies würde das Rederecht des Ratsmitglieds, das für die Funktion einer offenen demokratischen Willensbildung unverzichtbar ist, unangemessen zurücksetzen. Vor allem eine mehr ins Persönliche gehende Auseinandersetzung mit dem Ratsmitglied darf der Vorsitzende nicht führen.
"Grob ungebührlich" sind Beschimpfungen oder die Verächtlichmachung anderer Sitzungsteilnehmer. Der Ordnungsruf ist gerechtfertigt, wenn die Grenzen des Erträglichen überschritten werden, wozu letztlich auf die "parlamentarischen" Gepflogenheiten Bezug zu nehmen ist.
Die Kennzeichnung der Worte des Vorredners als "blumenreich" erfüllt als solche die Voraussetzungen eines zu beanstandenden Verhaltens ersichtlich nicht.
Der Senat braucht hier weder zu klären, ob angesichts der rheinland-pfälzischen Rechtslage, bei der erst der dreimalige förmliche Ordnungsruf zum Ausschluss führen kann, an die "grobe Ungebühr" geringere Anforderungen zu stellen wären (vgl. dazu Gabler/Höhlein, § 38 GemO, aaO; ansonsten vgl. VGH Baden-Württemberg,
VBlBW 1993, 259), noch, ob bei dem komplexen Hintergrund der im vorliegenden Fall in der Ausschusssitzung behandelten Sachproblematik Wortwahl und Tonfall den Eindruck erwecken konnten, die Amtsführung des Bürgermeisters solle als unredlich gekennzeichnet werden. Dass vorliegend Maßstab für die Rüge eine persönliche Empfindlichkeit des Bürgermeisters war, geht daraus hervor, dass er - vom Kläger behauptet und nicht substantiiert bestritten - nicht nur gesagt hat: "Das lasse ich mir nicht bieten...", sondern hinzufügte: "Von Ihnen erst recht nicht". Dies zeigt deutlich, dass der Sitzungsleiter einem Beurteilungsfehler zumindest insoweit unterlag, als er die Äußerung im Lichte eines persönlichen Spannungsverhältnisse wertete. Daran ändert sich auch nichts, wenn dieser Zusatz auf die Vertreter der SPD-Fraktion im Ausschuss insgesamt bezogen gewesen wäre.
Zur Klarstellung weist der Senat im Hinblick auf die Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts sowie in der Berufungserwiderung allerdings darauf hin, dass nach seinem Urteil vom 17. September 1991 -
7 A 10359/91.OVG - die Angemessenheit der Härte der Kritik an dem Bürgermeister durch das Ratsmitglied nicht unabhängig davon beurteilt werden kann, ob jener objektiv zu der Kritik Anlass geboten hat. Ohne ein solches im Ansatz berechtigtes Interesse kann das Ratsmitglied nicht des Risikos enthoben sein, wegen einer Überschreitung der angemessenen Grenzen der Kritik zu Recht zur Ordnung gerufen zu werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
154 Abs. 2 VwGO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit wegen der Kosten aus §§
167 Abs. 2 i.V.m.
708 Nr. 10 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe der in §
132 Abs. 2 VwGO bezeichneten Art nicht vorliegen.