Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren bei Gemeindeeingliederung
SächsVerfGH, Beschluss vom 18.06.1999 - Az.: Vf. 54-VIII-98
Leitsätze:
1. Der Gesetzgeber hat bei einer gebietlichen Neugliederungsentscheidung das - diese nach Artikel 88 Abs. 1 SächsVerf verfassungsrechtlich legitimierende - Wohl der Allgemeinheit im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu konkretisieren. (amtlicher Leitsatz)
2. Den hierbei dem Sächsischen Landtag gesetzten verfassungsrechtlichen Vorgaben korrespondiert die Kontrollkompetenz des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes. (amtlicher Leitsatz)
a) Das allgemeine Ziel, welches der Gesetzgeber mit der Neuregelung verfolgt, muss das Gemeinwohl fördern (Artikel 88 Abs. 1 SächsVerf). Dabei prüft der Verfassungsgerichtshof nur, ob - im Lichte der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie betrachtet - verfassungsrechtlich legitime Reformziele verwirklicht werden sollen. (amtlicher Leitsatz)
b) Die vom Sächsischen Landtag als Ordnungsrahmen aufgestellten Leitsätze (Leitbilder und Leitlinien) hat der Verfassungsgerichtshof daran zu messen, ob der Gesetzgeber sich aufdrängende Gemeinwohlaspekte übersehen hat, ob die den Leitsätzen zugrundeliegenden Erkenntnisse offensichtlich unzutreffend sind und ob die Leitsätze offensichtlich ungeeignet sind, um das Reformziel zu verwirklichen. (amtlicher Leitsatz)
c) Bei der einzelnen Neugliederungsmaßnahme hat der Verfassungsgerichtshof zu beurteilen, ob der Sächsische Landtag den für seine Regelung erheblichen Sachverhalt ermittelt und berücksichtigt sowie die Gemeinwohlgründe und die Vor- und Nachteile der Alternativen in die Abwägung eingestellt und das Gebot der kommunalen Gleichbehandlung beachtet hat. (amtlicher Leitsatz)
3. Kommunalen Neugliederungsentscheidungen des Gesetzgebers hat eine Anhörung der betroffenen Gemeinden und der Bevölkerung der unmittelbar betroffenen Gebiete vorauszugehen. (amtlicher Leitsatz)
a) Eine verfassungsgemäße Beteiligung der Träger kommunaler Selbstverwaltung erfordert, dass diese rechtzeitig vom wesentlichen Inhalt des Neugliederungsvorhabens und der dafür gegebenen Begründung Kenntnis erlangen. Um dem Zweck der Anhörung zu genügen, müssen das Gesetzgebungsvorhaben ergebnisoffen geführt werden und die Stellungnahmen der Gebietskörperschaften in die Entscheidungsfindung eingehen. (amtlicher Leitsatz)
b) Das Ergebnis der Bevölkerungsanhörung nach Artikel 88 Abs. 2 Satz 3 SächsVerf ist bei der Ermittlung des Gemeinwohls zu berücksichtigen, stellt aber nur einen Umstand unter vielen dar, die der Gesetzgeber zu bedenken hat. (amtlicher Leitsatz)
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