Teileinziehung einer Straße ist keine Enteignung
BVerfG, Beschluss vom 11.09.1990 - Az.: 1 BvR 988/90
Leitsätze:
1. Die gesetzlichen Bestimmungen über die Einziehung von Straßen stellen Inhalts- und Schrankenbestimmungen zum Eigentum der Straßenanlieger dar. Die Teileinziehung einer Straße (hier: Schaffung einer Fußgängerzone) ist daher keine Enteignung. (Leitsatz des Herausgebers)
2. Es ist von Verfassungs wegen nicht geboten, dass in einem besonders schutzwürdigen Kurgebiet gelegenen touristisch ausgerichteten Betrieben die bestehende Anfahrtsmöglichkeit mit Autos und Bussen erhalten bleiben muss. Das gilt auch, wenn die Inhaber ihre Betriebe auf die Möglichkeit zur unmittelbaren Anfahrt mit Bussen zugeschnitten haben. (Leitsatz des Herausgebers)
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Gründe
Die Verfassungsbeschwerde bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof und die Stadt haben in den angegriffenen Entscheidungen die Bedeutung von Art.
14 Abs. 1 GG nicht verkannt.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen stellen § 7 des Straßengesetzes für Baden-Württemberg - StrG -, der die Einziehung von Straßen betrifft, und § 15 StrG, der die Rechtsstellung der Straßenanlieger regelt, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums dar. Sie legen generell und abstrakt die Rechte und Pflichten des Eigentümers fest (vgl.
BVerfGE 52, 1, 27;
58, 300, 330, 336;
70, 191, 200;
71, 137, 143), so daß durch die aufgrund des § 7 StrG ergangene Teileinziehung keine Enteignung im Sinne des Art.
14 Abs. 3 GG erfolgt.
Die genannten Vorschriften des Straßenrechts und ihre Anwendung in den angegriffenen Entscheidungen stehen mit Art.
14 Abs. 1 GG in Einklang. Insbesondere die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, daß die Teileinziehung bei summarischer Prüfung aus überwiegenden Gründen des Wohls der Allgemeinheit erforderlich sei und deshalb die Interessenabwägung im Rahmen des §
80 Abs. 5 VwGO zu Lasten der Beschwerdeführerinnen auszugehen habe, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, daß die Frage, ob die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 StrG vorliegen, grundsätzlich nach dem einfachen Recht beantwortet wird. Die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen, solange nicht Auslegungsfehler sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen (vgl.
BVerfGE 18, 85, 92 f.). Dies ist hier nicht der Fall.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muß der Gesetzgeber bei der Wahrung des ihm in Art.
14 Abs. 1 Satz 2 GG erteilten Auftrags, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen, sowohl die grundgesetzliche Anerkennung des Privateigentums durch Art.
14 Abs. 1 Satz 1 GG als auch das Sozialgebot des Art.
14 Abs. 2 GG beachten (
BVerfGE 37, 132, 140;
52, 1, 29;
58, 300, 338). Der Gesetzgeber muß beide Elemente des im Grundgesetz angelegten Verhältnisses von verfassungsrechtlich garantierter Rechtsstellung und dem Gebot einer sozialgerechten Eigentumsordnung in gleicher Weise Rechnung tragen; er muß die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen. In jedem Fall erfordert die verfassungsrechtliche Gewährleistung die Erhaltung der Substanz des Eigentums und die Beachtung des Gleichheitsgebots des Art.
3 Abs. 1 GG (vgl.
BVerfGE 52, 1, 29 f.;
72, 66, 77 f.;
79, 174, 198).
Angesichts der in der Teileinziehungsverfügung geschilderten Verkehrsverhältnisse, die von den Beschwerdeführerinnen nicht bestritten werden, ist es nachvollziehbar, daß die Stadt und der Verwaltungsgerichtshof ein öffentliches Interesse an der Teileinziehung der S.-Straße bejaht haben. Es ist von Verfassungs wegen weiterhin nicht zu beanstanden, daß die Stadt und der Verwaltungsgerichtshof die Ansicht vertreten haben, die Teileinziehung der S.-Straße sei wegen überwiegender Gründe des Wohls der Allgemeinheit gemäß § 7 Abs. 1 StrG erforderlich. Der Umfang der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Anliegergebrauchs ist dabei nicht verkannt worden. Da die Straße als öffentliche Einrichtung nicht allein der Erschließung der Anlieger, sondern auch dem allgemeinen Verkehrsbedürfnis in seinen unterschiedlichen Ausgestaltungen (z.B. Fußgängerverkehr, Fahrzeugverkehr, Ziel- und Durchgangsverkehr, kommunikativer Verkehr) dient, muß ein Ausgleich zwischen einer Vielzahl von Interessen erfolgen. Die Bedürfnisse der Anlieger sind von Verfassungs wegen nur in ihrem Kern geschützt. Von Verfassungs wegen ist es jedoch nicht geboten, daß die Kunden des Restaurants, des Cafes, des Souvenirverkaufs und des Bootsverleihs diese Betriebe unmittelbar mit einem Pkw oder einem Bus ansteuern können. Dabei ist die Vorbelastung der Grundstücke durch die Situation, in die sie hineingestellt sind, zu beachten. Sie liegen in einem besonders schutzwürdigen Kurgebiet und sind insoweit von vornherein durch die situationsbedingte mögliche Änderung der Rechtslage betroffen.
An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, daß die Beschwerdeführerinnen ihre Betriebe darauf zugeschnitten haben, daß sie mit Bussen unmittelbar angefahren werden können. Insofern haben sie sich lediglich die Lage der Grundstücke an einer Straße, die bisher unbeschränkt von Kraftfahrzeugen befahren werden konnte, zunutze gemacht. Dasselbe gilt für die Nutzung des von der Beschwerdeführerin zu 3) gepachteten Parkplatzes. Chancen und Verdienstmöglichkeiten sind durch Art.
14 Abs. 1 GG nicht geschützt (vgl.
BVerfGE 39, 210, 237;
45, 272, 296;
65, 196, 209;
74, 129, 148;
78, 205, 211). Dies gilt auch für die Vorteile, die sich aus dem bloßen Fortbestand einer günstigen Rechtslage ergeben (vgl.
BVerfGE 68, 193, 222;
77, 370, 377).
Es ist auch nicht ersichtlich, daß statt der Teileinziehung andere Maßnahmen zum gleichen Ziel führen. Die Stadt und der Verwaltungsgerichtshof haben sich in nachvollziehbarer Weise mit den von den Beschwerdeführerinnen vorgeschlagenen Alternativen auseinandergesetzt.
Ein Verstoß gegen Art.
14 Abs. 1 GG wegen Verletzung des aus der Eigentumsgarantie folgenden Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz läßt sich ebenfalls nicht feststellen. Der Verwaltungsgerichtshof ist erkennbar von der Bewertung der Stadt in der Anordnung des sofortigen Vollzuges ausgegangen, die ihrerseits die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäbe zugrunde gelegt hat. Wenn der Gerichtshof bei der gebotenen Abwägung der einander widerstreitenden Interessen im Rahmen der Entscheidung nach §
80 Abs. 5 VwGO dem Interesse der Stadt am sofortigen Vollzug größeres Gewicht beigemessen hat, ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.