Teilnahme eines Gemeindemitarbeiters an Außenprüfung der Finanzverwaltung: Rechtsweg
BFH, Urteil vom 13.02.1990 - Az.: VIII R 188/85
Leitsätze:
Für Streitigkeiten um die Verfügung einer Gemeinde, mit der sie die Teilnahme ihres Abgabenprüfers an einer Außenprüfung der Finanzverwaltung anordnet, ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit und nicht die Finanzgerichtsbarkeit zuständig. (Leitsatz des Herausgebers)
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Volltext
Tatbestand
Die Finanzverwaltung ordnete bei der Kl?gerin und Revisionskl?gerin (Kl?gerin), der S-KG, am 5. Februar 1985 eine Au?enpr?fung f?r die Jahre 1980 bis 1983 an. Am 6. Februar 1985 erlie? der Beklagte und Revisionsbeklagte, die Stadt B, eine auf ? 21 Abs. 3 des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG) gest?tzte Teilnahmeanordnung. Mit dieser Anordnung teilte die Stadt B der Kl?gerin mit, da? ihr Abgabenpr?fer, Stadtamtsrat B, an der Au?enpr?fung der Gro?betriebspr?fungsstelle des Finanzamts (FA) B teilnehmen wird.
Am 6. Februar 1985 erlie? die Stadt B eine inhaltsgleiche Teilnahmeanordnung gegen?ber der S-GmbH (im folgenden: GmbH). Am 13. Februar 1985 legte nur die GmbH schriftlich Widerspruch ein. Aufgrund eines Telefongespr?chs mit der Kl?gerin vermerkte die Stadt B am 18. Februar 1985 in den Akten, da? dieser Widerspruch auch f?r die Kl?gerin gelten soll. Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1985 wies die Stadt B den Widerspruch zur?ck. Im Betreff der Entscheidung sind die GmbH und die Kl?gerin aufgef?hrt. In der Rechtsmittelbelehrung wird auf den Verwaltungsrechtsweg verwiesen.
Am 27. Februar 1985 beantragte die Kl?gerin beim Verwaltungsgericht (VG) X die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen, hilfsweise die Sache an das Finanzgericht (FG) M?nster zu verweisen. Die Stadt B war mit der Verweisung einverstanden.
Mit rechtskr?ftigem Beschlu? vom 15. M?rz 1985 sprach das VG X aus, es halte den zu ihm beschrittenen Rechtsweg nicht f?r gegeben; zugleich verwies es den Rechtsstreit auf den von der Kl?gerin gestellten Hilfsantrag an das FG M?nster.
Am 18. April 1985 erhob die Kl?gerin vor dem FG Klage mit dem Antrag, die Teilnahmeanordnung der Stadt B vom 6. Februar 1985 aufzuheben. Diese Klage wies das FG mit der Begr?ndung ab, ? 21 Abs. 3 FVG gebe der Stadt B das Recht, die Teilnahmeanordnung vom 6. Februar 1985 in eigener Verwaltungskompetenz gegen?ber der Kl?gerin zu erlassen. Das angefochtene Urteil des FG ist in den
Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 194 ver?ffentlicht.
Mit der vom FG zugelassenen Revision r?gt die Kl?gerin die rechtsfehlerhafte Anwendung des ? 21 Abs. 3 FVG.
Die Kl?gerin beantragt die Aufhebung der Vorentscheidung sowie der Anordnung der Stadt B vom 6. Februar 1985; hilfsweise, Aufhebung der Vorentscheidung und Verweisung des Rechtsstreits an das zust?ndige VG X.
Die Stadt B beantragt, die Revision zur?ckzuweisen.
Gründe
Die Revision f?hrt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, Feststellung der Unzul?ssigkeit des Finanzrechtswegs und, entsprechend dem von der Kl?gerin gestellten Hilfsantrag, zur Verweisung der Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges der Gerichtsbarkeit, zu der der Rechtsweg er?ffnet ist (?
34 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -); im Streitfall das VG X.
Das Urteil des FG ist aufzuheben, weil das FG zu Unrecht eine ?ffentlich-rechtliche Streitigkeit ?ber Abgabenangelegenheiten und damit die Zul?ssigkeit des Finanzrechtswegs bejaht hat.
1. An der Feststellung, da? der Finanzrechtsweg nicht er?ffnet ist, ist der Senat nicht dadurch gehindert, da? das VG X durch rechtskr?ftig gewordenen Beschlu? den Rechtsweg zu den allgemeinen VG im Verfahren wegen Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung - Antrag nach ?
80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) - f?r unzul?ssig erkl?rt hat und "diesen Rechtsstreit" an das FG verwiesen hat.
Nach ?
34 Abs. 2 FGO sind, wenn ein Gericht einer anderen Gerichtsbarkeit den zu ihm beschrittenen Rechtsweg zuvor rechtskr?ftig f?r unzul?ssig erkl?rt hat, die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit an diese Entscheidung gebunden.
Der VII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat jedoch mit Urteil vom 28. Januar 1986
VII R 37/85 (
BFHE 146, 7,
BStBl II 1986, 410) entschieden, da? sich die Bindungswirkung des ?
34 Abs. 2 FGO nur auf das Verfahren ("die Sache") bezieht, hinsichtlich dessen die Verweisung ausgesprochen wurde und nicht auf etwaige Folgesachen. Der Senat hat eine "erweiterte Bindungswirkung", wie sie f?r die Verweisung im Verfahren wegen Bewilligung von Proze?kostenhilfe (PKH) mit Bezug auf das nachfolgende Klageverfahren vertreten wird (Beschlu? des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 29. September 1981
5 AR 141/81,
BAGE 36, 89), f?r ein sp?ter beim FG anh?ngig gewordenes Klageverfahren in der Hauptsache verneint, in dem zuvor das Verfahren wegen einstweiliger Anordnung durch rechtskr?ftigen Beschlu? vom VG an das FG verwiesen wurde, weil das PKH-Verfahren und das Verfahren der einstweiligen Anordnung insofern nicht vergleichbar seien.
Der erkennende Senat schlie?t sich der Rechtsprechung des VII. Senats an. Deren Grunds?tze gelten auch f?r den Fall, da? das VG ein Verfahren ?ber einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (?
80 Abs. 5 VwGO) an das FG verweist und sp?ter beim FG das Klageverfahren in der Hauptsache anh?ngig wird. Denn das Verfahren nach ?
80 Abs. 5 VwGO gleicht insoweit dem Verfahren nach ?
123 VwGO (einstweilige Anordnung).
F?r den Streitfall bedeutet dies, da? durch den Verweisungsbeschlu? des VG X (unabh?ngig von der Frage, ob dieser in Verfahren nach ?
80 Abs. 5 VwGO ?berhaupt zul?ssig ist; zum Meinungsstreit vgl. Urteil in
BFHE 146, 7, BStBl 1986, 410) keine Bindungswirkung f?r das sp?ter beim FG anh?ngig gewordene Verfahren in der Hauptsache eintritt.
2. Der Finanzrechtsweg ist nicht zul?ssig, weil keiner der in ?
33 FGO aufgef?hrten F?lle vorliegt.
a) Die Voraussetzungen des ?
33 Abs. 1 Nr. 1 FGO sind im Streitfall nicht erf?llt.
Gem?? ?
33 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist der Finanzrechtsweg nur in ?ffentlich-rechtlichen Streitigkeiten ?ber Abgabenangelegenheiten gegeben, soweit die Abgaben der Gesetzgebung des Bundes unterliegen und durch Bundes- oder Landesfinanzbeh?rden verwaltet werden. ?
33 Abs. 2 Satz 1 FGO definiert als Abgabenangelegenheiten in diesem Sinne alle mit der Verwaltung der Abgaben oder sonst mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbeh?rden zusammenh?ngenden Angelegenheiten. Danach ist mit dem Begriff der Verwaltung der Abgaben eindeutig die Verwaltungst?tigkeit der Finanzbeh?rden gegen?ber den gewaltunterworfenen B?rgern gemeint (vgl. BFH-Urteil vom 6. Oktober 1982
II R 90/79,
BFHE 137, 192,
BStBl II 1983, 180). Die Vorschrift setzt das Verwaltungshandeln einer Finanzbeh?rde voraus (vgl. Gr?ber/Koch, Finanzgerichtsordnung, ? 33 Rz. 10 f.). Die Definition der Finanzbeh?rden ergibt sich aus ?
6 der Abgabenordnung (AO 1977), ?? 1, 2 FVG. Danach geh?ren die Gemeinden nicht zu den Finanzbeh?rden, auch nicht, bei der Verwaltung der kommunalen Steuern in eigener Kompetenz (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., ? 2 FVG Rz. 1). Verwaltungsakte der Gemeinde sind keine von Finanzbeh?rden i.S. des ?
33 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 FGO. Gegen Verwaltungsakte der Gemeinde auf dem Gebiet der Realsteuern ist deshalb der Verwaltungsrechtsweg gegeben (vgl. BFH-Urteile vom 9. Januar 1962
I 101/60 S,
BFHE 74, 641,
BStBl III 1962, 238; vom 8. November 1962
IV 162/62 S,
BFHE 76, 390,
BStBl III 1963, 143; BFH-Beschlu? vom 7. Juli 1971
I B 18/71,
BFHE 103, 32,
BStBl II 1971, 738; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 26. Juni 1964
VII C 6.64,
BVerwGE 19, 68; Tipke/Kruse, a.a.O., ?
33 FGO Rz. 20, ? 2 FVG Tz. 1; H?bschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., ?
33 FGO Rz. 64; Ziemer/Haarmann/Lohse/ Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rz. 1049 bis 1051, 5393 f.).
Der Rechtsstreit betrifft den Verwaltungsakt der Stadt B vom 6. Februar 1985. Mit diesem Verwaltungsakt hat die Stadt B aufgrund ? 21 Abs. 3 FVG die Teilnahme ihres Abgabenpr?fers an einer Au?enpr?fung der Finanzverwaltung in eigener Verwaltungszust?ndigkeit angeordnet. Der Rechtsstreit richtet sich gegen eine Verf?gung einer Gemeinde. Die Gemeinde ist insoweit auch nicht als Landesfinanzbeh?rde t?tig geworden, wie dies ausnahmsweise z.B. beim Ausschreiben und Berichtigen von Lohnsteuerkarten der Fall ist (?
39 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Gegen die Teilnahmeanordnung ist deshalb der Rechtsweg zu den VG gegeben. Entscheidend f?r die Frage, welcher Rechtsweg gegeben ist, ist dabei nicht, ob die Teilnahmebefugnis nach ? 21 Abs. 3 FVG von der Gemeinde (so FG K?ln, Urteil vom 19. Mai 1981
VIII 40/79 S,
EFG 1982, 256) oder vom FA (so FG D?sseldorf, Beschlu? vom 18. November 1983
XV 243/83 A (AO), EFG 1984, 300) h?tte angeordnet werden m?ssen. Entscheidend ist allein, da? die Gemeinde unter Inanspruchnahme ihrer Verwaltungskompetenz einen Verwaltungsakt erlassen hat (vgl. Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, a.a.O., Rz. 1050 f.). Dies verkennt das FG D?sseldorf bei seiner Entscheidung in EFG 1984, 300, in welcher es den Finanzrechtsweg in einem gleichgelagerten Fall nach ?
33 Abs. 1 Nr. 1 FGO f?r er?ffnet h?lt, weil es aus der materiell-rechtlichen Anordnungsbefugnis der F? im Rahmen des ? 21 Abs. 3 FVG - wobei der Senat offenlassen kann, ob diese Rechtsauffassung zutreffend ist - auf den Finanzrechtsweg schlie?t.
b) Der Finanzrechtsweg ist auch nicht nach ?
33 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 FGO gegeben. Eine Rechtswegzuweisung nach ?
33 Abs. 1 Nr. 4 FGO ist f?r F?lle der vorliegenden Art nicht erfolgt.
c) Der Senat weicht bei seiner Entscheidung nicht von dem Beschlu? des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtsh?fe des Bundes (Beschlu? vom 10. Juli 1989
GmS-OGB 1/88) ab. Mit diesem Beschlu? wurde entschieden, da? f?r Rechtsstreitigkeiten zwischen einer Ersatzkasse und einer Allgemeinen Ortskrankenkasse ?ber die Zul?ssigkeit von Ma?nahmen auf dem Gebiet der Mitgliederwerbung der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (?
51 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) gegeben ist und nicht zu den ordentlichen Gerichten (?
13 des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG -). Der Gemeinsame Senat stellt bei der Entscheidung der Frage, ob diese Streitigkeit ?ffentlich- oder b?rgerlich-rechtlich ist, auf die wahre Natur des streitigen Rechtsverh?ltnisses ab, weil es f?r diesen Rechtsstreit an einer ausdr?cklichen Rechtswegzuweisung (Zivilgerichte oder Sozialgerichte) fehlte.
Im zu entscheidenden Streitfall fehlt es nicht an einer ausdr?cklichen Rechtswegzuweisung. Im Streit steht die Rechtm??igkeit eines Verwaltungsaktes der Stadt B, einer Gemeinde. Eine Streitigkeit ?ber die Rechtm??igkeit eines Verwaltungsakts einer Gemeinde ist immer eine ?ffentlich-rechtliche. F?r ?ffentlich-rechtliche Streitigkeiten besteht eine ausdr?ckliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers. Nach ?
40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist in allen ?ffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art die Zust?ndigkeit der allgemeinen VG gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht (z.B. einem besonderen VG - FG -) ausdr?cklich zugewiesen sind. Bei dieser allgemeinen Zust?ndigkeit der VG bleibt es auch dann, wenn die spezielle Verweisung an ein besonderes VG den Streitfall nicht ausdr?cklich erfa?t (vgl. Eyermann/Fr?hler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., ? 40 Rz. 134). Letzteres ist hier der Fall (vgl. oben 2.a). F?r eine Zuweisung des Rechtsstreits an die FG entsprechend seiner "Natur" in analoger Anwendung der Grunds?tze des Gemeinsamen Senats bleibt im Hinblick auf die grunds?tzliche Rechtswegzuweisung kein Raum.
3. Auf den Hilfsantrag der Kl?gerin war die Sache an das zust?ndige VG X unter gleichzeitigem Ausspruch der Unzul?ssigkeit des Finanzrechtswegs zu verweisen (?
34 Abs. 3 Satz 1 FGO). Die Zul?ssigkeit des Verwaltungsrechtswegs ergibt sich aus ?
40 Abs. 1 VwGO. Es liegt eine ?ffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vor, die nicht durch Bundesgesetz oder Landesgesetz einem anderen Gericht zugewiesen worden ist. Die Zust?ndigkeit des VG X ergibt sich aus ?
52 VwGO i.V.m. ? 1 Abs. 2 Buchst. f des Nordrhein-Westf?lischen Ausf?hrungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung (Gesetz- und Verordnungsblatt Nordrhein-Westfalen 1960, 47).
4. ?bereinstimmend mit dem Urteil des BFH vom 6. Oktober 1982
II R 90/79 (
BFHE 137, 192,
BStBl II 1983, 180) hat der erkennende Senat keine Entscheidung ?ber die Kosten getroffen.