Vorauswahl von Schöffen durch Fraktionen eines Kreistags
BGH, Urteil vom 19.01.1988 - Az.: 1 StR 577/87
Leitsätze:
Die Schöffenwahl ist unwirksam, wenn der Wahlausschuß sich darauf beschränkt, die von anderen Gremien getroffene Auswahl zu übernehmen und nur formal nachzuvollziehen. (amtlicher Leitsatz)
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Volltext
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 21. Mai 1987 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Raub zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision hat mit einer Verfahrensbeschwerde Erfolg; er rügt mit Recht, die Strafkammer sei mit dem Schöffen S. nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§
338 Nr. 1 StPO).
II.
Der Schöffe S. war vom Schöffenwahlausschuß beim Amtsgericht Augsburg bestimmt worden. Nach Auffassung des Senats handelte es sich hierbei nicht um eine Wahl im Sinne von §
42 GVG. Dem liegt zugrunde:
Nachdem die Vorschlagslisten der Stadt Augsburg und der zum Landkreis Augsburg gehörenden Gemeinden - Stadt- und Landkreis bilden zusammen den Amtsgerichtsbezirk Augsburg - beim Amtsgericht eingegangen waren (§
38 GVG), übersandte der zuständige Richter diese Listen
"an die Ausschüsse zur evtl. Vorauswahl in einer vorbereitenden Sitzung (Landkreis und Stadt Augsburg je eigens und getrennt nach Fraktionen)".
Das entsprach dem "Arbeitsplan zur Vorbereitung und Durchführung der Schöffenwahl 1985/88", nach dem die Schöffenwahl beim Amtsgericht Augsburg gehandhabt wurde.
Beim Landratsamt Augburg trafen sich daraufhin die vier vom Kreistag nach §
40 Abs. 3 GVG für den Schöffenwahlausschuß gewählten Vertrauenspersonen zur "Vorauswahl der Schöffen und Jugendschöffen für die Geschäftsjahre 1985/88"; so lautet die Sachbezeichnung in der über dieses Treffen von einem Verwaltungsangestellten gefertigten Niederschrift. Aus den Vorschlagslisten wurden 42 Personen - darunter der schon genannte spätere Schöffe S.- als Hauptschöffen für das Landgericht Augsburg "in die engere Wahl gezogen" und in der Niederschrift namentlich bezeichnet.
Bei der Stadt Augsburg stellten die Fraktionen der SPD, der CSU und der CSM (einer durch Abspaltung aus der CSU-Fraktion hervorgegangenen Vereinigung) getrennte Vorschlagslisten auf. Die "SPD Schöffen-Vorschlagsliste" nannte 28, die Liste der CSU 14 und die der CSM ebenfalls 14 Personen als Hauptschöffen für das Landgericht. Insgesamt waren das 56 Personen, zusammen mit den schon erwähnten 42 Personen 98; diese Zahl an Schöffen war vom Amtsgerichtsbezirk Augsburg für das Landgericht zu wählen. Die von der SPD-Fraktion vorgeschlagenen 28 Personen gehörten alle dieser Partei an, bei der CSU waren 12 der vorgeschlagenen 14 Personen Parteimitglieder, bei der CSM besaßen 15 der als Haupt- und Hilfsschöffen vorgeschlagenen 22 Personen die Mitgliedschaft dieser Vereinigung.
Wer im einzelnen an der Aufstellung der Vorschlagslisten der Fraktionen mitwirkte, ist nicht festgehalten; doch findet der Vortrag der Revision, das sei durch besondere Vorauswahl-Ausschüsse der Fraktionen (eben die im amtsgerichtlichen Arbeitsplan als Adressaten genannten "Ausschüsse") geschehen, seine Unterstützung sowohl in einem Schreiben des Stadtrats und Schöffenwahlausschußmitglieds H. (CSM) an das Amtsgericht, in dem er zwei andere Stadträte als "federführende Mitglieder des Auswahlausschusses der SPD und CSU im Augsburger Stadtrat" bezeichnet, als auch in einer telefonischen Bitte des Stadtrats und Schöffenwahlausschußmitglieds G. gegenüber dem Amtsgericht, man möge den Termin zur Schöffenwahl erst "nach dem 17.9.1984 (Fraktionsferien)" ansetzen, und in einer Mitteilung von Stadträtin und Schöffenwahlausschußmitglied K. an das Amtsgericht, sie habe von dem erkrankten Herrn G. die Vorschlagslisten übernommen:" Gestern war Fraktionssitzung; die Listen folgen".
Bei der Sitzung des Schöffenwahlausschusses lagen die Vorschlagslisten der Fraktionen vor. Es wurde zunächst über Einsprüche und Hinderungsgründe einiger Personen entschieden, die sich auf den Vorschlagslisten der Gemeinden befanden, und auf diese Weise die (für den ganzen Amtsgerichtsbezirk einheitliche) "berichtigte Vorschlagsliste" (§
42 GVG) erstellt. Anhand dieser Liste wurde sodann
"bei jedem in Aussicht genommenen und zur Wahl gestellten Kandidaten nachgeprüft, ob dieser tatsächlich in die berichtigte Vorschlagliste aufgenommen worden war. Dies war der Fall. Daraufhin wurden - einstimmig - folgende Personen gewählt ...".
Die Liste der auf diese Weise gewonnenen 98 Hauptschöffen für das Landgericht enthielt - auch in der Reihenfolge - genau die Namen der in den Vorschlagslisten der CSU, der CSM, der SPD und der vier Kreisräte aufgeführten Personen mit Ausnahme von zwei Personen, die - wie auf der SPD-Vorschlagsliste handschriftlich vermerkt - wegen geltendgemachter Überlastung und wegen früherer Schöffentätigkeit (§
34 Abs. 1 Nr. 7 GVG) nicht herangezogen, sondern durch zwei andere Personen ersetzt wurden, von denen eine in der SPD-Vorschlagsliste unter "Ersatz-Meldungen" aufgeführt war.
Wieviele Namen die "berichtigte Vorschlagsliste" des Amtsgerichtsbezirks enthielt, ist nicht vorgetragen; allein die Vorschlagsliste der Stadt Augsburg nannte jedoch 739 Personen. Allerdings waren der berichtigten Vorschlagsliste außer den 98 Hauptschöffen noch 60 Hilfsschöffen für das Landgericht sowie 84 Haupt- und Hilfsschöffen für das Amtsgericht Augsburg zu entnehmen.
Gründe
III.
Das geschilderte Verfahren verstieß gegen §
42 Abs. 1 Satz 1 GVG, wonach der Schöffenwahlausschuß die Schöffen "aus der berichtigten Vorschlagsliste wählt". Formal wurde zwar der genannten Vorschrift entsprochen: Sämtliche ausgewählten Personen waren auf der berichtigten Vorschlagsliste genannt, die vom Gesetz geforderte Zweidrittel-Mehrheit im Wahlausschuß wurde noch überschritten. Doch befaßte sich der Wahlausschuß in Wirklichkeit nicht mit der (gesamten) Vorschlagsliste; er beschränkte sich vielmehr darauf, eine Auswahl zu übernehmen und formal nachzuvollziehen, die andere, vom Gesetz nicht vorgesehene Gremien vorwegvollzogen hatten.
Schon die Übersendung der Vorschlagslisten "zur evtl. Vorauswahl" an die "Ausschüsse" und "Fraktionen" durch den Richter zeigt, daß es nicht etwa darum ging, die Mitglieder des Schöffenwahlausschusses vor der Wahl über die wählbaren Personen zu unterrichten und ihnen dadurch die Möglichkeit vorheriger Erkundigung zu geben, sondern darum, die genannten Gremien als solche zur Vorauswahl zu befähigen. Nur deren entscheidende Rolle erklärt auch, daß die Zahl der jeweils vorgeschlagenen Personen unter den Fraktionen - offenbar nach Mehrheitsverhältnissen - festgelegt war; die von der CSM vorgelegte Liste gibt bei jeder Art von Schöffen dieses Zahlenverhältnis an, so bei den Hauptschöffen für das Landgericht "56, davon 28 SPD, 14 CSU, 14 CSM". Zwischen den im Schöffenwahlausschuß gleichberechtigten Vertrauenspersonen hätte zu solcher Festlegung - die auf die gegenseitige Anerkennung eines Benennungsrechts hinauslief - kein Anlaß bestanden.
Bei der Sitzung des Schöffenwahlausschusses wurden nur Personen in Betracht gezogen, die auf einer der Vorschlagslisten der Fraktionen oder der Kreisräte standen. Das ergibt sich aus der Niederschrift, wonach "bei jedem in Aussicht genommenen und zur Wahl gestellten Kandidaten" nachgeprüft wurde, ob er in der berichtigten Vorschlagsliste genannt war, im Zusammenhang mit dem Umstand, daß dann - mit der erwähnten Ausnahme - nur diese auf den Vorschlagslisten der Fraktionen und der Kreisräte genannten Personen gewählt wurden. Die Wahl anderer Personen stand zu dieser Zeit nicht mehr zur Debatte.
Im Landkreis war die Liste der in die engere Wahl gezogenen Personen zwar nur durch Mitglieder des Schöffenwahlausschusses aufgestellt worden. Indes war auch dieser Vorgang formalisiert und wurde in einer Niederschrift des Landratsamts festgehalten; das Ergebnis wurde in die Sitzung des Schöffenwahlausschusses unverändert eingebracht und ebenso übernommen.
Ingesamt ergibt sich daher das Bild, daß die Wahl der Schöffen nicht einheitlich aus der berichtigten Vorschlagsliste des Amtsgerichtsbezirks erfolgte, sondern daß einzelne eigens damit betraute Gremien jeweils eine anteilmäßig bestimmte, vorher festgelegte und zuerkannte Anzahl von Personen auswählten und diese Auswahl dann vom Wahlausschuß als Entscheidung eben dieses jeweiligen Gremiums hingenommen und gebilligt wurde. Das war keine Wahl im Sinne von §
42 GVG.
Diese Beurteilung wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß sowohl Stadtrat als auch Kreistag, politische Gremien in parteipolitischer Zusammensetzung, zur Mitwirkung bei der Schöffenwahl gesetzlich berufen sind. Ihre Mitwirkung liegt in der Aufstellung der Vorschlagslisten (§
36 GVG) und der Bestellung der Vertrauenspersonen (§
40 Abs. 3 GVG) und beschränkt sich hierauf. Sind die Vertrauenspersonen bestellt, so sind sie in ihrer Willensbildung unabhängig (KMR 7. Aufl. Ergänzungsband zum Gerichtsverfassungsgesetz § 42 Rdn. 2). Zwar ist nicht untersagt, (nur) Mitglieder der Vertretungskörperschaften zu Vertrauenspersonen zu wählen und hierbei das Verhältnis der Fraktionen zugrunde zu legen (BGH
NStZ 1981, 150), doch sind die Vertrauenspersonen auch in diesem Fall - vom Gesetz her gesehen - nicht Vertreter der Parteien, denen sie angehören.
Der Senat übersieht nicht, daß die einzelne Vertrauensperson von den zahlreichen zur Schöffenwahl insgesamt vorgeschlagenen Personen allenfalls einen kleinen Teil kennen wird und deshalb das Bedürfnis haben kann, schon vor der Wahl die Listen zu erhalten und nähere Erkundigungen einzuziehen, sei es auch durch Unterredung mit anderen (auch parteipolitisch nahestehenden) Personen. Gegen solche das Wahlverhalten vorbereitende Maßnahmen der einzelnen Vertrauensperson wäre noch nichts einzuwenden. So war es im vorliegenden Fall jedoch nicht, vielmehr wurde das Ergebnis fremder Willensbildung als solches übernommen.
Der Verstoß gegen §
42 GVG hat die Unwirksamkeit der Wahl der Hauptschöffen für das Landgericht Augsburg im Amtsgerichtsbezirk Augsburg und damit die Unwirksamkeit der Bestellung des Schöffen S. zur Folge. Der Fehler betraf die Tätigkeit des Schöffenwahlausschusses einschließlich der des richterlichen Vorsitzenden und damit den Zuständigkeits- und Prüfungsbereich des Gerichts (vgl.
BGHSt 22, 122, 123;
33, 290, 291). Die daraus folgende vorschriftswidrige - rechtzeitig gerügte - Besetzung des Gerichts führt zur Aufhebung des Urteils (§
338 Abs. 1 Nr. 1 StPO).
Die Revision bezweifelt des weiteren die Gültigkeit der Schöffenwahl beim Amtsgericht Aichach, das ebenfalls zum Bezirk des Landgerichts Augsburg gehört. Der Kreistag des zuständigen Landkreises hatte dort die Vertrauenspersonen für den Schöffenwahlausschuß in offener Abstimmung durch einstimmigen Beschluß (Art. 45 Abs. 1 Bayerische Landkreisordnung), nicht durch geheime Wahl im Sinne von Art. 45 Abs. 3 dieses Gesetzes bestimmt, obwohl Art. 45 Abs. 4 des Gesetzes alle Entscheidungen des Kreistags, die "in diesem Gesetz oder in anderen Rechtsvorschriften als Wahlen bezeichnet werden", den Vorschriften des Art. 45 Abs. 3 unterwirft. Hierunter falle - so die Revision - auch die Wahl der Vertrauenspersonen nach §
40 Abs. 3 GVG.
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob diese Auffassung der Revision richtig ist, ob - falls dies zu bejahen wäre - die Wirksamkeit der Schöffenwahl davon berührt würde und ob dadurch die vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts im vorliegenden Fall - bei dem kein Schöffe aus dem Bezirk des Amtsgerichts Aichach mitentschieden hat - in Frage gestellt werden könnte. Der Senat neigt allerdings zu der Auffassung, die Schöffenwahl beim Amtsgericht Aichach sei jedenfalls aus den in
BGHSt 26, 206, 209 genannten Gründen gültig.