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Anforderungen an einen Ratsbeschluss über Anregungen und Bedenken zu einem Bebauungsplan

VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.11.1967 - Az.: III 796/66

Leitsätze:

Ein wirksamer Gemeinderatsbeschluß über die nach § 2 Abs. 6 S. 3 BBauG vorgebrachten Anregungen und Bedenken liegt nur dann vor, wenn der Gemeinderat über die Art und den Umfang der Anregungen und Bedenken durch die Gemeindeverwaltung informiert worden ist. Diese Informationspflicht erfüllt die Gemeindeverwaltung nicht, wenn sie das Bestehen solcher Anregungen und Bedenken nur den Fraktionsvorsitzenden des Gemeinderats oder den Mitgliedern des Bauausschusses mitteilt. (amtlicher Leitsatz)

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Gründe

Die Normenkontrollanträge sind begründet. Der Beschluß des Gemeinderats der beteiligten Stadt E. vom 18. 1. 1966, mit dem der Bebauungsplan „Am Hochwasserleitdamm“ als Satzung beschlossen wurde, leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel und ist daher ungültig.

Prüfungsmaßstab für den Bebauungsplan ist im verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren nach der übereinstimmenden Rechtsprechung aller Senate des VGH Bad.-Württ. (vgl. Beschluß des 1. Senats vom 22 7. 1966 .ESVGH 17, 101 = BaWüVBl. 1967, 27; Beschluß des 2. Senats vom 10. 12. 1965 ESVGH 16, 21 = BaWüVBl. 1966, 41; Beschluß des 3. Senats vom 6. 9. 1966 — III 469/65 —; Beschluß des 4. Senats vom 23. 6. 1964 BaWüVBl. 1964, 115; Beschluß des 5. Senats vom 31. 3. 1965 ESVGH 15, 117 = BaWüVBl. 1965, 185) sowohl höherrangiges Landes- als auch Bundesrecht. An dieser im Beschluß des 1. Senats vom 14. 3. 1963 (ESVGH 13, 71 = DÖV 1963, 760) ausführlich begründeten Ansicht wird trotz der im Schrifttum erhobenen Kritik festgehalten (vgl. VGH Bad.-Württ. Beschl, v. 9. 11. 1966 ESVGH 17, 118 = BaWüVBl. 1967, 8 und zustimmend — Obermayer DVBl. 1965, 630 mit weiteren Nachweisen auch der kritischen Stimmen).

Nach § 2 Abs. 6 S. 4 BBauG hat die Gemeinde die Anregungen und Bedenken, die während der Auslegungsfrist des § 2 Abs. 6 S. 2 BBauG zu dem Planentwurf vorgebracht worden sind, zu prüfen und das Ergebnis dieser Prüfung den Einsendern mitzuteilen. Diese Vorschrift hat die beteiligte Stadt E. verletzt.

Die Entscheidung über die fristgemäß vorgebrachten Anregungen und Bedenken fällt gemäß § 24 Abs. 1 S GemO in die Zuständigkeit des Gemeinderats (vgl. Brügelmann-Grauvogel BBauG § 2 Bem. VI 2 b und VI 7 d aa.; Zinkahn-Bielenberg BBauG § 2 Rdn. 42). Die Gemeinde hat bei der Prüfung nach § 2 Abs. 6 S. 4 BBauG darüber zu befinden, ob die Anregungen und Bedenken durch entsprechende Änderungen des Entwurfs in den Bebauungsplan aufgenommen werden können, oder ob sie unberücksichtigt bleiben müssen. Das Ergebnis dieser Prüfung betrifft unmittelbar die inhaltlichen Festsetzungen des Bebauungsplanes und findet seinen Niederschlag in seiner endgültigen Fassung. Die Prüfung der Anregungen und Bedenken ist eine wesentliche Voraussetzung für das rechtswirksame Zustandekommen eines Bebauungsplanes und damit eine notwendige Voraussetzung für die Willensbildung des Gemeinderats, der zu dem Erlaß des Satzungsbeschlusses nach § 10 BBauG berufen ist. Daraus folgt, daß nicht nur der Satzungsbeschluß, sondern auch die Prüfung der Anregungen und Bedenken selbst als; die notwendige Grundlage des Satzungsbeschl allein dem Gemeinderat vorbehalten ist und nicht etw als ein Geschäft der laufenden Verwaltung im Sinn des § 44 Abs. 2 GemO vom Bürgermeister oder einer von ihm beauftragten Dienststelle abschließend erledigt werden kann (vgl. Zinkahn-Bielenberg aaO Rdn. 42). Das schließt nicht aus, daß der Bürgermeister eine Vorprüfung selbst vornimmt oder durch das Planungsamt veranlaßt. Dem Erfordernis des § 2 Abs. 6 S. 4 BBauG ist aber nicht Genüge getan, wenn dem Gemeinderat nur das Ergebnis einer solchen Prüfung durch die Verwaltung mitgeteilt wird, denn Inhalt der nach dieser Vorschrift zu treffenden Entscheidung muß die eigene Willensbildung des Gemeinderats und darf nicht nur eine Sanktion der von der Verwaltung zu den Anregungen und Bedenken angestellten Erwägungen sein. Wegen der besonderen Bedeutung, die der Prüfung nach § 2 Abs. 6 S. 4 BBauG nicht zuletzt im Hinblick auf die nach § 1 Abs. 4 S. 2 erforderliche Interessenabwägung (auf diesen Zusammenhang weisen auch Brügelmann-Grauvogel aaO § 2 Bem. VI 7 a hin) zukommt, ist auch ein Verfahren nicht zulässig, bei dem über die vorgebrachten Anregungen und Bedenken in Ausschüssen oder Fraktionen abschließend beraten wird. Ein solches Verfahren würde die Gemeindevertretung in einer Weise binden, die mit der für den Satzungsbeschluß nach § 10 BBauG erforderlichen Entscheidungsfreiheit nicht zu vereinbaren ist. Mit dem Satzungsbeschluß nach § 10 BBauG entscheidet der Gemeinderat abschließend über den Inhalt des Bebauungsplans. Wirksam kann diese Entscheidung nur dann sein, wenn zuvor ihr gesamtes Für und Wider von dem zur Entscheidung berufenen Organ erörtert worden ist. Die wirksame Entscheidung nach § 10 BBauG setzt daher zumindest eine umfassende Information des Gemeinderats (vgl. zu dieser Informationspflicht der Verwaltung: Gönnenwein, Gemeinderecht, S. 278) über alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte und damit auch über die gemäß § 2 Abs. 6 S. 3 BBauG vorgebrachten Anregungen und Bedenken voraus, die für und gegen den Bebauungsplan in der zu beschließenden Form sprechen. Umfassend ist diese Information nur dann, wenn sie alle rechtzeitig vorgebrachten Anregungen und Bedenken, die nicht bereits in dem zur Beschlußfassung vorgelegten Planentwurf berücksichtigt worden sind, in ihrem wesentlichen Inhalt enthält, denn nur dann kann der nach § 10 BBauG gefaßte Satzungsbeschluß von der exakten Vorstellung des Gemeinderats über seine tatsächlichen und rechtlichen Wirkungen getragen sein, die für einen Beschluß von solcher Tragweite notwendig ist.

Diesen Anforderungen entspricht der Gemeinderatsbeschluß vom 18. 1. 1966 nicht.

Zum Nachweis eines geordneten Verfahrensablaufs ist es sicher wünschenswert, daß der Gemeinderat über das Ergebnis der nach § 2 Abs. 6 S. 4 BBauG durchgeführten Prüfung einen gesonderten Beschluß faßt. Das Gesetz erfordert einen solchen Beschluß, den das Protokoll vom 18. 1. 1966 nicht ausweist, jedoch nicht ausdrücklich; es geht vielmehr davon aus, daß der Beschluß, mit dem der Gemeinderat den Bebauungsplan als Satzung erläßt, in der Regel auch das Ergebnis der Prüfung der zum Bebauungsplan vorgebrachten Anregungen und Einwendungen enthält (vgl. VGH Bad.Württ. Beschl. v. 25. 7. 1967 — III 630/66 —; Zinkahn-Bielenberg aaO § 2 Rdn. 43). Das setzt aber voraus, daß die Anregungen und Bedenken auch Gegenstand der Beratungen des Gemeinderats gewesen sind, die zu dem Beschluß nach § 10 BBauG geführt haben. Der Senat konnte weder anhand des Protokolls noch auf Grund der Beweisaufnahme feststellen, daß eine diesen Anforderungen gerecht werdende. Beratung der Anregungen und Bedenken durch den Gemeinderat der beteiligten Stadt E. Grundlage des Beschlusses vom 18. 1. 1966 gewesen ist.

Aus dem Protokoll über die Gemeinderatsitzung vom 18. 1. 1966 geht hervor, daß der Stadtbaumeister „zu den von den Anwohnern der Neckarstraße geäußerten Bedenken Stellung“ nahm und bekanntgab, „daß die Anregungen, soweit dies möglich. war, berücksichtigt und die Bedenken ausgeräumt wurden“. Damit steht zwar fest, daß über die Bedenken und Anregungen zumindest einiger Anwohner im Gemeinderat gesprochen worden ist. Andererseits ist dem Protokoll aber zu entnehmen, daß dem Gemeinderat vorgetragen wurde, es bestünden gegen den Entwurf keine Bedenken mehr, da sie bereits alle von der Stadtverwaltung in einer für die Einsprechenden befriedigenden Weise berücksichtigt worden seien. Anders kann die Formulierung in dem Protokoll, daß „die Bedenken ausgeräumt wurden“, nicht verstanden werden. Entspräche diese Formulierung den Tatsachen, so hätte es einer Prüfung und eines Beschlusses nach § 2 Abs. 6 S. 4 BBauG durch den Gemeinderat nicht mehr bedurft, der Satzungsbeschluß nach § 10 BBauG, den das Protokoll ausweist, wäre rechtlich nicht zu beanstanden. Die Feststellung in dem Protokoll vom 18. 1. 1966, daß die gegen den Bebauungsplanentwurf vorgebrachten ' Bedenken ausgeräumt worden seien, stimmt jedoch mit den Tatsachen nicht überein (...) Aus dem Vorlagebericht des Stadtbauamtes vom 30. 12. 1965 und aus dem Inhalt der Schreiben vom 16. 2. 1966 an die Einsprechenden ergibt sich, daß die Stadtverwaltung nicht alle rechtzeitig vorgebrachten Bedenken ausgeräumt, d. h. berücksichtigt hatte, bevor der Gemeinderat am 18.1.1966 den Bebauungsplan als Satzung beschloß. Nach dem Protokoll vom 18. 1. 1966 hätte der Gemeinderat den Satzungsbeschluß nach § 10 BBauG danach erlassen, ohne zuvor die gegen den Bebauungsplan noch bestehenden Bedenken selbst geprüft zu haben. Das Protokoll vom 18. 1. 1966 weist den Beschluß, mit dem der Bebauungsplan vom Gemeinderat als Satzung erlassen worden ist, deshalb als fehlerhaft aus.