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Unterlassenes Ausrufen einer Bekanntmachung zur Bürgermeisterwahl

VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.09.1967 - Az.: II 271/67

Leitsätze:

1. Wo ein Akt der Gemeindeverwaltung nach der Verkündungssatzung durch Anschlag an den Verkündungstafeln und gleichzeitiges Ausrufen bekanntgemacht werden muß, ist die Verkündung gesetzwidrig, wenn das gleichzeitige Ausrufen unterblieben ist. (amtlicher Leitsatz)

2. Die Bestimmung des § 9 KomWG ist eine wesentliche Vorschrift über die Wahlvorbereitung im Sinne des § 27 Abs. 1 dieses Gesetzes. (amtlicher Leitsatz)

3. Auch ein Verstoß gegen eine wesentliche Vorschrift im Sinne des § 27 Abs.1 KomWG ist unschädlich, wenn sich ergibt, daß der Verstoß mit Sicherheit oder größter Wahrscheinlichkeit das Wahlergebnis (d.h. den Wahlerfolg) nicht beeinflußt hat. Das Gesetz verlangt insoweit keinen positiven Beweis, es begnügt sich vielmehr umgekehrt mit der Möglichkeit, daß das Ergebnis (im Sinne des Wahlerfolgs) anders ausgefallen wäre, wenn wenn die gesetzwidrige Handlungsweise unterblieben oder wenn gesetzmäßig verfahren worden wäre. (amtlicher Leitsatz)

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Gründe

9. Die Klage ist begründet. Die Wahl muß nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 KomWG für ungültig erklärt werden, weil die Bestimmung des § 9 des Gesetzes als eine wesentliche Vorschrift über die Wahlvorbereitung verletzt worden ist und das Ergebnis der Wahl dadurch beeinflußt werden konnte.

a) Nach § 9 KomWG sind die bei der Gemeinde rechtzeitig eingegangenen Bewerbungen zur Bürgermeisterwahl am zehnten Tage vor dem Wahltag öffentlich bekanntzumachen. Mit dem angefochtenen Urteil ist davon auszugehen, daß diese Bestimmung nicht eingehalten worden ist.

Nach Maßgabe der Satzung der Gemeinde J. über die Form der öffentlichen Bekanntmachungen vom 16. 8. 1956 i.d. Fass. vom 21. 4. 1960 kam im vorl. Falle eine Bekanntgabe der Bewerbungen entweder durch Anschlag an den Verkündungstafeln der Gemeinde und gleichzeitigen Hinweis durch Ausrufen (§ 1 der Satzung) oder durch Veröffentlichung im Mitteilungsblatt der Gemeinde (§ 2 der Satzung) in Betracht. Die Frage, ob eine derartige vorbehaltlose Alternative, die die Wahl der Verkündunssart für den Einzelfall dem Bürgermeister überläßt, mit § 1 Abs. 1 der 1. DVO/GemO oder mit sonstigem höherrangigen Recht vereinbar ist, kann hier offen bleiben, weil jedenfalls bei der Bekanntmachung als solcher gegen die Bestimmungen der Verkündungssatzung verstoßen worden ist.

Die Bekl. wählte die Bekanntgabe durch Anschlag an den Verkündungstafeln nach § 1 der genannten Satzung. Der nach § 1 Abs. 2 dieser Satzung gebotene gleichzeitige Hinweis durch Ausrufen ist aber unterblieben. Demnach sind die Namen der Bewerber nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Art und Weise bekanntgemacht worden. Die von der Bekl. geltend gemachte Tatsache, daß schon seit 1. 4. 1960 das Ausrufen regelmäßig unterblieben sei, vermag eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Vorschriften über die Art und Weise, auf die Akte der öffentlichen Gewalt bekanntgemacht werden müssen, dulden regelmäßig keine nachlässige Handhabung, weil nur bei strenger Beachtung gewährleistet ist, daß der Adressat rechtzeitig und vollständig von den seine Rechtssphäre betreffenden obrigkeitlichen Willensäußerungen Kenntnis nehmen kann. Eine Abänderung kraft Gewohnheitsrechts kann auf diesem Gebiete nur ganz ausnahmsweise angenommen werden und käme im vorl. Falle schon deshalb nicht in Betracht, weil dem schon § 1 Abs. 1 Nr. 3 der 1. DVO/GemO entgegenstünde. Folglich mußten nach § 9 KomWG i. V. m. der Gemeindesatzung über die Form der öffentlichen Bekanntmachungen die Namen der zugelassenen Bewerber am zehnten Tage vor dem Wahltag entweder durch Anschlag an den Verkündungstafeln und gleichzeitigen Hinweis durch Ausrufen oder aber im Mitteilungsblatt der Gemeinde bekanntgegeben werden. Weder in der einen noch in der anderen Beziehung sind die Vorbedingungen einer ordnungsmäßigen öffentlichen Bekanntmachung erfüllt: In der einen Form war sie unvollständig, weil der Hinweis durch Ausrufen unterblieben ist, in der anderen Form war sie verspätet, weil die betreffende Ausgabe des Mitteilungsblattes erst am 15. 1. 1966, also erst acht Tage vor der Wahl, erschienen ist.

Der Umstand, daß der vorgeschriebene gleichzeitige Hinweis auf die an den Verkündungstafeln vorgenommene Bekanntmachung unterblieben ist, könnte bei Beantwortung der Frage, ob ordnungsmäßig verkündet worden ist, nur dann außer Betracht bleiben, wenn angenommen werden müßte, daß durch den termingerechten Anschlag an den Verkündungstafeln tatsächlich alle wahlberechtigten Gemeindebürger oder doch die große Masse der Wahlberechtigten über die Namen der zugelassenen Bewerber am selben Tage unterrichtet worden seien. Dies ist aber gerade nicht der Fall. Kläger und Beklagte haben übereinstimmend vorgetragen, daß seit Einführung des Mitteilungsblattes im Jahre 1960 die Anschlagtafeln kaum mehr beachtet worden seien, weil alle wichtigeren Verlautbarungen im Mitteilungsblatt bekanntgegeben wurden. Es kommt aber hinzu, daß viele Wahlberechtigte als sog. Pendler außerhalb der Gemeinde arbeiten und erst am Abend an ihren Wohnort zurückkehren. Mit Rücksicht auf den frühzeitigen Einbruch der Dunkelheit während der Wintermonate und auf die Tatsache, daß die Anschlagtafeln am Abend nicht beleuchtet waren, kann daher mit Sicherheit gesagt werden, daß der Inhalt des Anschlags vom 13. 1. 1966 am selben Tage allenfalls von einer ganz geringen Zahl von Wahlberechtigten gelesen worden ist. Wäre auf den Anschlag durch Ausrufen hingewiesen worden, so hätten die auswärts arbeitenden Wahlberechtigten immerhin durch tagsüber zuhause anwesende Familienangehörige, sonstige Hausbewohner oder Nachbarn auf die Verlautbarung aufmerksam gemacht werden können. Unerheblich ist, daß die amtliche Bekanntmachung auch in der Milchsammelstelle der Gemeinde angeschlagen worden war. Abgesehen davon, daß es sich insoweit nicht um eine amtliche Verkündungstafel gehandelt hat, dürfte dadurch der Kreis derer, die möglicherweise tatsächlich rechtzeitig von dem Inhalt der Bekanntmachung Kenntnis erlangt haben, nicht nennenswert vergrößert worden sein, weil erfahrungsgemäß die Milch vielfach durch Kinder angeliefert wird, außerdem dadurch allenfalls nur der Personenkreis der Landwirte erreicht wurde und angesichts der bereits jahrelangen Vernachlässigung der amtlichen Anschlagtafeln bei amtlichen Bekanntmachungen nicht angenommen werden kann, daß dem Anschlag in der Milchsammelstelle sonderliche Beachtung geschenkt worden ist.

Nach allem muß daher davon ausgegangen werden, daß erst mit der Ausgabe des Mitteilungsblattes der Gemeinde am 15. 1. 1966, also acht Tage vor der Wahl, die Namen der zugelassenen Kandidaten der breiten Öffentlichkeit bekanntgeworden sind.

b) Die Bestimmung des § 9 KomWG ist eine wesentliche Vorschrift über die Wahlvorbereitung i.S. des § 27 Abs. 1 des Gesetzes. Dies gilt sowohl für die öffentliche Bekanntmachung als solche wie auch für die vorgeschriebene Frist. Durch die öffentliche Bekanntmachung erfährt der Wahlberechtigte die Namen der zugelassenen Bewerber. Er kann sich über deren Person und Qualifikation informieren, wie umgekehrt der Bewerber durch die öffentliche Bekanntgabe seiner Zulassung erst gewissermaßen die Legitimation erhält, innerhalb der Wählerschaft für seine Kandidatur zu werben.

c) Es kann auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, daß durch die Verletzung des § 9 KomWG das Ergebnis der Wahl beeinflußt worden ist. Das Argument, die mangelhafte — weil entweder unvollständige oder verspätete — öffentliche Bekanntgabe der Bewerber könne sich als ein geringfügiger Verstoß auf das Wahlergebnis praktisch nicht ausgewirkt haben, hält näherer Prüfung nicht stand. Auch ein Verstoß gegen eine wesentliche Vorschrift im Sinne des § 27 Abs. 1 Nr. 2 KomWG ist allerdings unschädlich, wenn sich ergibt, daß der Verstoß das Wahlergebnis mit Sicherheit oder größter Wahrscheinlichkeit nicht beeinflußt hat. Dieser Nachweis kann jedoch im vorl. Falle nicht erbracht werden.

Dem wahlrechtlichen Gebot der theoretischen Chancengleichheit ist nicht schon dadurch genügt, daß jeder Bewerber Gelegenheit hat oder erhält, mit den Wahlberechtigten in Verbindung zu treten, Wahlversammlungen abzuhalten oder auf sonstige Weise Wahlpropaganda zu treiben. Die Aussichten des einen oder anderen Kandidaten steigen oder fallen nicht nur im eigentlichen Wahlkampf, d.h. anläßlich ihres Auftretens in der Öffentlichkeit oder durch sonstige Werbung seitens der Kandidaten, sondern, zumal in kleineren Verhältnissen, wo die öffentliche Wahlpropaganda erfahrungsgemäß nur einen geringen Umfang erreicht, auch in der Aussprache der Wahlberechtigten untereinander. Wenn aber der Gesetzgeber — gleichviel aus welchen Gründen, wohl aber auch, um der grundsätzlich mit jeder Wahl verbundenen Gefahr unliebsamer Begleiterscheinungen vorzubeugen. — den Zeitraum zwischen dem Ende der Bewerbungsfrist und dem Wahltag, wie in § 47 GemO geschehen, auf höchstens 15 Tage und die Spanne zwischen der öffentlichen Bekanntgabe der zugelassenen Kandidaten und dem Wahltag, wie in § 9 KomWG geschehen, auf nur 10 Tage beschränkt, dann kann nach allem auch ein an und für sich gesehen geringfügiger Verstoß gegen die Fristbestimmung des § 9 KomWG das Wahlergebnis beeinflussen. Es muß berücksichtigt werden, daß insbesondere auswärtige Kandidaten erst nach öffentlicher Bekanntgabe ihrer Zulassung ernsthaft „ins Gespräch“ kommen und ihre Eignung für das zu übertragende Amt erst ab diesem Zeitpunkt diskutiert wird. Es mag durchaus zutreffen, daß jeder, der sich für die Wahl besonders interessierte, auch genügend Zeit hatte, sich über die Kandidaten zu informieren; zu denken ist aber auch an die große Zahl derer, deren Interesse an der Wahl erst durch die öffentliche Diskussion geweckt und deren Meinung über die Qualifikation der Bewerber vorwiegend dadurch gebildet wird. Durch eine mangelhafte öffentliche Bekanntmachung der Namen der zugelassenen Kandidaten wird aber der ohnehin bestehende und die tatsächliche Chancengleichheit beeinträchtigende Publizitäts- und u.U. auch Popularitätsvorsprung der ortsansässigen Bewerber noch weiter zuungunsten auswärtiger Bewerber vergrößert. Daß dadurch bei der kurzen gesetzlichen Frist von nur zehn Tagen bis zum Wahltag auch das Wahlergebnis möglicherweise beeinflußt worden ist, kann nicht. widerlegt werden. Von den 979 abgegebenen gültigen Stimmen bei 1'137 Wahlberechtigten entfielen auf den Beigeladenen 540. Damit waren in der Person des Beigel. die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 S. 3 GemoO (mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen und. mindestens ein Drittel der Stimmen aller Wahlberechtigten) für eine erfolgreiche Wiederwahl erfüllt. Hätte aber der Beigel. nur 50 Stimmen weniger erhalten, so hätte er die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen um eine Stimme verfehlt und wäre nach Maßgabe des § 45 Abs. 2 GemO eine Neuwahl mit ungewissem Ausgang erforderlich geworden. Daß bei ordnungsmäßiger fristgerechter öffentlicher Bekanntmachung der zugelassenen Kandidaten den unterlegenen Kandidaten 50 Stimmen mehr zugefallen wären, kann nicht ausgeschlossen werden. Das Gesetz verlangt insofern keinen positiven Beweis - ein solcher könnte aus mannigfaltigen Gründen, insbesondere auch wegen des Wahlgeheimnisses, nie geführt werden -, es begnügt sich vielmehr mit der Möglichkeit, daß das Ergebnis (i. S. des Wahlerfolgs) anders ausgefallen wäre, wenn die gesetzwidrige Handlungswelse unterblieben oder wenn gesetzmäßig verfahren worden wäre. Diese Möglichkeit einer Beeinflussung des Wahlergebnisses ist im vorl. Falle - wo bereits eine dem Beigel. nachteilige Entscheidung von nur 50 weiteren Wahlberechtigten, d.h. von nur weiteren 5% der gesamten Wählerschaft, einen anderen Ausgang, der Wahl herbeigeführt hätte — keine so entfernte, daß sie für eine an der Lebenswirklichkeit orientierte Betrachtungsweise vernachlässigt werden könnte. Dafür spricht auch das große Interesse, das die Wählerschaft an dieser Bürgermeisterwahl durch die hohe Wahlbeteiligung von 86 % bekundet hat, und die Tatsache, daß der auswärtige Bewerber E., dessen Name wegen Versäumung der Bewerbungsfrist auf den Wahlzetteln nicht aufgeführt war, nach dem Beigel. die meisten Stimmen erhalten hat.