Vorübergehende Entfernung einer zur Bekanntmachung ausgehängten Satzung
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.10.1962 - Az.: IV 375/62
Leitsätze:
Die formgerechte öffentliche Bekanntmachung einer Satzung durch Anschlag an der Verkündungstafel des Rathauses wird nicht dadurch rechtlich beeinträchtigt, daß der Anschlag während der vorgeschriebenen Dauer der Verkündung vorübergehend entfernt wird. (amtlicher Leitsatz)
Kategorien:
Volltext
Gründe
I. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist die Satzung der Gemeinde ... über den Anschluß an die öffentliche Wasserversorgung und über die Abgabe von Wasser (Wasserabgabesatzung vom 25.10.1960) - WAbgS - ohne Verletzung der einschlägigen Rechtsvorschriften bekanntgemacht worden. Die Ansicht des Verwaltungsgerichts, der vom Kläger angefochtene Gebührenbescheid sei schon deshalb rechtswidrig, weil ihm infolge fehlerhafter Bekanntmachung der Wasserabgabesatzung keine gültige Norm zugrunde liege, kann deshalb nicht geteilt werden.
Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Gemeindeordnung für Baden-Württemberg vom 25.7.1955 (GBl. S. 129) - GemO - sind Satzungen der Gemeinden öffentlich bekanntzumachen. Öffentliche Bekanntmachungen der Gemeinden können nach § 1 Abs. 1 Erste Verordnung des Innenministeriums zur Durchführung der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg vom 31.10.1955 (GBl. S. 235) - 1. DVO GemO - soweit keine sondergesetzlichen Bestimmungen bestehen,
1. durch Einrücken in das eigene Amtsblatt der Gemeinde,
2. durch Einrücken in eine bestimmte Tageszeitung oder
3. durch Anschlag an der Verkündungstafel des Rathauses und an den sonstigen hierfür bestimmten Stellen während der Dauer von mindestens einer Woche durchgeführt werden, wobei gleichzeitig auf geeignete Weise auf den Anschlag aufmerksam zu machen ist.
Die Form der öffentlichen Bekanntmachung ist im einzelnen durch Satzung zu bestimmen.
Nach § 1 Satzung der Gemeinde ... über öffentliche Bekanntmachungen vom 8.7.1956 ergehen ihre öffentlichen Bekanntmachungen vorbehaltlich sondergesetzlicher Bestimmungen durch Anschlag an der Verkündungstafel des Rathauses während der Dauer von einer Woche. Auf den Anschlag wird durch Ausrufen hingewiesen. Da für die Bekanntmachung der Wasserabgabesatzung nichts Besonderes gilt, mußte sie von der Beklagten nach diesen Vorschriften bekanntgemacht werden.
Die Wasserabgabesatzung der Beklagten war abgesehen von der noch zu erörternden Unterbrechung über eine Woche an der Verkündungstafel des Rathauses angeschlagen, nachdem die Einwohner der Gemeinde durch Ausruf rechtzeitig auf den Anschlag aufmerksam gemacht worden waren. Allerdings wurde die angeschlagene Satzung am dritten Tage nach Beginn ihrer Bekanntmachung unbefugt von der Verkündungstafel entfernt, jedoch spätestens nach einer Stunde durch eine neue Ausfertigung ersetzt. Immerhin unterblieb während dieser Zeit die Bekanntmachung der Satzung. Die Frage, ob während dieser Zeit Bewohner der kleinen Gemeinde sich überhaupt für die Anschläge an der Verkündungstafel interessierten, kann weder bejaht noch verneint werden.
Die Entscheidung über die rechtlichen Folgen des zeitweisen Fehlens des Anschlags richtet sich nach dem mit der Bekanntmachung verfolgten Zweck. Die allgemeine Kundmachung der Satzungen der Gemeinden ist nicht nur durch die Gemeindeordnung zwingend vorgeschrieben, sondern auch ein unerläßliches rechtsstaatliches Erfordernis ihrer Verbindlichkeit. Die Bekanntmachung von Rechtsvorschriften erfüllt ihren Zweck am vollkommensten, wenn sie in einem amtlichen Verkündungsblatt des rechtsetzenden Organs veröffentlicht werden. Auf diese Weise können alle Personen und Behörden, welche die Rechtsvorschriften anzuwenden haben oder durch sie sonst betroffen werden, auch noch lange nach ihrem Inkrafttreten sich jederzeit über das geltende Recht unterrichten. Dieser bei Bund und Ländern gebräuchlichen Form der Bekanntmachung entspricht § 1 Abs. 1 Nr. 1 der 1. DVO GemO, nach dem die Gemeinden Satzungen in ihrem Amtsblatt bekannt machen können.
Die Gemeinden (vgl. ferner § 1 der 1. DVO zur Landkreisordnung vom 25.11.1955 (GBl. S. 263); § 1 der 1. DVO zum Polizeigesetz vom 27.3.1956 (GBl. S. 79); § 1 Abs. 2 Gesetz über die Verkündigung von Rechtsvorschriften in der Fassung vom 18.11.1957 (GBl. S. 139)) sind jedoch mit Rücksicht auf den geringeren räumlichen und persönlichen Geltungsbereich ihrer Rechtsvorschriften und aus Gründen der geschichtlichen Überlieferung bei der öffentlichen Bekanntmachung freier gestellt. Die Eigenart des kommunalen Bekanntmachungswesens kam in dem früheren Gemeinderecht vor allem dadurch zum Ausdruck, daß nach § 4 Erste DVO zur Deutschen Gemeindeordnung vom 22.3.1935 (RGBl. I S. 393) in Gemeinden mit weniger als 10 000 Einwohnern öffentliche Bekanntmachungen "in ortsüblicher Weise" erfolgen durften. Demnach konnte eine Satzung durch bloßen Ausruf, das sogenannte Ausschellen, wirksam bekanntgemacht werden, obwohl von vornherein feststand, daß nur ein geringer Teil des Personenkreises, auf den die Satzung während ihrer mehr oder weniger langen Geltungsdauer Anwendung fand, von ihrer öffentlichen Bekanntmachung Kenntnis nehmen konnte. Diese Form der Bekanntmachung ist zwar seit Inkrafttreten der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg nicht mehr zulässig. Indessen besteht für die Gemeinden auch heute noch kein Zwang, ihre Vorschriften in einem Amtsblatt zu veröffentlichen. Statt dessen können sie sich auch einer oder mehrerer im Gemeindegebiet verbreiteter Tageszeitungen bedienen, deren Wahl ihnen völlig freigestellt ist. Immerhin steht hier durch den Bezug der Zeitung, den Erwerb von Einzelstücken oder die spätere Beschaffung von Verlagsexemplaren der amtlich veröffentlichte Text der Rechtsvorschrift einem Teil der von ihr betroffenen Personen zur Verfügung. Bei der dritten Form der öffentlichen Bekanntmachung, dem Anschlag an der Verkündungstafel, gelangt der Text der Rechtsvorschrift hingegen durch ihre öffentliche Bekanntmachung nicht in die Hände des ihr unterworfenen Personenkreises. Während somit nach Abnahme des zeitlich begrenzten Anschlags an der Verkündungstafel von der öffentlich bekanntgemachten Vorschrift allenfalls durch die Gewährung von Einsicht in die Akten der Gemeinde oder Herstellung rechtlich unverbindlicher Abschriften Kenntnis genommen werden kann, ist dies bei den anderen beiden Bekanntmachungsformen grundsätzlich jedermann zu jeder beliebigen Zeit möglich. Da die durch Anschlag bekanntgemachte Satzung auch für alle Personen gilt, die wegen Ortsabwesenheit, Krankheit oder aus anderen von ihnen nicht zu vertretenden Gründen außerstande waren, während der Dauer des Anschlags die Bekanntmachung zu lesen, und die öffentliche Bekanntmachung auch nicht später zur Kenntnis nehmen konnten, weil sie – anders als bei ihrem Einrücken in einem amtlichen Publikationsorgan – mit der Abnahme des Anschlags beendet war, kann die Bekanntmachung einer Satzung durch Anschlag an der Verkündungstafel nicht die alleinige oder hauptsächliche Aufgabe haben, die von ihr erfaßten Personen über ihre künftigen Rechte und Pflichten zu unterrichten. Hiervon kann um so weniger die Rede sein, als Satzungen vielfach Tatbestände regeln, die erst lange nach ihrem Inkrafttreten – z. B. durch Niederlassung in der Gemeinde, Erreichen eines bestimmten Lebensalters u. v. a. m. – verwirklicht werden oder wegen ihres Umfanges und ihrer rechtlichen Schwierigkeiten nicht richtig verstanden werden können oder im Gedächtnis bleiben, wenn sie nur an der Verkündungstafel gelesen werden können. Unbeschadet dessen, daß der Anschlag öffentlicher Bekanntmachungen an der Verkündungstafel auch der Unterrichtung der Bevölkerung dient, erschöpft sich in diesem Zweck jedenfalls nicht die Bekanntmachung von Rechtsvorschriften. Ebensowenig wie die gültige Bekanntmachung in einem Amtsblatt der Gemeinde davon abhängt, daß sie von allen Betroffenen oder gar von jedermann zur Kenntnis genommen werden kann (vgl.
BSGE 3, 161), erfordert die rechtswirksame Bekanntmachung durch Anschlag, daß während seiner Dauer jeder Einwohner oder sonstige Interessierte sie lesen konnte.
Die vom Verwaltungsgericht vertretene Ansicht, während der einwöchigen Dauer des Anschlags habe die an der Verkündungstafel zur Veröffentlichung bestimmte Satzung nicht eine Stunde lang abgenommen werden dürfen, kann nicht geteilt werden. Die Möglichkeit der Einwohner zur ununterbrochenen Kenntnisnahme öffentlicher Bekanntmachungen wird schon dadurch eingeengt, daß der Gesetzgeber es den Gemeinden überlassen hat, ob sie die Verkündungstafel außerhalb oder innerhalb des Rathauses anbringen wollen. Wenn eine kleine Gemeinde nur eine Verkündungstafel besitzt, kann sie somit praktisch die tägliche Dauer des Anschlags auf die Zeit beschränken, während der das Rathaus geöffnet ist. Da ferner Verkündungstafeln nicht beleuchtet zu werden brauchen und tatsächlich nicht beleuchtet zu werden pflegen, können auch Anschläge an ständig zugänglichen Verkündungstafeln regelmäßig nicht während des ganzen Tages gelesen werden, sofern nicht eine eigene Lichtquelle zu Hilfe genommen wird (vgl. OVG Münster, Urteil v. 21.4.1954 in DVBl. 1955 S. 334). Den Gemeinden ist es ferner überlassen, die Zahl der Verkündungstafeln und die Örtlichkeiten, an denen sie im Gemeindegebiet angebracht werden, zu bestimmen. Die Frage, ob diese Freiheit begrenzt ist und große Gemeinden von der Möglichkeit der öffentlichen Bekanntmachung durch Anschlag überhaupt keinen Gebrauch machen dürfen, so daß u. U. die an sich vorschriftsmäßig bekanntgemachten Satzungen unwirksam sind, weil die Gemeinden sie an einer unzureichenden Zahl von Verkündungstafeln ausgehängt oder wegen ihrer Größe von dieser Bekanntmachungsform gar keinen Gebrauch machen dürften, wird man für das in Baden-Württemberg geltende Recht wohl verneinen müssen (PrOVG 96, 122; vgl. aber H. J. Wolff, Verwaltungsrecht, II § 28 I a 3).
Nach alledem ist der Anschlag an der Verkündungstafel zwar ein den beiden anderen Formen gleichwertiges Mittel der öffentlichen Bekanntmachung, tatsächlich jedoch eine Form der Bekanntmachung, bei der es der Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen hat, daß diejenigen, an die sich die bekanntgemachte Satzung wendet, von ihrer öffentlichen Bekanntmachung im Gegensatz zu Veröffentlichungen in Amtsblättern überhaupt keine Kenntnis nehmen können oder konnten. Für die wirksame Bekanntmachung durch Aushang muß es deshalb genügen, daß durch rechtzeitigen öffentlichen Hinweis eine unbegrenzte Zahl von Personen Gelegenheit hatte, während einer Woche den Inhalt des Anschlags zur Kenntnis zu nehmen. Dadurch wird der - wegen der unterbliebenen schriftlichen Verbreitung der Satzung nicht ganz unbegründeten - Besorgnis, es werde später eine vom Text der veröffentlichten Norm abweichende Rechtsvorschrift angewandt, im Rahmen des Möglichen begegnet. Der Umstand, daß der Anschlag während dieser Zeit vorübergehend entfernt worden war oder aus sonstigen Gründen nicht gelesen werden konnte, ist demnach unschädlich, wenn trotz dieser Beschränkung seiner Publikation einem unbestimmten Personenkreis die Möglichkeit gegeben war, die Satzung zu lesen. Die Auffassung, daß jeder, der sich für den Anschlag interessierte, Gelegenheit haben mußte, ihn zu lesen, bedeutet demgegenüber eine Überspannung der Anforderungen an die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Bekanntmachung, die mit der rechtlichen und praktischen Bedeutung des Anschlags nicht in Einklang zu bringen ist und nach der zutreffenden Ansicht der Beklagten auch zu einer Entwertung dieser Bekanntmachungsform führen könnte, wenn es sich herumspräche, daß man durch kurzfristiges Entfernen des Anschlags an einer der mitunter zahlreichen Verkündungstafeln das Inkrafttreten einer mißliebigen Rechtsnorm verhindern könnte.
II. Die dem angefochtenen Gebührenbescheid zugrunde liegende Vorschrift der Wasserabgabesatzung ist jedoch aus einem anderen Grunde ungültig. Die Beklagte durfte nach § 4 Abs. 1 GemO und Art. 14 Gesetz über den Finanz- und Lastenausgleich vom 15.5.1939 (RegBl. S. 59) - FAG - in Verbindung mit § 21 Abs. 3 Finanzausgleichsgesetz vom 21.1.1958 (GBl. S. 10) für die Benutzung von Einrichtungen, die sie im öffentlichen Interesse unterhält, in einer Satzung besondere Vergütungen - Benutzungsgebühren - festsetzen. Da die Wasserversorgung in ... als öffentliche Einrichtung der Gemeinde betrieben wird und zwischen der Gemeinde und den Wasserabnehmern ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis besteht (§ 1 WAbgS), kann demnach die Beklagte vom Kläger für seine Teilnahme an der Wasserversorgung Gebühren erheben. Neben den laufenden Gebühren, dem Wasserzins, für die ständige Bereithaltung des Wassers und als Entgelt für die verbrauchten Wassermengen (§ 22 WAbgS) kann die Beklagte zur Abgeltung ihrer Kosten für die Herrichtung der Quellenanlage, den Bau der Pumpstation und des Hochbehälters und die Legung der Versorgungsleitungen von jedem Eigentümer oder sonstigen dinglichen Berechtigten, dessen Grundstück an die Wasserleitung angeschlossen wird, eine einmalige Gebühr, die Anschlußgebühr, erheben (§ 21 WAbgS). Die Erhebung der einmaligen Gebühr neben den laufenden Gebühren ist nach der ständigen Rechtsprechung des Preußischen OVG (vgl. Surén, Gemeindeabgabenrecht, 1960, Erl. 17 zu § 4 KAG) und des OVG Münster (Urteil vom 5.8.1959 in KStZ 1960 S. 33), die auch für die Gebühren nach Art. 14 FAG sinngemäß angewandt werden kann (VGH Bebenhausen, Urteil vom 18.5.1956 in KStZ 1957 S. 185), zulässig. Die Anschlußgebühr wird erhoben für das Nehmen eines neuen Anschlusses und die Bereithaltung des Wasserversorgungsnetzes; sie ist nach ständiger Rechtsprechung eine Benutzungsgebühr (PrOVG 62, 137; Hess. VGH, Urteil vom 26.2.1954, ESVGH 3, 174; VGH Bebenhausen, aaO; OVG Münster, Urteil vom 25.5.1955 in VerwRspr. Band 8 Nr. 177).
Nach § 21 Abs. 1 WAbgS beträgt die Anschlußgebühr bei Neubauten mit einer Baukostensumme bis zu 10 000,- DM 100,- DM (Grundbetrag) und für je angefangene weitere 10 000,- DM Baukosten 30,- DM (Steigerungsbetrag). Da die Beklagte auf Grund der Angaben des Klägers bei Einreichung seiner Baugesuche angenommen hat, seine Baukosten für das landwirtschaftliche Anwesen hätten sich auf 35 000,- DM belaufen und die Errichtung seines Wohnhauses habe 44 280,- DM gekostet, hat sie bei ihm eine Anschlußgebühr von 310,- DM erhoben.
Der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit (Art.
20 Abs. 3 GG, Art. 58 LV) verlangt, daß Eingriffe in die Rechtssphäre des Gebührenpflichtigen voraussehbar, meßbar und berechenbar sind, wobei es die Rechtsprechung genügen läßt, daß der Pflichtige die von ihm geschuldete Leistung wenigstens annähernd oder ungefähr berechnen kann (
BVerwGE 2, 114; BayVerfG. Entscheidung vom 21.10.1960 in VerwRspr. Band 13 Nr. 119 mit Nachweisen; Surén, aaO Erl. 6 a und C zu § 7 KAG). Sofern die Satzung die Bemessungsgrundlage für die Gebühr nicht eindeutig bestimmt und die Höhe der Gebühr davon abhängt, wie der für die Gebührenberechnung maßgebende Begriff ausgelegt wird, genügt die Satzung nicht den rechtsstaatlichen Erfordernissen. Denn in diesem Falle kann der Gebührenpflichtige der Norm nicht entnehmen, welche Gebühr er schuldet. Demgegenüber kann nicht eingewendet werden, die Gemeinde könne sich durch ständige gleiche Auslegung des betreffenden Rechtsbegriffes in einem bestimmten Sinne für ihre künftige Rechtsanwendung gebunden haben. Denn die Gültigkeit einer Norm richtet sich nicht nach ihrer Anwendung im Einzelfall, sondern nach ihrem Inhalt, der durch Auslegung der Vorschrift zu ermitteln ist. Andernfalls würde in unzulässiger Weise den Organen, welche die Norm anzuwenden haben, die Befugnis eingeräumt werden, an Stelle des Rechtsetzungsorgans den Inhalt der Norm zu bestimmen. Auf dem Gebiet des Gebührenrechts erfordert deshalb die rechtsstaatliche Ordnung, daß ein eindeutiger Maßstab für die Bemessung der Gebühr aufgestellt oder er zumindest soweit bestimmt ist, als es der besondere Gegenstand der Abgabe zuläßt.
Ob diesen Anforderungen der in der Wasserabgabesatzung der Beklagten verwendete Begriff der Baukostensumme gerecht wird, kann zweifelhaft sein. Denn unter ihr kann man entweder die Kosten des Gebäudes im Sinne der sog. reinen Baukosten oder die Baukosten im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 Verordnung über Wirtschaftlichkeit- und Wohnflächenberechnung nach dem Ersten Wohnungsbaugesetz (Erste Berechnungsverordnung) vom 20.11.1950 (
BGBl. I S. 753) in der Fassung vom 17.10.1957 (BGBl. I S. 1731) - I. BVO - verstehen (vgl. ferner Anl. 1 zur II. BVO BGBl. I S. 1733)). Wenn unter dem Begriff der Baukostensumme der Wasserabgabesatzung die Baukosten i. S. der I. BVO zu verstehen sind, fallen unter sie nicht nur die reinen Baukosten, sondern auch die Kosten der Außenanlagen, Baunebenkosten, Kosten besonderer Betriebseinrichtung und Kosten des Geräts und sonstiger Wirtschaftsausstattungen. Im allgemeinen ist heute der letztere Begriff der Baukosten üblich (vgl. Handwörterbuch des Städtebaus, Wohnungs- und Siedlungswesens, Artikel Baukosten und Gesamtherstellungskosten). Entgegen dieser Übung hat die Beklagte ihrer Gebührenberechnung, ohne die dem Kläger tatsächlich entstandenen Baukosten weiter festzustellen, seine Angaben im Baugenehmigungsverfahren über die voraussichtlichen reinen Baukosten zugrundegelegt. Aus der Wasserabgabesatzung und dem Wesen der Anschlußgebühr ist nicht sicher zu entnehmen, ob mit der Baukostensumme die reinen Baukosten oder die Baukosten im weiteren Sinne gemeint sind. Auch wenn für das Gemeindeabgabenrecht im Lande Baden-Württemberg nicht die strenge Auffassung des OVG Münster (Urteil vom 13.6.1962 in KStZ 1962 S. 175) geteilt wird, daß unbestimmte Rechtsbegriffe kein zulässiger Maßstab für die Festsetzung von Gebühren seien, spricht für die Richtigkeit seiner Ansicht vieles, daß nämlich der Begriff der Bausumme oder Baukostensumme ein rechtlich ungeeigneter Maßstab für die Berechnung der Höhe der Gebühren ist, weil die Anschlußgebühr je nach der Auslegung des Begriffes verschieden hoch ist (vgl. auch PrOVG 62, 66).
III. Die Baukosten der Neubauten, die an die Wasserleitung angeschlossen werden, sind aber auch dann ein unzulässiger Bemessungsmaßstab für die Wasseranschlußgebühr, wenn die Wasserabgabesatzung sie als reine Baukosten oder als Baukosten im weiteren Sinne eindeutig bestimmt hätte.
Nach einem allgemein anerkannten Grundsatz des Gebührenrechts hat der Gebührenmaßstab die Gleichmäßigkeit der Belastung der Benutzer zu wahren und den unterschiedlichen Vorteilen der einzelnen Benutzer und der gemeindlichen Aufwendungen für sie Rechnung zu tragen. Die Gebühren müssen deshalb in einer entsprechenden Beziehung zur Benutzung der Gemeindeeinrichtung und dem Interesse des Gebührenpflichtigen an der Benutzung stehen. Dies gilt sowohl für die laufenden als auch für die einmaligen Gebühren (Surén, aaO, Erl. 19 d zu § 4 KAG; Pr. OVG 66, 159; BayVGH, Urteil vom 15.1.1959, VerwRspr. Bd. 11 Nr. 232; 1. Senat des Bad.-Württ. VGH, Urteil vom 23.3.1959 ESVGH 9, 49 = DÖV 1959 S. 466). Wie schon der 3. Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung und dem Schrifttum dargelegt hat (Urteil vom 12.10.1961, Ba.-WüVBl. 1962 S. 60; ferner Württ. GemZtg. 1959 S. 319; OVG Münster, Urteil vom 5.8.1959 in KStZ 1960 S. 33), braucht die Gebühr, insbesondere eine Anschlußgebühr, nicht unbedingt nach dem Betrag berechnet zu werden, der im Einzelfall der tatsächlichen Benutzung entspricht ("Wirklichkeitsmaßstab"), sondern es genügt ein Maßstab, der ungefähr den durchschnittlichen Vorteilen der Benutzer und der wahrscheinlichen Inanspruchnahme der Gemeindewasserversorgung durch die Abgabepflichtigen entspricht ("Wahrscheinlichkeitsmaßstab").
Da das "Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung" (PrOVG 70, 149) nur ein Grundsatz ist, können, wie der 1. Senat aaO zutreffend ausgeführt hat, auch gewisse Ungenauigkeiten zum Vor- oder Nachteil der Gemeinde oder der Abgabepflichtigen in Kauf genommen werden, zumal da eine genaue Ermittlung aus wirtschaftlichen Gründen wenig sinnvoll oder technisch unmöglich sein kann. Zwar können die Gemeinden weitgehend frei darüber entscheiden, welchen Maßstab für die Bemessung der Gebühr sie wählen wollen (Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl., S. 389; Surén, aaO Erl. 12 zu § 4 KAG; Seeger in VerwPrax. 1955 S. 235). Soweit die bloße Zweckmäßigkeit des Maßstabes für die Gebührenerhebung in Frage steht, unterliegt die Gebührensatzung nicht der verwaltungsgerichtlichen Prüfung. Jedoch ist es den Gemeinden verwehrt, einen Maßstab aufzustellen, der den oben erwähnten Grundsatz offensichtlich dadurch verletzt, daß nicht einmal im Durchschnitt die Gebühr den Vorteilen der Gebührenpflichtigen entspricht. In diesem Falle ist die Regelung willkürlich und ungültig, so daß sie keine Rechtsgrundlage für die Gebühr bilden kann (PrOVG 66, 159; 95, 33; Hessischer VGH, Urteil vom 10.9.1958, ESVGH 9, 44).
Da nach § 21 WAbgS die Anschlußgebühr nach der Baukostensumme berechnet wird, hat die Beklagte einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab gewählt. Dieser Maßstab kann, wie sich aus folgendem ergibt, nicht einmal im Durchschnitt zu einem Ergebnis führen, welches der Leistung der Gemeinde und den Vorteilen der Abgabepflichtigen entspricht, den sie durch den Wasseranschluß erlangen. Während in Gemeinden, in denen noch keine Wasseruhren eingebaut sind, der Wasserzins vielfach - in zulässiger Weise - nach der Zahl der Wohnräume oder Bewohner je Haushalt bemessen wird und für gewerbliche und landwirtschaftliche Bauten ein Sondertarif gilt, weil man erfahrungsgemäß davon ausgehen kann, daß die verbrauchte Wassermenge ungefähr der Größe der Haushaltgemeinschaft oder der sonstigen besonderen Zweckbestimmung des Gebäudes entspricht, bemißt die Beklagte die einmalige Benutzungsgebühr nicht nach derartigen Merkmalen, sondern nach der Höhe der Baukosten. Indessen kann nicht anerkannt werden, daß der Wasserverbrauch auf einem Grundstück im allgemeinen mit der Höhe der Baukosten des Gebäudes steigt. Daß dies nicht zutrifft, geht schon daraus hervor, daß die Baukosten je nach der Bausweise, der Zweckbestimmung des Gebäudes, dem von der Konjunktur bedingten Ergebnis der Bauausschreibung und der heute vielfach anzutreffenden Eigenhilfe des Bauherrn erhebliche Unterschiede aufweisen. Infolgedessen ist es leicht möglich, daß ein im sozialen Wohnungsbau erstelltes Dreifamilienhaus nicht wesentlich teurer kommt als das Einfamilienhaus eines finanziell gutgestellten kinderlosen Ehepaares. Da nun der Vorteil des Wasseranschlusses und der voraussichtliche Wasserverbrauch für die Bewohner des größeren Hauses insgesamt gesehen weit größer als für die Personen des anderen Hauses ist, dieser Unterschied jedoch bei der Bemessung der Wasseranschlußgebühr bei Zugrundelegung der Baukostensumme nicht oder unverhältnismäßig wenig Berücksichtigung findet, sind die Baukosten offensichtlich ein ungeeigneter Maßstab für die Berechnung. Man kann auch heute nicht mehr als Regel gelten lassen, daß in einem teueren Bau der Wasserverbrauch größer als in einem etwa ebenso großen billigeren Gebäude sei. Der Wasserverbrauch in den einzelnen Bauten hängt vielmehr von ganz anderen Umständen ab, zu denen z. B. die Zahl der Wohnungen, der Badezimmer, Wasserzapfstellen und Wasserklosetts gehören. Die Unzulässigkeit des von der Beklagten gewählten Maßstabes kommt auch darin zum Ausdruck, daß die Satzung nicht einmal zwischen den Kosten für Wohngebäude und landwirtschaftliche und gewerbliche Bauten unterscheidet, obwohl die Benutzung des Wasseranschlusses von der Zweckbestimmung des Gebäudes fraglos sehr stark beeinflußt wird. Denn die Verlegung der Wasserleitung in ein Stallgebäude läßt sich nicht mit der Wasserversorgung eines Wohngebäudes vergleichen und die Baukosten ganz oder teilweise gewerblich genutzter Gebäude (z. B. Metzgereibetriebe) bringen gleichfalls keinen mit den Baukosten reiner Wohngebäude vergleichbaren Maßstab für die Bemessung der Leistung der Gemeinde auf dem Gebiet der Wasserversorgung zum Ausdruck. Die Ungeeignetheit der Baukosten als Bemessungsmaßstab der Benutzungsgebühren für die Inanspruchnahme der gemeindlichen Wasserversorgung würde besonders ins Auge fallen, wenn er für die laufenden Gebühren maßgebend wäre. Denn dann wäre erst recht offensichtlich, daß die Gemeinde von einem falschen Erfahrungssatz und einem unrichtigen Wahrscheinlichkeitsmaßstab ausgegangen wäre, der den gebührenrechtlichen Grundsatz, daß Leistung und Gegenleistung einander entsprechen müssen (sog. Äquivalenzgrundsatz
BVerwGE 12, 162) zur Fussnote 1), und den Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung aller Abgabepflichtigen gröblich verletzte. Da für die Bemessung der einmaligen Wasseranschlußgebühr die gleichen rechtlichen Gesichtspunkte wie für die Erhebung der laufenden Gebühr maßgebend sind (vgl. insbesondere PrOVG 66, 159), folgt aus alledem, daß die Baukostensumme einen Maßstab darstellt, der der Leistung der Gemeinde nicht wesensgleich ist und der Bemessungsmaßstab Tatsachen entnommen wird, die mit der Art der Benutzung der Wasserversorgung offenbar nichts zu tun haben.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Umstand, daß die Gemeindewasserversorgung auch noch der Brandbekämpfung dienen kann, für die Bemessung der Anschlußgebühr unerheblich, weil diese Gebühr für das "Nehmen des Anschlusses" zu entrichten ist. Die Gebühr wird somit nicht als Entgelt für die Errichtung und Unterhaltung einer Löschwasserreserve und Brandbekämpfungsanlage erhoben, sondern für die Versorgung der Grundstücke mit Trink- und Brauchwasser. Außerdem wird durch den Anschluß eines Neubaues an die Wasserversorgungsleitung der Gemeinde eine etwaige Brandbekämpfung praktisch nicht erleichtert, weil das Löschwasser nicht dem Haushaltsanschluß, sondern unmittelbar der Versorgungsleitung entnommen wird. Im übrigen wäre die Gebührenbemessung unter diesem Gesichtspunkt auch deshalb zu beanstanden, weil bei Berücksichtigung feuerpolizeilicher Erwägungen die Gebührenhöhe auch nach dem verschiedenen Grad der Feuergefährlichkeit der Gebäude bemessen werden und letztlich dem Gebäudeversicherungswert entsprechen müßte.
Wie in zahlreichen anderen von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen muß deshalb auch § 21 Abs. 1 WAbgS der Beklagten als ungültig angesehen werden. Es bleibt ihr jedoch überlassen, § 21 WAbgS zu ändern und dabei unter den geeigneten Arten von Maßstäben (vgl. u. a. Seeger, aaO, S. 238; OVG Lüneburg, Urteil vom 2.6.1960 in KStZ 1960 S. 234; Oehm in DVBl. 1960 S. 584; aber auch BayVGH, Urteil vom 28.2.1958 in VerwRspr. Band 10 Nr. 151) den ihr zweckmäßig erscheinenden auszuwählen. Obwohl Satzungen der Gemeinden und insbesondere Gebührensatzungen nicht mit rückwirkender Kraft erlassen werden dürfen (§ 4 Abs. 3 Satz 2 GemO), könnten nach Änderung des § 21 WAbgS auch die schon bisher Gebührenpflichtigen zur Entrichtung einer Anschlußgebühr herangezogen werden, soweit die Gebühr nicht höher ist als sie es nach der bisherigen Regelung gewesen wäre (
BVerfGE 7, 89; BVerfG, Urteil vom 19.12.1961 in
NJW 1962 S. 291;
BVerwGE 5, 99).
Da somit der vom Kläger angefochtene Gebührenbescheid auf einer ungültigen Rechtsgrundlage beruht, war dem Urteil des Verwaltungsgerichts im Ergebnis beizutreten und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, ohne daß es auf die zu verneinende Frage ankam, ob der Kläger gegen die Gebührenforderung der Beklagten mit seinem Schadensersatzanspruch aufrechnen kann (Bad.-Württ. VGH, Urteil vom 5.9.1958, ESVGH 8, 46).