Brandenburgische Gemeinden sind nicht Rechtsnachfolger alter preußischer Gemeinden
OLG Brandenburg, Urteil vom 13.12.1994 - Az.: 6 U 32/94
Leitsätze:
Heutige Gebietskörperschaften im Lande Brandenburg sind keine Rechtsnachfolger früherer preußischer Gebietskörperschaften. (amtlicher Leitsatz)
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Volltext
Gründe
(...) Eine Verpflichtung der Beklagten, das Grundstück an den Kläger aufzulassen, ergibt sich nicht. Eine solche scheitert schon daran, daß die Beklagte nicht Rechtsnachfolgerin der damaligen preußischen Landgemeinde L. ist.
Rechtsnachfolge - hier Gesamtrechtsnachfolge - im öffentlichen Recht ist nur dann gegeben, wenn ein Träger öffentlicher Gewalt auf gesetzlicher Grundlage in alle Rechte und Pflichten eines anderen Trägers öffentlicher Gewalt eintritt (Wolf/Bachhof, VerwR I, 9. Aufl., § 41 IVb). Hieran fehlt es. Eine solche gesetzliche Grundlage wurde weder in der SBZ noch später in der DDR geschaffen. Im Gegenteil wurde von Anfang an jegliche Identität und/oder Rechtsnachfolgeschaft der in der SBZ gelegenen Gemeinden strikt abgelehnt. So hat z.B. das Land Sachsen in § 15 II der Durchführungsvorschriften vom 3.4.1947 zur Stundungsverordnung vom 4.7.1946 bestimmt:
§ 15. (2) Die Bestimmung in § 1 I ändert nichts an dem Rechtszustand, daß das Land Sachsen, seine Stadt- und Landkreise und die sächsischen Gemeinden mangels Identität mit den ihnen entsprechenden öffentlichrechtlichen Körperschaften des nationalsozialistischen Parteienstaates grundsätzlich nicht für deren Verbindlichkeiten haften (GBl 1947, 1948).
Das Oberste Gericht der DDR (OG) hat in seiner Entscheidung vom 31.10.1951 (NJ 1952, 222ff.) im Leitsatz u.a. folgendes zum Ausdruck gebracht:
"die heutigen Gebietskörperschaften der DDR sind ebensowenig identisch mit den Gebietskörperschaften des Hitlerstaates oder deren Rechtsnachfolger wie die DDR selbst. Sie haften daher nicht für deren Verbindlichkeiten, und zwar weder vertraglich noch aus anderen gesetzlichen Gründen".
Das OG verneint in der Entscheidung jegliche Rechtsnachfolgschaft auch der Gemeinde im Verhältnis zu den entsprechenden Gebietskörperschaften im Deutschen Reich. An dieser in der SBZ und später in der DDR allseits vertretenen Rechtsauffassung hat die Gesetzgebung nichts geändert. Eine gesetzliche Regelung, durch welche etwa eine entsprechende Rechtsnachfolgschaft angeordnet wurde, ist nicht getroffen worden. Zwar setzt etwa die demokratische Gemeindeordnung für die sowjetische Besatzungszone Deutschlands (veröffentlicht durch die Provinzialverwaltung der Mark Brandenburg am 14.9.1946 - GVBl der Landesregierung Brandenburg 1947, Teil II S. 307 ff.) in § 43 S. 1 voraus, daß die Gemeinden über eigenes Vermögen verfügen, eine Regelung für Altverbindlichkeiten aus der Zeit vor dem 8. 5. 1945 wird darin aber nicht getroffen.
Hieran hat sich auch später nichts geändert, so daß von einer - förmlichen - Gesamtrechtsnachfolge hier nicht ausgegangen werden kann.
Zu einem anderen Ergebnis gelangt man auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Funktionsnachfolge.
Dieses Rechtsinstitut wurde im Zusammenhang mit der Abwicklung der Verpflichtungen des Deutschen Reiches und seiner Untergliederungen aus dem Begriff der "Betriebsnachfolge" entwickelt (vgl. Däubler, NJW 1954, 5 (8)). Auch der BGH hat in seiner Entscheidung vom 1.12.1952 (
BGHZ 8, 169 (177) =
NJW 1953, 381 = LM Art.
134 GG Nr. 4) das Institut der Funktionsnachfolge anerkannt und dieses im wesentlichen aus dem Gesichtspunkt der Schuld- und Vermögensübernahme sowie der Kontinuität der öffentlichrechtlichen Funktionen beim Übergang von Verwaltungsaufgaben vom Deutschen Reich auf die nach 1945 wiedererrichteten Bundesbehörden hergeleitet. Unter bestimmten Umständen könne das Vertrauen des Gläubigers eines untergegangenen Rechtsträgers es rechtfertigen, nicht auf die formelle Gleichheit der Rechtsperson, sondern auf die materielle Gleichheit der Organisation, der Mittel und der Zwecke des neuen Rechtsträgers abzustellen (
BGHZ 8, 169 (177) =
NJW 1953, 381 = LM Art.
134 GG Nr. 4).
In seiner weiteren Entscheidung vom 31.5.1955 will der BGH (
BGHZ 16, 184 (185) =
NJW 1955, 749 = LM Art.
135 GG Nr. 1) eine Haftung des Funktionsnachfolgers allerdings nur auf dringende Fälle beschränken. Es erscheint schon fraglich, ob diese für die Bundesrepublik entwickelten Grundsätze - rückschauend - auf die gänzlich anders gearteten politisch-rechtlichen Verhältnisse in der SBZ und DDR überhaupt angewendet werden können. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, daß die Rechtsnachfolgediskussionen - etwa auch die Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches - in der Bundesrepublik ganz anders geführt werden als in der SBZ und DDR.
Doch auch dann, wenn man von derlei Bedenken absieht, ist der Gesichtspunkt der Funktionsnachfolge spätestens in dem Augenblick entfallen, als die Gemeinde L. mit dem Inkrafttreten des Gesetzes über die örtlichen Organe der Staatsmacht vom 18.1.1957 (GBl DDR I, 65ff.) als solche zu existieren aufhörte und mithin ihre Funktionen verlor. Durch dieses Gesetz, das der definitiven Durchsetzung des "Prinzips des demokratischen Zentralismus" diente, war die gemeindliche Selbstverwaltung aufgehoben. Die Räte der Gemeinden waren keine Selbstverwaltungskörperschaften mehr, sondern Behörden des zentralistischen Gesamtstaates DDR. Folgerichtig wurde spätestens dann aus dem Grundeigentum der früheren Gemeinden Volkseigentum, bezüglich dessen - wie hier - die Räte der Gemeinden nur Rechtsträger waren. Dieser Kontinuitätsbruch, der eine etwaige zunächst möglicherweise bis dahin noch denkbare Funktionsnachfolge endgültig scheitern läßt, ist in der Folgezeit mit rückwirkender Kraft nicht geheilt worden. Erst mit der Kommunalverfassung vom 17.5.1990 (GBl DDR I S. 255) und dem Ländereinführungsgesetz vom 22.7.1990 (GBl DDR I S. 955) sind die Gemeinden als selbstverwaltende Gebietskörperschaften - neu - gebildet worden. Soweit die Beklagte jetzt Eigentümer des in Rede stehenden Grundstücks sein sollte, kann sich hier zugunsten des Klägers nichts ergeben, da dieser Eigentumswerb sich originär aus § 2 Ic des Kommunalvermögensgesetzes (DDR-KommVermG) vom 6.6.1990 (GBl DDR I S. 660) ergeben würde.
Da nach alledem die Bekl. eine etwaige Verpflichtung der damaligen preußischen Landgemeinde L. nicht treffen kann, ist die Klage ohne weiteres unbegründet.