Kein individueller Anspruch auf Fortführung oder Heilung eines Planungsverfahrens
BVerwG, Urteil vom 09.10.1996 - Az.: 4 B 180.96
Leitsätze:
Der Einzelne hat keinen Anspruch darauf, dass die Gemeinde eine von ihr mit dem Ziel der Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung eines Bebauungsplans eingeleitete Planung zu Ende führt oder einen Verfahrens- oder Formfehler behebt. (amtlicher Leitsatz)
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Gründe
Die auf §
132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Kläger beimißt.
Die Beschwerde hält für klärungsbedürftig, ob ein einzelner einen Anspruch darauf haben kann, daß eine Gemeinde einen Bebauungsplan, der sich nachträglich wegen eines Ausfertigungsmangels als nichtig erwiesen hat, durch Nachholung der Ausfertigung und erneute Bekanntmachung in Kraft setzt. Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, da sie sich auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Interpretation unter Heranziehung der bereits vorhandenen Senatsrechtsprechung ohne weiteres außerhalb eines Revisionsverfahrens beantworten läßt.
§
2 Abs. 3 BauGB schließt einen Anspruch auf die Aufstellung eines Bebauungsplans aus. §
2 Abs. 4 BauGB erstreckt diesen Ausschluß auch auf die Änderung, Ergänzung und Aufhebung. Diese Regelung duldet keine Ausnahme (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. März 1977 - BVerwG
4 C 45.75 - Buchholz 406.11 § 2 BBauG Nr. 16). Sie zieht die Konsequenzen daraus, daß die Gemeinde bei der Bauleitplanung eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt, die ihr im Interesse der Allgemeinheit obliegt. Dies macht §
1 Abs. 3 BauGB deutlich. Er begründet unter den dort genannten Voraussetzungen eine objektiv-rechtliche Pflicht zur Bauleitplanung, stellt aber klar, daß die Gemeinde sich hierbei nicht vom individuellen Interesse einzelner, sondern vom Interesse an der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung leiten zu lassen hat. Nicht erforderlich im Sinne des §
1 Abs. 3 BauGB sind Bauleitpläne, die der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuches nicht bestimmt sind. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine planerische Festsetzung nur das vorgeschobene Mittel ist, um private Interessen zu befriedigen (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Juni 1972 - BVerwG 4 C 8.70 -
BVerwGE 40, 258 und vom 16. Dezember 1988 - BVerwG
4 C 48.86 -
BVerwGE 81, 111). Die Gemeinde darf die Bauleitplanung nicht zum Vehikel für die Durchsetzung privater Belange machen, ohne auf der Grundlage des §
1 Abs. 6 BauGB eine Abwägung mit entgegenstehenden öffentlichen oder privaten Belangen zu treffen. Dem korrespondiert §
2 Abs. 3 BauGB mit der flankierenden Bestimmung, daß niemand einen Anspruch auf eine Planung hat, durch die ein bestimmtes Vorhaben ermöglicht oder begünstigt wird.
Aus dem Sinnzusammenhang der Absätze 3 und 4 des §
2 BauGB folgt, daß nicht lediglich der Anspruch ausgeschlossen wird, einen Bebauungsplan aufzustellen, zu ändern, zu ergänzen oder aufzuheben, sondern auch der Anspruch, ein Verfahren, das zur Erreichung eines dieser Zwecke begonnen worden ist, fortzusetzen. Gibt es kein subjektives Recht auf eine gemeindliche Bauleitplanung, so kann sich der einzelne nicht mit Erfolg dagegen zur Wehr setzen, daß die Gemeinde ein von ihr eingeleitetes Aufstellungs-, Änderungs-, Ergänzungs- oder Aufhebungsverfahren, aus welchen Gründen immer, aufgibt (vgl. BVerwG, Beschluß vom 3. August 1982 - BVerwG
4 B 145.82 - Buchholz 406.11 § 2 a BBauG Nr. 4). In welchem Stadium des Verfahrens die Planung abgebrochen wird, spielt dabei keine Rolle. Die Gründe, die den Gesetzgeber veranlaßt haben, die Gemeinde bei der Entscheidung über die Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung von äußeren Zwängen freizuhalten, wiegen nicht weniger schwer, wenn eine Planung eingeleitet, aber noch nicht abgeschlossen ist. Bricht eine Gemeinde ein von ihr aufgenommenes Planungsverfahren ab, so bringt sie sinnfällig zum Ausdruck, daß sich ihre Planungsvorstellungen gewandelt haben. Die Entscheidung, ob sie an einer bestimmten Planungskonzeption festhält, würde ihr aus der Hand genommen, wenn einzelne Interessenten in der Lage wären, eine Fortführung des Verfahrens zu erzwingen. Vor dem Hintergrund des §
2 Abs. 3 BauGB läßt sich §
2 Abs. 4 BauGB die allgemeine Wertung des Gesetzgebers entnehmen, daß der einzelne auf die Durchsetzung abweichender eigener planerischer Vorstellungen keinen Anspruch hat.
Dieser Grundsatz beansprucht Geltung auch dann, wenn ein Planungsverfahren schon so weit gediehen ist, daß nur noch die Planausfertigung und die Bekanntmachung fehlen. Die Absätze 3 und 4 des §
2 BauGB zeigen, daß die Gemeinde nicht durch Rechtsansprüche einzelner daran gehindert wird, einen von ihr beschlossenen Bauleitplan wieder aufzuheben. Dies schließt die Annahme aus, daß sie gezwungen werden kann, einen Plan in Kraft zu setzen, der nach ihrer Konzeption sogleich wieder aufgehoben werden müßte, weil er für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht mehr erforderlich ist.
§
215 Abs. 3 Satz 1 BauGB rechtfertigt keine abweichenden Schlüsse. Er ermöglicht es der Gemeinde, bestimmte Verfahrens- oder Formfehler, zu denen auch Ausfertigungsmängel zählen (vgl. BVerwG, Beschluß vom 24. Mai 1989 - BVerwG
4 NB 10.89 - Buchholz 406.11 §
215 BauGB Nr. 1), zu beheben. Dem korrespondiert aber kein subjektives Recht Planbetroffener. Die Gemeinde kann in ihrer planerischen Gestaltungsfreiheit wählen, ob sie einem fehlerhaften Plan mit oder ohne Rückwirkung nachträglich Geltung verschafft, einer inhaltlich veränderten neuen Planung den Vorzug gibt oder es schlicht bei der bisherigen Rechtslage, ggfs. also der Anwendung der §§
34 und
35 BauGB, beläßt. Diese Wahlmöglichkeit läßt sich entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht mit Vertrauensschutzgesichtspunkten überspielen. Ebensowenig wie einen Anspruch auf Aufstellung gibt es einen Anspruch auf den Fortbestand eines Bebauungsplans (vgl. BVerwG, Beschluß vom 7. Mai 1993 - BVerwG
4 NB 14.93 - Buchholz 310 §
47 VwGO Nr. 78). Ein solcher Plangewährleistungsanspruch scheitert schon daran, daß sich auch die Änderung, Ergänzung und Aufhebung danach bestimmt, ob sie im Sinne des §
1 Abs. 3 BauGB für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Das Vertrauen des einzelnen in den Fortbestand der Planung wird nur nach Maßgabe der §§
39 ff. BauGB geschützt. Voraussetzung ist die Existenz eines rechtsverbindlichen Bebauungsplans. Ein Plan, der eine Zeitlang als rechtsgültig angesehen worden ist, sich schließlich aber als nichtig erweist, scheidet als Vertrauensgrundlage von vornherein aus (vgl. BGH, Urteile vom 24. Juni 1982 -
III ZR 169/80 -
BGHZ 84, 292 und 21. Dezember 1989 -
III ZR 118/88 -
BGHZ 109, 380). Ob sich die Nichtigkeit aus einem Verfahrensfehler oder einem inhaltlichen Mangel ergibt, ist unerheblich.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §
154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §
14 Abs. 1 und §
13 Abs. 1 Satz 2 GKG.