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Verbot von Zweitlisten einer Partei oder Wählergruppe: nur formelle Kriterien zählen

VerfGH Bayern, Entscheidung vom 28.01.1993 - Az.: Vf. 25-VI-92

Leitsätze:

1. Zu Verfassungsrechtsfragen bei Auslegung und Anwendung der Regelung des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 des Gemeindewahlgesetzes (GWG), wonach jede politische Partei und jede Wählergruppe für die Wahl der Gemeinderatsmitglieder nur einen Wahlvorschlag einreichen darf. (amtlicher Leitsatz)

2. Der Grundsatz der freien Wahl (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BV) gewährleistet auch die Freiheit, Wahlvorschläge einzureichen. Bei Regelungen, die sich als Einschränkung des Wahlvorschlagrechts erweisen, hat der Gesetzgeber nur einen engen Gestaltungsspielraum. (amtlicher Leitsatz)

3. Die Grundrechte des aktiven und passiven Wahlrechts setzen der Auslegung und Anwendung des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GWG verfassungsrechtlich enge Grenzen. Ob eine neue Wählergruppe gegenüber einer Partei oder einer anderen Wählergruppe selbständig ist oder ob ihr Wahlvorschlag in Wirklichkeit nur die unzulässige Zweitliste einer Partei oder einer anderen Wählergruppe darstellt, ist vornehmlich anhand formeller Kriterien zu überprüfen. (amtlicher Leitsatz)

4. Bei der Entscheidung über die Gültigkeit eines Wahlvorschlags ist es dem Wahlausschuß, der Rechtsaufsichtsbehörde und den Gerichten verwehrt, Ermittlungen dahin anzustellen, ob ein Bewerber einer Partei oder Wählergruppe angehört und von welcher Seite er unterstützt wird. Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GWG verbietet nicht, dass ein Parteimitglied, das auf dem Wahlvorschlag "seiner" Partei keinen Platz erhält, von einer gegenüber dieser Partei selbständigen Wählergruppe als Kandidat aufgestellt wird. Außer Betracht bleiben muss ferner, ob eine Partei oder eine Wählergruppe die Kandidatur ihrer Mitglieder auf fremden Wahlvorschlägen billigt oder ablehnt oder ob sie Folgerungen aus einer solchen Kandidatur zieht. (amtlicher Leitsatz)

5. Ein Wahlvorschlag darf auch nicht daraufhin überprüft werden, ob und wie stark das Programm der ihn tragenden Wählergruppe dem Programm einer Partei oder einer anderen Wählergruppe ähnelt. Es ist im demokratischen Meinungskampf nicht ungewöhnlich, dass verschiedene Gruppierungen gleiche oder ähnliche Ziele anstreben, gleichwohl aber die Auffassung vertreten, sie könnten diese Ziele mit der von ihnen angebotenen personellen Alternative besser erreichen. (amtlicher Leitsatz)

6. Ein unzulässiges Doppelauftreten im Sinn des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GWG liegt nur dann vor, wenn eine Partei oder Wählergruppe Träger nicht nur eines, sondern dazu auch noch eines weiteren Wahlvorschlags ist. Das ist der Fall, wenn ide Partei oder die Wählergruppe oder eine Untergliederung durch ihre Organe einen weiteren Wahlvorschlag beherrschend betreibt. (amtlicher Leitsatz)

7. Stammt ein Wahlvorschlag von Wahlberechtigten, die nicht auch einen anderen Wahlvorschlag aufgestellt haben, so darf dieser Wahlvorschlag grundsätzlich nicht als unzulässige Zweitliste einer Partei oder einer anderen Wählergruppe angesehen werden. In Zweifelsfällen muss die Entscheidung zugunsten der Zulassung eines Wahlvorschlags ausfallen. Die Wahlberechtigten sollen im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften aufstellen und wählen können, wen sie wollen. (amtlicher Leitsatz)

8. Das Demokratieprinzip fordert funktionsfähige Gemeinderäte und Kreistage. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die Auslegung und Anwendung des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GWG auf Kriterien zu beschränken, die eine rasche und zweifelsfreie Klärung der Frage ermöglichen, ob ein Wahlvorschlag nur eine unzulässige Zweitliste einer Partei oder einer anderen Wählergruppe ist. (amtlicher Leitsatz)

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