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Rückwirkende Inkraftsetzung eines wegen Ausfertigungsmangels unwirksamen, zwischenzeitlich geänderten Bebauungsplans

BVerwG, Beschluss vom 18.12.1995 - Az.: 4 NB 30/95

Leitsätze:

1. Ein wegen eines Ausfertigungsmangels unwirksamer Bebauungsplan kann gemäß § 215 Abs. 3 BauGB grundsätzlich auch dann rückwirkend in Kraft gesetzt werden, wenn er inzwischen geändert worden ist. Waren auch die Änderungen wegen eines Ausfertigungsmangels unwirksam, können sämtliche Satzungsbeschlüsse unter Nachholung der Ausfertigungen rückwirkend in Kraft gesetzt werden. (amtlicher Leitsatz)

2. Die rückwirkende Inkraftsetzung eines Bebauungsplans ist ausgeschlossen, wenn das Abwägungsergebnis wegen nachträglicher Ereignisse nicht mehr haltbar ist. (amtlicher Leitsatz)

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Volltext

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtvorlage der Rechtssache in dem Normenkontrollverfahren, in dem das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Juli 1995 ergangen ist, wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 DM festgesetzt.

Tatbestand

I.

Die Antragsteller sind Eigentümer eines Grundstücks in einem Gebiet, für das die Antragsgegnerin 1982 einen Bebauungsplan beschloß, der in den Jahren 1984 und 1985 geändert wurde. Der ursprüngliche Plan wurde ebenso wie die beiden Änderungspläne bekanntgemacht, aber nicht ausgefertigt. Am 15. Mai 1995 faßte der Gemeinderat den Beschluß, "den Bebauungsplan sowie dessen erste und zweite Änderung rückwirkend ab 1. Juli 1982 bzw. 1. April 1984 bzw. 13. Dezember 1985 in Kraft zu setzen". Alle drei Pläne wurden am 24. Mai 1995 ausgefertigt und am 26. Mai 1995 unter Hinweis auf die in den Jahren 1982, 1984 und 1985 erfolgten Genehmigungen bekanntgemacht.

Die Antragsteller halten den Bebauungsplan für nichtig. Dem ist das Normenkontrollgericht nicht gefolgt. Es ist davon ausgegangen, daß der Bebauungsplan in der Fassung der zweiten Änderung wirksam sei, da die ursprünglich vorhandenen Ausfertigungsmängel geheilt worden seien. Hiergegen wenden die Antragsteller sich mit der Nichtvorlagebeschwerde.

Gründe

II.

Die auf § 47 Abs. 7 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet. Das Normenkontrollgericht war nicht verpflichtet, die Rechtssache dem Bundesverwaltungsgericht vorzulegen.

1. Die Divergenzrüge greift nicht durch.

Unter Berufung auf die Beschlüsse vom (24. Mai 1989 - BVerwG 4 NB 10.89 - (NVwZ 1990, 258), vom 23. Juni 1992 - BVerwG 4 NB 26.92 - (NVwZ 1993, 361) und vom 3. Juli 1995 - BVerwG 4 NB 11.95 - (ZfBR 1995, 319)) macht die Beschwerde sinngemäß geltend, das Normenkontrollgericht weiche von der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts ab, daß bei einer wesentlichen Änderung der Sach- oder Rechtslage eine erneute Abwägung in einem neuen Satzungsbeschluß gemäß § 10 BauGB erforderlich sei. Ob den genannten Entscheidungen ein solcher Rechtssatz entnommen werden kann, kann hier offenbleiben; in dieser allgemeinen Weise entspricht er nicht der Rechtsauffassung des Senats, wie noch auszuführen ist. Die Rüge muß schon deshalb erfolglos bleiben, weil der Normenkontrollentscheidung nicht entnommen werden kann, daß das Normenkontrollgericht vom Vorliegen einer "wesentlichen Änderung" ausgegangen ist. Daß die in den Jahren 1982 und 1984 vorgenommenen Planänderungen "wesentliche Änderungen" sind, ist eine Wertung allein der Beschwerde; das Normenkontrollgericht hat sich hierzu nicht geäußert.

2. Die Rechtssache hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimißt.

a) Die Frage, ob "ein Bebauungsplan, der nach dem Ausgangssatzungsbeschluß wegen Ausfertigungsmängeln nicht in Kraft getreten, sodann aber zweimal geändert worden ist, wobei diese Änderungen wiederum wegen Ausfertigungsfehlern nicht in Kraft getreten sind, nach Feststellung der Fehler mit drei unterschiedlichen Zeitangaben ihres Inkrafttretens rückwirkend in Kraft gesetzt werden" kann, brauchte das Normenkontrollgericht nicht zu einer Vorlage nach § 47 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 VwGO zu veranlassen. Sie läßt sich auf der Grundlage des Wortlauts des § 215 Abs. 3 BauGB mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Interpretation ohne weiteres im Sinne der Normenkontrollentscheidung beantworten.

Die Beschwerde verstellt sich den richtigen Zugang zu dem von ihr aufgeworfenen Problem dadurch, daß sie "das Verfahren nach § 215 Abs. 3 1. Halbsatz BauGB als eine bloße Fortführung des ursprünglichen Verfahrens zum Erlaß eines Bebauungsplans vom ersten Fehler an - dies ist vorliegend die vermeintliche Inkraftsetzung des Ausgangsbebauungsplans -" bewertet und hieraus folgert, "daß in die Beratung und Beschlußfassung zur ersten und zweiten Änderung erneut hätte eingetreten werden müssen". Es trifft zwar zu, daß ein nach § 10 BauGB beschlossener Bebauungsplan zusammen mit etwaigen Änderungen, die er später erfahren hat, eine Einheit bildet. Dies rechtfertigt es indes nicht, den Anwendungsbereich des § 215 Abs. 3 BauGB auf die Phase der Entstehung des "Ausgangsbebauungsplans" zu verengen. Nach § 2 Abs. 4 BauGB gelten die Vorschriften über die Aufstellung von Bebauungsplänen u.a. auch für deren Änderung. Das bedeutet zum einen, daß es für die Änderung eines Bebauungsplans der Durchführung eines selbständigen Verfahrens bedarf, und zum anderen, daß das Änderungsverfahren, von bestimmten Abweichungen abgesehen (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 13 Abs. 1 BauGB), denselben Grundsätzen folgt wie das Aufstellungsverfahren. An dieses Verfahrenserfordernis knüpft § 215 Abs. 3 BauGB an. Ob und unter welchen Voraussetzungen ein Fehler behoben werden kann, ist für jedes Verfahren, das mit einer Satzung im Sinne dieser Bestimmung abgeschlossen worden ist, gesondert zu prüfen.

Haftet dem Aufstellungsverfahren ein Mangel an, so braucht die Gemeinde nur die Verfahrensschritte nachzuholen, derer es zum fehlerfreien Abschluß dieses Verfahrens bedarf. Handelt es sich um einen behebbaren Fehler, der erst nach Beratung und Beschlußfassung unterlaufen ist (vgl. insoweit § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB), so nötigt § 215 Abs. 3 BauGB nicht zu einer erneuten Abwägungsentscheidung. Es genügt die Wiederholung des nachfolgenden Verfahrens, um den Ausgangsbebauungsplan auf eine einwandfreie Rechtsgrundlage zu stellen. Daß der Bebauungsplan wegen späterer Änderungen möglicherweise nicht mehr den ursprünglichen Inhalt hat, steht einer Fehlerbehebung nicht entgegen. Zwar bietet § 215 Abs. 3 Satz 2 BauGB keine Handhabe dafür, einem Bebauungsplan nachträglich eine auf einen bereits abgelaufenen Zeitraum begrenzte Geltung zu verschaffen. Dies hindert die Gemeinde jedoch nicht daran, einen Bebauungsplan ohne Rücksicht auf etwaige in der Zwischenzeit beschlossene Änderungen mit dem ihm seinerzeit gegebenen Inhalt rückwirkend in Kraft zu setzen.

Für die Behebung von Fehlern, die die Gemeinde bei der Änderung eines Bebauungsplans begangen hat, gilt Entsprechendes. Zu einer abweichenden Beurteilung besteht auch dann kein Anlaß, wenn, wie hier, der Ausgangsbebauungsplan zwar an einem Mangel leidet, die Gemeinde aber von der Möglichkeit der Fehlerheilung Gebrauch macht. Entgegen der Ansicht der Beschwerde liegt es auf der Hand, daß in diesem Fall eine Abwägung nicht allein deshalb geboten ist, weil ein nichtiger Bebauungsplan im Rechtssinne nicht geändert, sondern nur im Wege der Neuaufstellung in Kraft gesetzt werden kann. Richtig ist, daß es einen Abwägungsfehler darstellen kann, wenn die Gemeinde eine Planänderung betreibt, ohne zu erkennen, daß der Änderungsplan auf einem formell ungültigen Bebauungsplan aufbaut. Eine etwaige Fehlerhaftigkeit entfällt indes, wenn der Mangel, der dem geänderten Plan anhaftet, unter Rückgriff auf § 215 Abs. 3 BauGB behoben wird. Führt die Gemeinde die Gültigkeitsvoraussetzungen mit Rückwirkung nachträglich herbei, so erweist sich insoweit die im Rahmen der Änderungsplanung getroffene Abwägungsentscheidung im nachhinein als zutreffend. Leidet der Änderungsplan seinerseits an einem formellen Fehler, so ist die Frage der Behebbarkeit ausschließlich anhand der in § 215 Abs. 3 BauGB genannten Kriterien zu beurteilen. Nach dieser Vorschrift bestimmt sich, welche Teile des Änderungsverfahrens zu wiederholen sind.

Leidet der Bebauungsplan sowohl in seiner ursprünglichen als auch in seiner geänderten Gestalt an Fehlern im Sinne des § 215 Abs. 3 Satz 1 BauGB, so ist es der Gemeinde nicht verwehrt, die zur Behebung jeweils erforderlichen Verfahrensschritte zu bündeln.

b) Die Frage, ob es möglich ist, "einen Ausgangsbebauungsplan, der danach zweimal geändert worden ist, in drei Teilen gemäß § 12 BauGB zu veröffentlichen", verleiht der Rechtssache ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung.

Ist ein Bebauungsplan genehmigungsbedürftig, so ist die Erteilung der Genehmigung nach § 12 Satz 1 BauGB, der insoweit mit § 12 Satz 1 BBauG übereinstimmt, ortsüblich bekanntzumachen. Bedarf ein Bebauungsplan sowohl in seiner ursprünglichen als auch in seiner (mehrfach) geänderten Form der Genehmigung, so versteht es sich von selbst, daß die Gemeinde sich nicht damit begnügen kann, nur die erste der ihr erteilten Genehmigungen bekanntzumachen; denn dem Veröffentlichungserfordernis des § 12 BauGB unterliegt nicht nur die Planaufstellung, sondern auch die Planänderung. In beiden Fällen dient die ortsübliche Bekanntmachung dazu, den Abschluß des Rechtsetzungsverfahrens zu dokumentieren. Erweist sich sowohl das Aufstellungs- als auch das (oder die) Änderungsverfahren als mangelhaft, so ist eine Fehlerbehebung nach § 215 Abs. 3 BauGB nicht anders möglich, als daß die Gemeinde jedenfalls sämtliche Bekanntmachungen wiederholt. Die von der Beschwerde als bedenklich eingestufte Veröffentlichung "in mehreren Teilen" ist nur die zwangsläufige Folge eines solchen rechtlich gebotenen Vorgehens.

c) Eine Klärung der Frage, "ob dann, wenn eine Gemeinde erneut über einen Bebauungsplan einen Ratsbeschluß herbeiführt, um diesen Bebauungsplan aufgrund dieses Ratsbeschlusses sodann erstmals in Kraft zu setzen, nicht vor der Inkraftsetzung das Verfahren nach § 11 BauGB durchgeführt werden muß", kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil das Normenkontrollgericht die neue Entscheidung des Rates der Antragsgegnerin nicht als einen zweiten Satzungsbeschluß qualifiziert hat. Dann muß auch nicht erneut nach § 11 BauGB verfahren werden. Wollte man schon immer dann, wenn das zuständige Organ der Gemeinde eine erneute (Sach-)Entscheidung darüber trifft, daß es beim ursprünglichen Satzungsbeschluß bleiben solle, ein erneutes Verfahren nach § 11 BauGB für erforderlich halten, so würde § 215 Abs. 3 BauGB in seiner Wirkung entgegen der Intention des Gesetzgebers erheblich eingeschränkt werden.

d) Auch mit der Frage, "ob ein Bebauungsplan nicht bereits dann für nichtig zu erklären ist, wenn eine Gemeinde vor der rückwirkenden erstmaligen Inkraftsetzung dieses Bebauungsplans noch nicht einmal den Abwägungsvorgang einleitet", zeigt die Beschwerde keinen Klärungsbedarf auf. Sie weist selbst darauf hin, daß sich der Senat zu diesem Problemkreis bereits mehrfach geäußert hat. Eine gänzlich neue Abwägungsentscheidung ist, wie dem Senatsbeschluß vom 3. Juli 1995 - BVerwG 4 NB 11.95 - (a.a.O.) entnommen werden kann, nicht bei jeglicher Veränderung abwägungserheblicher Belange erforderlich. Sie ist nur dann geboten, wenn sich die Sach- oder Rechtslage grundlegend geändert hat, für die ursprüngliche Abwägungsentscheidung sozusagen "die Geschäftsgrundlage weggefallen" ist. Fehlt es an dieser Grundvoraussetzung, so ist es bei der rückwirkenden Heilung eines Ausfertigungsmangels auf der Grundlage des § 215 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz BauGB unschädlich, wenn das zuständige Gemeindeorgan nicht in eine erneute Abwägung eingetreten ist. Die Entscheidung des Senats vom 3. Juli 1995 besagt insoweit lediglich, daß die Gemeinde, je mehr Zeit seit der ursprünglichen Beschlußfassung inzwischen vergangen ist, desto eher Veranlassung zu der Prüfung hat, ob Änderungen der Sach- oder Rechtslage vorliegen, die die ursprüngliche Abwägung so grundlegend berühren, daß eine neue Sachentscheidung zu treffen ist. Ein Bebauungsplan darf nicht rückwirkend in Kraft gesetzt werden, wenn das Abwägungsergebnis, das zur Zeit der Beschlußfassung rechtlich nicht zu beanstanden war, wegen nachträglicher Ereignisse nicht mehr haltbar ist, und zwar unter Einbeziehung auch des Gesichtspunkts, daß möglicherweise im Vertrauen auf den Bestand des Bebauungsplans Dispositionen getroffen und Investitionen getätigt worden sind. Ein Bebauungsplan, dessen Inhalt gemessen an § 1 Abs. 3 BauGB und den Anforderungen des Abwägungsgebots unvertretbar ist, erfüllt, auch wenn dieser Zustand erst nach dem in § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB genannten Zeitpunkt eingetreten ist, nicht die materiellen Voraussetzungen, derer es zu seiner Wirksamkeit bedarf (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 1978 - BVerwG 4 C 30.76 - BVerwGE 56, 283). Unterläßt es die Gemeinde, in dieser Richtung Prüfungen anzustellen, so nimmt sie in Kauf, daß ihr Versuch, einen formfehlerhaft erlassenen Bebauungsplan nachträglich auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, von vornherein daran scheitert, daß veränderte äußere Umstände dem zwingend entgegenstehen. Hierauf hat der Senat in der Entscheidung vom 3. Juli 1995 - BVerwG 4 NB 11.95 - (a.a.O.) mit Nachdruck aufmerksam gemacht. Ist die Gemeinde darauf bedacht, im Rahmen des Fehlerkorrekturverfahrens des § 215 Abs. 3 Satz 1 BauGB Fehler zu vermeiden, die sich ihrerseits als Wirksamkeitshindernis darstellen, so liegt es in ihrem ureigenen Interesse, sich an das im Senatsbeschluß angeführte Prüfschema zu halten. Danach hat sie für den Fall, daß sich die Sach- oder Rechtslage geändert hat, vor der rückwirkenden Inkraftsetzung des Bebauungsplans hierauf gegebenenfalls in zweifacher Weise zu reagieren. Sie hat auf einer ersten Stufe zu prüfen, ob die Änderung der Sach- oder Rechtslage die ursprüngliche Abwägung so grundlegend berühren kann, daß eine neue Sachentscheidung geboten ist. Je nachdem wie diese Prüfung ausfällt, kann sie gehalten sein, auf einer zweiten Stufe in eine erneute Abwägung einzutreten. Geht sie nicht so vor, so ist dies indes nicht bereits für sich genommen ein Grund, der es rechtfertigt, die Gültigkeit des rückwirkend in Kraft gesetzten Bebauungsplans in Frage zu stellen.

Die Beschwerde legt nicht dar, zu welchen weiterführenden Erkenntnissen das vorliegende Verfahren sollte Gelegenheit bieten können. Ihr kann insbesondere nicht entnommen werden, aus welchen Gründen das Abwägungsergebnis fehlerhaft (geworden) sein sollte.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und § 159 Satz 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.