Dauer der Auslegung von Vorschlagslisten für die Schöffenwahl
BayObLG, Beschluss vom 29.11.1996 - Az.: 2 St RR 177/96
Leitsätze:
1. Auch in §
36 Abs. 3 Satz 1 GVG ist der Begriff Woche dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechend dahin auszulegen, daß er einen Zeitraum von sieben Tagen umfaßt; es ist nicht rechtsfehlerhaft, wenn die Vorschlagslisten nicht an sieben Werktagen zur Einsicht aufliegen.
(amtlicher Leitsatz)2. Lagen die Vorschlagslisten in einigen von einer Vielzahl von Gemeinden, aus deren Vorschlagslisten die Liste des Bezirks zusammengestellt wurde (hier: in fünf von zweiundvierzig Gemeinden), weniger als eine Woche zu jedermanns Einsicht auf (hier: fünf Werktage), führt dies jedenfalls nicht zur Unwirksamkeit der Wahl solcher (Hilfs-) Schöffen, die aus der Liste einer Gemeinde stammen, die eine Woche lang ausgelegen hatte.
(amtlicher Leitsatz)
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Gründe
1. Mit der Verfahrensrüge macht der Angeklagte geltend, das Berufungsgericht sei mit den beiden zur Hauptverhandlung herangezogenen Hilfsschöffen nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, weil die Schöffenwahl unwirksam gewesen sei (unten a und b) und weil die Strafkammer rechtsfehlerhaft in außerordentlicher Sitzung verhandelt und entschieden habe, so daß zu Unrecht Hilfsschöffen herangezogen worden seien (unten c). Die Beanstandungen der Gerichtsbesetzung sind unbegründet.
a) Fehl geht die Argumentation des Angeklagten, soweit er beanstandet, in 24 von insgesamt 42 derjenigen Gemeinden, deren Vorschlagslisten zur gemeinsamen Vorschlagsliste für die Schöffenwahl des Bezirks zusammengefaßt worden seien, seien die Listen entgegen §
36 Abs. 3 Satz 1 GVG nicht eine Woche lang zur Einsicht aufgelegt gewesen. Insoweit legt er dar, die Vorschlagslisten seien in den einzelnen näher bezeichneten Gemeinden an sieben aufeinanderfolgenden Tagen, zum Teil auch länger, nicht aber eine Woche aufgelegt worden, weil jedenfalls jeweils ein Samstag und ein Sonntag, zum Teil auch Feiertage, in die Auflegungsfrist gefallen seien; die Auflegung habe aber an sieben Werktagen zu geschehen.
Dem kann nicht gefolgt werden. Eine Woche stellt nach allgemeinem Sprachgebrauch einen Zeitraum von sieben Tagen dar (Wahrig Deutsches Wörterbuch Neuausgabe 1986 S. 1442; Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache Band 6 1981 S. 2895; Duden Deutsches Universalwörterbuch 2. Auflage S. 1750). Es erscheint abwegig anzunehmen, der Gesetzgeber habe - insbesondere in §
36 Abs. 3 Satz 1 GVG - unter dem Begriff Woche einen anderen Zeitraum verstanden oder nicht bedacht, daß in jede Woche jedenfalls ein Samstag und ein Sonntag, gegebenenfalls auch ein oder mehrere Feiertage fallen.
Daß als Woche im Sinne von §
36 Abs. 3 Satz 1 GVG sieben aufeinanderfolgende Werktage zu verstehen sein sollten, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Hätte der Gesetzgeber eine solche dem Wortsinn und den in entsprechenden gesetzlichen Vorschriften über Fristen widersprechende Regelung gewollt, hätte er dies ohne Zweifel klar zum Ausdruck gebracht. Dies folgt ohne weiteres aus den Normen, die den Ablauf von Fristen regeln.
Daß die Frist von einer Woche unabhängig davon, ob ein Feiertag in sie fällt, grundsätzlich sieben Tage beträgt, ergibt sich für den Bereich des Strafverfahrensrechts aus §
43 Abs. 1 StPO, für den Bereich des Bürgerlichen Rechts aus §
188 Abs. 2 i.V.m. §
187 Abs. 1 BGB und für andere Rechtsgebiete aus den Vorschriften, die auf die Fristberechnung des BGB unmittelbar (wie §
222 Abs. 1 ZPO, §
108 Abs. 1 AO, §
31 Abs. 1 VwVfG) oder mittelbar über §
222 Abs. 1 ZPO verweisen (so §
54 Abs. 2 FGO, §
57 Abs. 2 VwGO). Eine Verlängerung der Frist findet nur dann statt, wenn deren Ende auf einen Samstag, Sonntag oder allgemeinen Feiertag fällt (§
43 Abs. 2 StPO, §
193 BGB, §
222 Abs. 2 ZPO), nicht dagegen, wenn die Frist an anderer Stelle einen solchen Tag umfaßt. Diese Regelungen beweisen, daß dem Gesetzgeber die Problematik des Fristenlaufs im Zusammenhang mit einem Samstag, Sonntag oder allgemeinen Feiertag sehr wohl bewußt war, daß er aus ihr aber nur in den oben genannten Fällen eine Konsequenz in der Form einer Fristverlängerung gezogen hat. Daß die Vorschlagslisten - was der Angeklagte hervorhebt - "zu jedermanns Einsicht eine Woche" lang aufzulegen sind, betrifft offensichtlich allein den Adressatenkreis, besagt aber nichts für die Fristberechnung. Ob der Präsident des Landgerichts, was der Revisionsführer dessen Schreiben vom 10.6.1996 entnimmt, tatsächlich die Auffassung vertritt, die Vorschlagslisten müßten an sieben Werktagen zur Einsicht aufliegen, kann dahinstehen. Eine solche Meinung wäre für die Auslegung des §
36 Abs. 3 Satz 1 GVG nicht entscheidend; sie wird im übrigen nach Kenntnis des Senats von den Vorsitzenden der Schöffenwahlausschüsse bei den Amtsgerichten nicht geteilt.
Demzufolge erscheint es unvertretbar, §
36 Abs. 3 Satz 1 GVG dahin auszulegen, daß unter dem Begriff Woche eine Folge von sieben Werktagen zu verstehen sei. Eine solche Auslegung wurde dem Wortsinn widersprechen; für einen dahingehenden Willen des Gesetzgebers fehlt jeder Anhaltspunkt. Aus landesrechtlichen Vorschriften - die im übrigen §
36 Abs. 3 Satz 1 GVG ohnehin nicht ändern könnten (vgl. Art.
31,
72,
74 Abs. 1 Nr. 1 GG) - ergibt sich nichts anderes (vgl. § 11 Sätze 1 und 2 der Gemeinsamen Bekanntmachung der Bayerischen Staatsministerien der Justiz und des Innern vom 6.12.1991 BayJMBl 1991, 248). Die Auffassung des Beschwerdeführers wird - soweit ersichtlich - von niemandem sonst vertreten. Vielmehr wird ausdrücklich anerkannt, daß es unschädlich ist, wenn in eine Frist ein Feiertag fällt; denn durch die Frist wird nur der Zeitraum insgesamt bestimmt, nicht werden es die Zeiten innerhalb dieses Zeitraumes, in denen die Vorschlagslisten eingesehen werden können (vgl. BVerwG
NVwZ 1986, 740 für die Auslegung von Planunterlagen; Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG 4. Aufl. § 31 Rn. 14).
b) Die Rüge, in sechs der Gemeinden, deren Vorschlagslisten zur Vorschlagsliste für die Schöffenwahl zusammengestellt wurden, sei die Wochenfrist des §
36 Abs. 3 Satz 1 GVG nicht eingehalten worden, weil die Auflegung jeweils nur von Montag mit Freitag erfolgt sei, vermag der Revision ebenfalls nicht zum Erfolg zu verhelfen.
Zunächst betrifft diese Rüge nach den Ausführungen des Revisionsführers tatsächlich nur die Vorschlagslisten von fünf Gemeinden. Denn bei der Gemeinde R lag die Vorschlagsliste nach der Revisionsbegründung von Dienstag, 12.5.1992, mit Montag, 18.5.1992, mithin sieben Tage zur Einsicht auf.
Soweit die Vorschlagslisten bei fünf Gemeinden nur von Montag mit Freitag zur Einsicht auslagen, widerspricht dies zwar §
36 Abs. 3 Satz 1 GVG, weil dieser Zeitraum nicht eine Woche umfaßt. Dieser Fehler fällt auch in den Verantwortungsbereich des Gerichts, das die Beachtung der Vorschriften des §
36 Abs. 3 GVG zu prüfen und die Abstellung etwaiger Mängel zu veranlassen hat (§
39 Satz 2 GVG); er führt aber nicht zur Unwirksamkeit der Schöffenwahl und damit nicht zum Erfolg der Revision.
Die Besetzungsrüge kann nur dann mit Erfolg erhoben werden, wenn die Wahl der Schöffen wegen eines besonders schwerwiegenden und offensichtlichen Mangels nichtig ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 42. Aufl. §
42 GVG Rn. 8 m.w.N.). Ein solcher Mangel liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn ein Schöffenwahlausschuß entscheidet, der als solcher gar nicht besteht (
BVerfGE 31, 181/184), oder wenn die Vertrauenspersonen des Schöffenwahlausschusses (vgl. §
40 GVG) nicht wirksam gewählt worden sind (
BGHSt 20, 37/39 f.); ferner, wenn ein Wahlausschuß Jugendschöffen aus einer Vorschlagsliste für Erwachsenenschöffen (vgl.
BGHSt 26, 393/395) oder Hilfsschöffen aus den für andere Amtsgerichtsbezirke aufgestellten Vorschlagslisten (
BGHSt 29, 144) wählt. Als schwerwiegender Mangel ist dagegen nicht anzusehen: Wenn der Schöffenwahlausschuß fehlerhaft zusammengesetzt ist (BVerfG
NJW 1982, 2368;
BGHSt 26, 206/210;
29, 283/287), wenn im gleichen Wahltermin auch solche Personen gewählt werden, die nicht auf einer Vorschlagsliste im Sinne von §
42 Abs. 1 GVG stehen und deshalb nicht gewählt werden dürfen (BGH
NStZ 1991, 546), wenn die Vorschlagsliste nach §
39 Abs. 1 Satz 1 GVG nicht im einzelnen darauf überprüft wurde, ob die in ihr aufgeführten Personen als Schöffen wählbar sind, oder wenn die Vorschlagsliste den Ausschußmitgliedern so spät ausgehändigt wurde, daß sie keine ausreichende Gelegenheit hatten, sich über die zur Wahl stehenden Personen zu unterrichten (
BGHSt 33, 261/268 f.); schließlich liegt ein schwerwiegender Fehler selbst darin nicht, daß bei der Schöffenwahl die Vorschlagsliste einer Gemeinde fehlte (BGHSt 33, 29O/292 ff.; BGH
NStZ 1986, 565).
An den aus diesen Entscheidungen folgenden Grundsätzen gemessen stellt der hier zu beurteilende Verstoß gegen §
36 Abs. 3 Satz 1 GVG keinen derart schweren Fehler dar, daß er die Wirksamkeit der Wahl der beiden in Rede stehenden Hilfsschöffen in Frage stellen könnte. Dies ergibt sich aus folgenden Umständen: Die Listen lagen tatsächlich zur Einsichtnahme durch jedermann auf. Daß dies nur an fünf Werktagen der Fall war, wird in seiner Bedeutung dadurch relativiert, daß nach den Darlegungen des Revisionsführers eine Einsichtnahme an Wochenenden ohnehin nicht stattfinden konnte, mithin eine Auflegung für die Dauer einer Woche nicht zur einer weitergehenden Möglichkeit der Einsichtnahme geführt hätte. Bei der Wahl der Schöffen und Hilfsschöffen wurden die Vorschlagslisten aller - auch die der hier diskutierten - Gemeinden bei der Aufstellung der Bezirksliste (§
39 Satz 1 GVG) berücksichtigt; damit war sichergestellt, daß dem Erfordernis der Repräsentanz aller Gruppen der Bevölkerung (§
36 Abs. 2 Satz 1 GVG; vgl. Kissel GVG 2. Aufl. § 36 Rn. 9) hinsichtlich aller Gemeinden des Bezirks genügt wurde. Mit den beiden Hilfsschöffen, deren Wahl der Angeklagte beanstandet, wurden Personen gewählt, die tatsächlich in der Liste des Bezirks aufgeführt waren und die zudem aus der Vorschlagsliste der Stadt R stammen, die tatsächlich eine Woche im dargestellten Sinne zur Einsichtnahme ausgelegen hatte; es ist deshalb nicht ersichtlich, wie ihre Wahl durch den von fünf anderen Gemeinden begangenen, nur ihre Vorschlagslisten betreffenden Fehler beeinflußt worden sein soll (vgl. BGH
NStZ 1986, 565).
Unter zusammenfassender Würdigung der vorstehenden Gesichtspunkte und unter Berücksichtigung des Sinnes der Vorschriften über den gesetzlichen Richter, die der Gefahr vorbeugen sollen, daß die Justiz durch eine Manipulierung der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird, insbesondere daß im Einzelfall durch die Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter ad hoc das Ergebnis der Entscheidung beeinflußt wird (BGHSt 33, 29O/293 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts), kann hier nicht von einem schwerwiegenden, die Wahl der Hilfsschöffen unwirksam machenden Fehler die Rede sein.
c) Auch die Rüge, das Berufungsgericht hätte nicht in außerordentlicher Sitzung verhandeln dürfen, so daß die für eine ordentliche Sitzung ausgelosten Hauptschöffen hätten herangezogen werden müssen, greift nicht durch. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die zutreffende Stellungnahme der Staatsanwaltschaft beim Revisionsgericht, die durch die Erwiderung des Angeklagten nicht entkräftet wird. Der Angeklagte läßt außer Betracht, daß die Bestimmung einer außerordentlichen Sitzung im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden steht (
BGHSt 37, 324/325;
16, 63/65) und daß es sich hier tatsächlich um eine zusätzlich zur geschäftsplanmäßigen Sitzung abgehaltene weitere Sitzung handelte.