Gültigkeit kommunaler Gebietsänderungen unter nationalsozialistischer Herrschaft
OVG Münster, Urteil vom 23.04.1952 - Az.: III A 931/51
Leitsätze:
Kommunale Gebietsänderungen, die unter Geltung der DGO 1935 und unter Einhaltung ihrer Bestimmungen vorgenommen worden sind, sind in der Regel rechtswirksam. (Leitsatz des Herausgebers)
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Volltext
Gründe
Die Nichtigkeit der Grenzänderung vom 7.4.1937 ist zu verneinen. Nichtig ist ein Verwaltungsakt nur dann, wenn er an so schweren formellen oder materiellen Mängeln leidet, daß er unter keinen denkbaren Voraussetzungen als rechtsgültig angesehen werden könnte, wenn er sich als Willkürmaßnahme darstellt und den Stempel der Nichtigkeit an der Stirn trägt. In allen anderen Fällen ist ein rechtlich fehlerhafter Verwaltungsakt lediglich im Wege der Anfechtung "vernichtbar".
Die Verfügung des Regierungspräsidenten vom 7.4.1937 ist auf Grund der damals geltenden Gesetzesvorschriften erlassen worden. Diese Vorschriften können nicht - wie die Klägerinnen meinen - als nationalsozialistisches Gedankengut betrachtet werden mit der Folge, daß die auf sie gestützte Grenzänderung von 1937 nichtig wäre. Es ist zwar nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes allgemeine Rechtsüberzeugung geworden, daß gesetzliche Vorschriften, die offenbar mit den Methoden des Machtstaates der Durchführung nationalsozialistischer Anschauungen dienten, als in unvereinbarem Widerspruch zu rechtsstaatlichem Denken stehend, nicht mehr anwendbar sind. Daraus folgt aber nicht, daß Verwaltungsakte, die wie die Grenzänderung von 1937 unter der Herrschaft des nationalsozialistischen Systems ergangen sind, deshalb rechtsungültig sein müßten. Es würde zu untragbaren Ergebnissen führen, wenn Verwaltungsakte aus der vergangenen Zeit als nichtig behandelt werden sollten, weil die Vorschriften, auf die sie sich stützen, nach heutiger Rechtsauffassung und in heutiger Zeit keinen Anspruch auf Weitergeltung mehr haben.
Im übrigen sind die im Jahre 1937 geltenden Vorschriften über kommunale Gebietsänderungen zwar nicht frei von nationalsozialistischen Gedankengängen, erscheinen aber auch heute in ihren wesentlichen Bestimmungen nicht ohne weiteres unanwendbar. Die Änderung von Gemeindegrenzen war in den §§ 13 ff. DGO a. F. geregelt. Danach konnten Gemeindegrenzen nur "aus Gründen des öffentlichen Wohles geändert werden". Diese schon in § 1 des Gesetzes über die Regelung verschiedener Punkte des Gemeindeverfassungsrechts vom 27.12.1927 (PrGS S. 211) enthaltene Vorschrift ist wörtlich in die ab 1.4.1946 in der Fassung der Militärregierungsverordnung Nr. 21 geltende Deutsche Gemeindeordnung übernommen worden. Die Änderung der Grenzen erfolgte durch die staatlichen Behörden, die den Gemeinden vorher Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben hatten (vgl. § 15 DGO a. F. und Erste AusfAnw vom 22.3.1935, Ziff. 3 zu § 15 - MBliV S. 415). Die Vornahme einer Grenzänderung war nicht an die Zustimmung der Gemeinde gebunden. Darin ist kein nationalsozialistisches Gedankengut zu erblicken. Schon das erwähnte Gesetz über die Regelung verschiedener Punkte des Gemeindeverfassungsrechts, das die bis dahin in verschiedenen kommunalen Verfassungsgesetzen verstreut enthaltenen Bestimmungen über gemeindliche Gebietsänderungen zusammenfaßte und vereinheitlichte, hatte nur die Anhörung, nicht aber die Zustimmung der betreffenden Gemeinden zu Gebietsänderungen vorgeschrieben und entgegenstehende Vorschriften der geltenden Gemeindeverfassungsgesetze aufgehoben (§§ 1 und 15). Diese Regelung hatte sich als notwendig erwiesen, um im öffentlichen Interesse gebotene Grenzänderungen auch gegen widerstrebende Einzelinteressen durchsetzen zu können. Auch nach dem heute im Lande Nordrhein-Westfalen geltenden Recht ist die Zustimmung der betreffenden Gemeinden zu Gebietsänderungen nicht erforderlich. Nach §§ 15 und 117 DGO a. F. in Verbindung mit § 36 Durchführungsverordnung zur Deutschen Gemeindeordnung a. F. sprach der Regierungspräsident "die Änderung des Gemeindegebietes" in allen Fällen aus, in denen nicht die Neubildung oder Auflösung einer Gemeinde oder die Umgliederung unbewohnter Gebietsteile in Frage stand. Diese Übertragung der Zuständigkeit zur Vornahme kommunaler Grenzänderungen an monokratische Behörden durch die Gemeindeordnung von 1935 bedeutete eine Abweichung von der bisherigen Regelung. Nach dem vorgenannten Gesetz über die Regelung verschiedener Punkte des Gemeindeverfassungsrechts vom 27.12.1927 waren bei der Änderung von Kreisgrenzen der Gesetzgeber, bei der Auflösung oder Neubildung von Gemeinden das Preußische Staatsministerium mit Delegationsbefugnis auf den Minister des Innern und in den übrigen Fällen die Beschlußbehörden (Kreisausschuß, Bezirksausschuß) zuständig. In der Neuregelung liegt zwar eine nationalsozialistischen Anschauungen entsprechende Abwendung von der Verwaltung durch kollegiale Behörden. Diese Neuordnung war aber nicht ohne Vorgänger in der Vergangenheit. Wenn der nationalsozialistische Gesetzgeber Einzelbeamte an die Stelle kollegialer Gremien treten ließ, so setzte er damit eine Entwicklung fort, die sich schon vorher angebahnt hatte. Es braucht nur an den bereits damals schrittweise erfolgten Übergang der Befugnisse der kollegialen Regierungsabteilungen auf den Regierungspräsidenten erinnert zu werden.
Die vorangeführten gesetzlichen Vorschriften für eine rechtswirksame Umgliederung von kommunalen Gebietsteilen sind beim Erlaß der Verfügung vom 7.4.1937 gewahrt worden. Die vorgeschriebene Anhörung der beteiligten Gemeinden hat stattgefunden, wie sich schon aus dem Vorbringen der Klägerinnen ergibt, daß sie einhellig der Abtretung von Gemeindegebiet an die Stadt ... widersprochen hätten. Die Verfügung bestimmt auch, wie vorgeschrieben, den "Tag der Rechtswirksamkeit" und regelt, soweit erforderlich, "das Ortsrecht und die neue Verwaltung" (§ 15 Abs. 1 DGO a. F.). Sie ist also formell in Ordnung.
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