Wirkung einer Gemeindefusion auf Jagdbezirke und Jagdgenossenschaften
BGH, Urteil vom 08.07.1982 - Az.: III ZR 46/81
Leitsätze:
1. Bei der Zusammenlegung von Gemeinden entstehen grundsätzlich kraft Gesetzes ein neuer gemeinschaftlicher Jagdbezirk und eine neue Jagdgenossenschaft, in denen die Jagdbezirke und Jagdgenossenschaften der zusammengelegten Gemeinden aufgehen. (amtlicher Leitsatz)
2. Die Vorschrift des § 71 Abs. 2 HessGemO, nach der (schriftlichen) Erklärungen, durch die eine Gemeinde verpflichtet werden soll, das Dienstsiegel beizufügen ist, erstreckt sich nicht auf Erklärungen, die die Gemeinde lediglich als Vertreter eines Dritten (hier: als Notvorstand einer Jagdgenossenschaft) abgibt. (Leitsatz des Herausgebers)
3. Die Vertretungsbefugnis des Notvorstands einer Jagdgenossenschaft beschränkt sich nicht auf besonders eilbedürftige Geschäfte. (Leitsatz des Herausgebers)
4. Laufende Jagdpachtverträge werden durch die Neugliederung von Gemeinden regelmäßig nicht berührt. (Leitsatz des Herausgebers)
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Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 2. Dezember 1980 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Kläger waren Mitglieder der Jagdgenossenschaft der ehemaligen Gemeinde O. Diese Jagdgenossenschaft hatte den Jagdbezirk O. durch Vertrag vom 7. Februar 1968 für die Zeit vom 1. April 1968 bis zum 31. März 1980 an ... verpachtet. In der Folgezeit wurden die Gemeinden N. und O. zu der Gemeinde K. zusammengeschlossen. Ein neuer Jagdvorstand wurde nicht gewählt. Gegen Ende des Jahres 1976 wollte der Pächter S. die Jagd an den Beklagten abgeben. Daraufhin schloß der Gemeindevorstand der Gemeinde K. unter der Bezeichnung "Notjagdvorstand der Jagdgenossenschaft O." am 22. Dezember 1976 mit dem Beklagten einen neuen Pachtvertrag für die Zeit vom 31. Dezember 1976 bis zum 31. März 1989. In diesem Vertrag wurde gleichzeitig der Pachtvertrag mit dem Vorpächter aufgehoben; der für 1976 im voraus gezahlte Pachtzins sollte mit der Pachtschuld des neuen Pächters verrechnet werden. Der Pachtvertrag mit dem Beklagten wurde seitens der Gemeinde durch den Bürgermeister und den ersten Beigeordneten unterschrieben; ein Dienstsiegel wurde nicht beigefügt. Der Landrat zeichnete den ihm angezeigten Vertrag am 4. Januar 1977 ohne Beanstandung ab.
Bei Abschluß des Vertrages vom 22. Dezember 1976 mit dem Beklagten war bereits seit geraumer Zeit beschlossen, daß die Gemeinde K. zum 1. Januar 1977 an die neue Großgemeinde L. angeschlossen wird, was dann auch geschah.
Die Kläger verlangen mit der Klage die Feststellung, daß der mit dem Beklagten geschlossene Pachtvertrag unwirksam sei. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehren die Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Gründe
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der streitige Pachtvertrag sei rechtswirksam. Formelle Mängel beständen nicht, da das Dienstsiegel den Unterschriften der Gemeindevertreter nicht habe beigefügt werden müssen. Der Gemeindevorstand sei zur Vertretung der Jagdgenossenschaft berechtigt gewesen und sei im Vertrag korrekt als Jagdnotvorstand der Jagdgenossenschaft O. bezeichnet worden; denn mit dem Untergang einer Gemeinde durch Gemeindezusammenschluß werde keine Änderung der gemeinschaftlichen Jagdbezirke der ehemaligen Gemeinden herbeigeführt. Der Jagdvorstand habe für die Neuverpachtung nicht des Einverständnisses der Jagdgenossen bedurft. Unschädlich sei auch, daß der Vorpächter an der Neuverpachtung nicht mitgewirkt habe, denn diese sei mit seinem Einverständnis geschehen. Das Verbot des Hessischen Ministers für Landwirtschaft, vor dem bevorstehenden Gemeindeanschluß Pachtverlängerungen oder Neuverpachtungen vorzunehmen, habe nur verwaltungsinterne Bedeutung.
II.
Die Revision hat Erfolg.
1.
Wie das Berufungsgericht allerdings zutreffend angenommen hat, bestehen keine Bedenken gegen die Formwirksamkeit des streitigen Pachtvertrages. Dieser Vertrag bedurfte nur der Schriftform gemäß § 11 Abs. 4 Satz 1 BJagdG, also der schriftlichen Abfassung und der Unterschrift beider Vertragsteile (§
126 Abs. 2 BGB).
Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Darüber hinaus bedurfte es nicht der Beifügung des Dienstsiegels der Gemeinde zu den Unterschriften des Gemeindevorstandes, der als Notvorstand die Jagdgenossenschaft vertreten wollte. Nach § 71 Abs. 2 der Hess.GemeindeO ist die Beifügung des Dienstsiegels nur vorgeschrieben für Erklärungen, durch die die Gemeinde verpflichtet werden soll. Hierunter fallen nicht Erklärungen, die die Gemeinde als Vertreter eines Dritten abgibt und durch die sie nicht selbst verpflichtet werden soll (vgl. Mitzschke/Schäfer BJagdG 4. Aufl. § 9 Rdn. 25; Lorz BJagdG § 9 Anm. 4).
2.
Das Berufungsgericht hat ferner zutreffend angenommen, daß der streitige Pachtvertrag nicht wegen fehlender Mitwirkung des Vorpächters, dessen Pachtzeit noch bis zum 31. März 1980 lief, unwirksam ist. Die Neuverpachtung stellte zwar auch die Verfügung eines Nichtberechtigten dar, da das Jagdausübungsrecht bei Vertragsschluß nicht der Jagdgenossenschaft zustand, sondern dem Vorpächter übertragen war. Diese dingliche Nichtberechtigung war jedoch unschädlich, da die Verfügung mit Einwilligung des Berechtigten, nämlich des Vorpächters, getroffen wurde (§
185 Abs. 1 BGB). Dieser war, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, mit dieser Neuverpachtung einverstanden. Seine Einwilligung bedurfte nach §
182 Abs. 2 BGB nicht der für die Verpachtung vorgeschriebenen Form, so daß eine Mitunterzeichnung des neuen Pachtvertrages durch ihn nicht erforderlich war.
3.
Der streitige Pachtvertrag ist auch nicht wegen Überschreitung der Vertretungsmacht des Gemeindevorstandes als Notvorstand unwirksam.
Die Jagdgenossenschaft wird nach außen von dem Jagdvorstand vertreten, der von der Jagdgenossenschaft zu wählen ist. Solange eine solche Wahl nicht stattgefunden hat, werden die Geschäfte des Jagdvorstandes vom Gemeindevorstand als Notvorstand wahrgenommen (§ 9 Abs. 2 Satz 3 BJagdG). Daher war auch hier im Zeitpunkt der Neuverpachtung mangels gewählten Jagdvorstandes der Gemeindevorstand zur Vertretung der Jagdgenossenschaft berechtigt. Seine Vertretungsbefugnis umfaßt alle Geschäfte, zu denen ein gewählter Jagdvorstand berechtigt ist. Sie beschränkt sich daher nicht auf Notgeschäfte, deren Erledigung besonders eilbedürftig ist.
Im Verhältnis zu Dritten ist auch unbeachtlich, daß die Neuverpachtung ohne vorherigen Beschluß der Genossenschaftsversammlung vorgenommen wurde (vgl. BGH Urteil vom 2. Februar 1965 -
V ZR 259/62 = RdL 1965, 102, 104). Im Außenverhältnis konnte die Vertretungsbefugnis allenfalls durch eindeutige Satzungsbestimmungen eingeschränkt werden (vgl. BGH Urteil vom 26. Februar 1964 - V ZR 196/61 = MDR 1964, 586). Für eine solche Beschränkung liegen jedoch keine Anhaltspunkte vor.
4.
Bedenken gegen die Wirksamkeit des streitigen Pachtvertrages bestehen jedoch dann, wenn man mit dem Berufungsgericht davon ausgeht, daß der Vertrag auf seiten des Verpächters für die Jagdgenossenschaft O. abgeschlossen wurde; denn diese bestand im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht mehr, sie war in der Jagdgenossenschaft K. aufgegangen.
Die Jagdgenossenschaft besteht aus den Eigentümern der bejagbaren Grundflächen eines gemeinschaftlichen Jagdbezirks (§ 9 Abs. 1 BJagdG); dieser deckt sich regelmäßig mit den bejagbaren Grundflächen einer Gemeinde (§ 8 Abs. 1 BJagdG). Mit der Zusammenlegung der Gemeinden O. und N. zu der Gemeinde K. entstand somit kraft Gesetzes der Jagdbezirk Kleenheim mit der Jagdgenossenschaft K.; die bisherigen Jagdbezirke und die Jagdgenossenschaften O. und N. gingen darin auf. Allenfalls für etwaige Abwicklungsgeschäfte sind die bisherigen Jagdgenossenschaften als fortbestehend anzusehen. Für eine Neugestaltung der Jagdnutzung in dem bisherigen Jagdbezirk durch Aufhebung des laufenden Pachtvertrages und Abschluß eines neuen Pachtvertrages fehlt der bisherigen Jagdgenossenschaft die Rechtspersönlichkeit; außerdem stände ihr kein zu verpachtendes Jagdausübungsrecht mehr zu, da dieses auf die neue Jagdgenossenschaft der neu entstandenen Großgemeinde übergegangen ist (h.M., vgl. Mitzschke/Schäfer a.a.O. § 8 Rdn. 6 ff. m.w.Nachw.).
Etwas anderes würde nur gelten, wenn der bisherige Jagdbezirk O. durch Teilung gemäß § 8 Abs. 3 BJagdG verselbständigt worden wäre, wie dies in der vom Berufungsgericht herangezogenen Entscheidung des VGH Baden-Württemberg vom 28. Dezember 1977 (X 286/75 = AgrarR 1978, 312) der Fall war. Dann hätten aus diesem Grunde ein selbständiger Jagdbezirk O. und eine Jagdgenossenschaft O. fortbestanden und eine Verpachtung dieses Bezirks durch diese Jagdgenossenschaft wäre rechtlich möglich gewesen. Für eine solche Teilung, die gemäß § 8 Abs. 3 BJagdG und § 5 Abs. 4 des Hess. Ausführungsgesetzes zum Bundesjagdgesetz die Zulassung durch die untere Jagdbehörde voraussetzt, liegen Jedoch keine Anhaltspunkte vor.
5.
Denkbar und rechtlich zulässig wäre es Jedoch, wenn in dem streitigen Pachtvertrag der frühere Jagdbezirk O. als unselbständiger Teil des neuen Jagdbezirks K. von der neuen Jagdgenossenschaft K. diese vertreten durch den Gemeindevorstand K. als Notjagdvorstand, verpachtet worden wäre. Dies setzt zunächst die gesetzliche Zulässigkeit einer solchen Teilverpachtung voraus. Sie ist gegeben, wenn die verpachtete Teilfläche und die verbleibende Fläche des Jagdbezirks Je mindestens 250 ha groß sind (§ 11 Abs. 2 BJagdG). Die Fläche des früheren Jagdbezirks O. erfüllt diese Voraussetzung; denn nach den Angaben in dem streitigen Pachtvertrag beträgt seine bejagbare Fläche 704 ha. Ob der übrige Teil, nämlich der frühere Jagdbezirk N., ebenfalls die Mindestgröße von 250 ha erreicht, ist bisher nicht festgestellt. Insoweit bedarf es noch weiterer tatrichterlicher Aufklärung. Sollte sich dabei ergeben, daß dieser Jagdbezirk nicht die Mindestgröße des § 11 Abs. 2 BJagdG erreicht, wäre der streitige Pachtvertrag bereits aus diesem Grunde nichtig (§ 11 Abs. 6 Satz 1 BJagdG). Etwas anderes wäre nur anzunehmen, wenn der Jagdbezirk N. seinerseits noch verpachtet gewesen wäre; denn dann wäre bis zum Ablauf dieser Pachtzeit eine gemeinschaftliche Verpachtung beider Teile rechtlich nicht möglich und aus diesem Grunde eine selbständige Verpachtung des bisherigen Jagdbezirks O. zulässig.
Um den streitigen Pachtvertrag als die Verpachtung des früheren Jagdbezirks O. als unselbständigen Teil des Jagdbezirks K. anzusehen, ist weiter erforderlich, daß der Gemeindevorstand Kleenheim bei Vertragsschluß Notvorstand der Jagdgenossenschaft K. war und daß er in dieser Eigenschaft den früheren Jagdbezirk O. als Teil des neuen Jagdbezirks K. verpachten wollte. Das Berufungsgericht hat zwar die Erklärung des Gemeindevorstands dahin verstanden, daß er als Notvorstand der Jagdgenossenschaft O. tätig werden und den fortbestehenden Jagdbezirk O. verpachten wollte. Diese Auslegung beruht Jedoch auf dem fehlerhaften Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß der Bestand des Jagdbezirks und der Jagdgenossenschaft O. von dem Gemeindezusammenschluß nicht berührt worden sei. Es bedarf daher der erneuten Auslegung, bei der die hier dargelegte Rechtslage zugrunde zu legen ist.
Hinsichtlich des verpachteten Jagdbezirks bestehen nach der bisherigen Sachlage keine Auslegungsschwierigkeiten; denn die Bezeichnung "Jagdbezirk O." umschreibt eine konkrete Fläche, die unabhängig von ihrer rechtlichen Selbständigkeit verpachtet werden sollte. Der näheren tatrichterlichen Prüfung bedarf es dagegen, ob der Gemeindevorstand K. Notvorstand der Jagdgenossenschaft K. war und ob er in dieser Eigenschaft die Verpachtung vornehmen wollte. Darüber hinaus wäre, falls ein solcher Wille nicht festgestellt wird, eine Umdeutung der Erklärungen gemäß §
140 BGB zu prüfen. Die Vertragsparteien hätten nämlich bei Kenntnis davon, daß der betreffende Jagdbezirk nur von dem Vorstand der Jagdgenossenschaft K. als Teil des Jagdbezirks K. verpachtet werden konnte, möglicherweise diese Form der Verpachtung gewählt.
6.
Der Wirksamkeit einer solchen Verpachtung steht nach der bisherigen Sachlage nicht entgegen, daß der Pachtvertrag genau einen Tag vor dem Anschluß der Gemeinde K. an die Gemeinde L. in Kraft gesetzt wurde. Vielmehr gilt auch hier der Grundsatz, daß laufende Pachtverträge durch eine Neugliederung von Gemeinden regelmäßig nicht berührt werden, sondern in analoger Anwendung von § 14 BJagdG bis zum Ablauf der vereinbarten Pachtzeit wirksam bleiben (vgl. Mitzschke/Schäfer a.a.O. § 14 Rdn. 19 m.w.Nachw.). Etwas anderes würde nur gelten, wenn eine sittenwidrige Aushöhlung der Befugnisse der am folgenden Tag entstehenden Jagdgenossenschaft L. vorläge (§
138 Abs. 1 BGB). Dies ist aber nach den bisherigen Feststellungen nicht anzunehmen. Insbesondere fehlt es an der erforderlichen verwerflichen Gesinnung, da nicht auszuschließen ist, daß die Vertragsparteien wegen des Verhaltens des Vorpächters die vorgenommene Neuverpachtung für geboten hielten.
7.
Für die endgültige Entscheidung bedarf es somit noch weiterer tatrichterlicher Feststellungen zur rechtlichen Möglichkeit einer Teilverpachtung gemäß § 11 Abs. 2 BJagdG und gegebenenfalls zur dahingehenden Auslegung oder Umdeutung der Erklärungen der Vertragsparteien, Unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung war die Sache daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.