Bundesrechtliche Schmälerung der Gewerbesteuerbasis ist zulässig
BVerfG, Beschluss vom 10.06.1969 - Az.: 2 BvR 480/61
Leitsätze:
1. Der Bund ist weder berechtigt noch verpflichtet, die finanziellen Verhältnisse der Gemeinden unmittelbar ohne Einschaltung der Länder zu ordnen. Das gilt auch für die Frage, wie hoch der Anteil eigener Einnahmen an den Gesamteinnahmen der Gemeinden sein soll.
(amtlicher Leitsatz)2. Art.
106 Abs. 6 GG verleiht den Gemeinden nicht ein verfassungskräftiges Recht auf das Realsteueraufkommen nach den realsteuerrechtlichen Normen, die bei der Einfügung des Art.
106 Abs. 6 GG in das Grundgesetz bestanden.
(amtlicher Leitsatz)
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Tatbestand
A.
I.
1. Die Gemeinden sind nach §
1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) berechtigt, eine Gewerbesteuer als Gemeindesteuer zu erheben. Besteuerungsgrundlagen für die Gewerbesteuer sind der Gewerbeertrag und das Gewerbekapital (§ 6 Abs. 1). Daneben kann die Lohnsumme als Besteuerungsgrundlage gewählt werden (§ 6 Abs. 2). Bei der Berechnung der Steuer nach Gewerbeertrag und -kapital ist von Steuermesszahlen auszugehen, die durch die Anwendung eines Hundertsatzes auf den Gewerbeertrag (§ 11 Abs. 1), und durch die Anwendung eines Tausendsatzes auf das Gewerbekapital (§ 13 Abs. 1) zu ermitteln sind. Durch Zusammenrechnung der Steuermesszahlen, die sich nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital ergeben, wird ein einheitlicher Steuermessbetrag gebildet (§ 14 Abs. 1). Aufgrund dieses Steuermessbetrages wird die Gewerbesteuer nach dem Hebesatz festgesetzt und erhoben, der von den hebeberechtigten Gemeinden für das dem Erhebungszeitraum entsprechende Rechnungsjahr festgesetzt ist.
2. Nach §
11 Abs. 2 des Gewerbesteuergesetzes in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 1960 (BGBl. I S. 616) betrugen die Steuermesszahlen für den Gewerbeertrag bei natürlichen Personen und bei Personengesellschaften (§ 2 Abs. 2 Nr. 1) für die ersten 2.400.-DM 0 v. H., für vier weitere Stufen von je 2.400.- DM jeweils 1 v.H. mehr und für alle weiteren Beträge 5 v.H.
Art. 6 Nr. 9 Buchstabe a) des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes, des Gewerbesteuergesetzes, des Bewertungsgesetzes, des Vermögensteuergesetzes, des Steuersäumnisgesetzes, der Reichsabgabenordnung, des Steueranpassungsgesetzes, des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (West) und anderer Gesetze (Steueränderungsgesetz - StÄndG - 1961) vom 13. Juli 1961 (BGBl. I S. 981) fasste §
11 Abs. 2 GewStG wie folgt:
"(2) Die Steuermesszahlen für den Gewerbeertrag betragen
1. bei natürlichen Personen, bei Gesellschaften im Sinne des § 2 Abs. 2 Ziff. 1 und bei Kapitalgesellschaften im Sinne des §
19 Abs. 1 Ziff. 2 des Körperschaftsteuergesetzes
für die ersten 7200 Deutsche Mark des Gewerbeertrags 0 v. H.,
für die weiteren 2400 Deutsche Mark des Gewerbeertrags 1 v. H.,
für die weiteren 2400 Deutsche Mark des Gewerbeertrags 2 v. H.,
für die weiteren 2400 Deutsche Mark des Gewerbeertrags 3 v. H.,
für die weiteren 2400 Deutsche Mark des Gewerbeertrags 4 v. H.,
für alle weiteren Beträge 5 v. H.;
2. bei anderen Unternehmen 5 v. H."
Art. 6 StÄndG 1961 ist nach Art. 26 dieses Gesetzes am 21. Juli 1961 in Kraft getreten.
Die Heraufsetzung des Gewerbesteuerfreibetrages von 2.400.- DM auf 7.200.- DM und die entsprechend niedrigeren Steuermesszahlen für die vier weiteren Stufen von je 2.400.- DM bedeuten eine Steuerbefreiung beziehungsweise eine Senkung der Gewerbesteuer für die Gewerbebetriebe, deren Gewerbeertrag 16.800.- DM im Jahr nicht übersteigt.
II.
1. Die Beschwerdeführerinnen sind kreisangehörige Städte in den Ländern Rheinland-Pfalz (Bad Ems), Niedersachsen (Eldagsen) und Nordrhein-Westfalen (Opladen). Sie erheben Gewerbesteuer nach Kapital und Ertrag. Am 30. Juni 1966 hatte Bad Ems 9.983 (am 30. Juni 1956: 9.655), Eldagsen 3.391 (am 25. September 1956: 3.577) und Opladen 42.133 (am 25. September 1956: 29.457) Einwohner.
2. Die Beschwerdeführerinnen fühlen sich durch die Erhöhung der Gewerbesteuerfreigrenze und durch die Senkung der Gewerbesteuer für Gewerbeerträge bis einschließlich 16.800.- DM in ihrem Selbstverwaltungsrecht beeinträchtigt. Sie rügen Verletzung der Art.
28 Abs. 2 und
106 Abs. 6 Satz 1 GG. Sie beantragen, festzustellen:
Der Dritte Abschnitt, Artikel 6 Nummer 9 Buchstabe a) des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes, des Gewerbesteuergesetzes, des Bewertungsgesetzes, des Vermögensteuergesetzes, des Steuersäumnisgesetzes, der Reichsabgabenordnung, des Steueranpassungsgesetzes, des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (West) und anderer Gesetze (Steueränderungsgesetz 1961) vom 13. Juli 1961 (BGBl. Teil I S. 981) ist insoweit verfassungswidrig und nichtig, als dadurch in §
11 Abs. 2 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes in der Fassung vom 18. November 1958 (BGBl. Teil I S. 775) der Betrag des mit der Steuermesszahl 0 v. H. belegten Gewerbeertrags von 2.400.- DM auf 7.200.- DM heraufgesetzt und die Beträge in den folgenden fünf Stufen entsprechend erhöht worden sind.
Im einzelnen tragen sie vor:
Art.
28 Abs. 2 GG garantiere den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Da eine selbstverantwortliche Regelung ohne eigene finanzielle Mittel nicht möglich sei, umfasse die Garantie der Selbstverwaltung einmal quantitativ einen Anspruch auf finanzielle Mindestausstattung und zum anderen qualitativ das Recht, den Finanzbedarf durch Steuern und Abgaben der Gemeindebürger zu decken. Art. 6 Ziff. 9 Buchstabe a) StÄndG 1961 verletze das Selbstverwaltungsrecht in beiden Richtungen.
Die Beschwerdeführerinnen gehörten zu den sogenannten gewerbesteuerschwachen Gemeinden, die von der Gesetzesänderung besonders hart betroffen seien. Die Erhöhung des Gewerbesteuerfreibetrages und die partielle Senkung der Gewerbesteuer bedeuteten für sie einen erheblichen Einnahmeausfall. So habe Bad Ems durch das Steueränderungsgesetz 1961 eine Mindereinnahme aus der Gewerbesteuer von 124.480.- DM, Eldagsen eine von 36.370.-DM und Opladen eine von 253.854.- DM gehabt. Diese Zahlen fielen selbst dann ins Gewicht, wenn sich durch einen Konjunkturaufschwung der absolute Gewerbesteuerertrag erhöht haben sollte, weil der Einnahmeausfall der Gemeinden dann auf den Gewerbesteuerertrag bezogen werden müsse, der sich ohne die Gewerbesteuersenkung ergeben hätte, und weil ein Konjunkturaufschwung zugleich die Ausgabenlast der Gemeinden vermehre. Die Finanzzuweisungen durch die Länder könnten den Einnahmeausfall nicht ausgleichen. Soweit sie ohnehin gewährt worden wären, dürften sie nicht in Rechnung gestellt werden, und soweit sie gerade den Gewerbesteuerausfall abdecken sollten, würden sie nur übergangsweise geleistet und könnten deshalb den Einnahmeausfall nicht auf die Dauer wettmachen.
Art. 6 Nr. 9 Buchstabe a) StÄndG 1961 beeinträchtige das Selbstverwaltungsrecht der Beschwerdeführerinnen auch qualitativ in dem Sinne, dass er die eigene Verantwortung der Gemeinden und die Mitverantwortung der Gemeindebürger beschränke. Die eigene Verantwortung werde dadurch beschränkt, dass die Gemeinden nicht mehr in gleichem Umfang wie bisher über eigene Einnahmen entscheiden könnten, sondern in erhöhtem Maße auf Finanzzuweisungen durch die Länder angewiesen seien, und die Mitverantwortung der Gemeindebürger dadurch, dass die Erhöhung der Gewerbesteuerfreigrenze eine erhebliche Zahl von gewerbetreibenden Bürgern von ihren finanziellen Verpflichtungen gegenüber den Gemeinden freistelle und damit das Interesse dieser Bürger am Schicksal der Gemeinde vermindere.
Art. 6 Nr. 9 Buchstabe a) StÄndG 1961 verstoße ferner gegen Art.
106 Abs. 6 Satz 1 GG. Die verfassungskräftige Zuweisung des Aufkommens der Realsteuern an die Gemeinden sei nur sinnvoll, wenn der Bundesgesetzgeber dieses Aufkommen nicht beliebig herabsetzen dürfe. Denn sonst könne er die Garantie des Art.
106 Abs. 6 Satz 1 GG dadurch leerlaufen lassen, dass er die Realsteuern aufhebe. Art.
106 Abs. 6 Satz 1 GG schütze vielmehr das Vertrauen der Gemeinden auf den Bestand der Realsteuern. Wo die Grenze der Befugnis des Bundesgesetzgebers liege, die Realsteuern zu regeln, brauche nicht im einzelnen erörtert zu werden. Nach Auffassung der Beschwerdeführerinnen sei diese Grenze jedenfalls mit Art. 6 Nr. 9 Buchstabe a) StÄndG 1961 unterschritten.
Art.
106 Abs. 6 Satz 1 GG erläutere und ergänze überdies die Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung nach Art.
28 Abs. 2 GG. Er bedeute, dass zum Kern der Selbstverwaltung auch die Befugnis gehöre, selbständig Steuern zu erheben.
Nach der Lohnsumme könne keine der Beschwerdeführerinnen die Gewerbesteuer erheben; die Stadt Bad Ems nicht, weil ihre Steuerhebesätze erheblich über dem Landesdurchschnitt lägen; die Stadt Eldagsen nicht, weil sie keine Betriebe mit nennenswerter Lohnsumme beherberge; und die Stadt Opladen nicht, weil der Regierungspräsident in Düsseldorf einen Antrag auf Genehmigung der Lohnsummensteuer aus wirtschaftlichen Gründen abgelehnt habe und diese Gründe immer noch bestünden.
III.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Deutschen Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung und den Landesregierungen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Bundesregierung ist dem Verfahren beigetreten. Sie hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
Art.
28 Abs. 2 GG garantiere den Gemeinden nicht das Gewerbesteueraufkommen aufgrund des einmal geltenden Gewerbesteuergesetzes, sondern gebe den Gemeinden nur einen Anspruch auf Gewährleistung einer für die Erfüllung der gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben erforderlichen finanziellen Mindestausstattung. Diese Gewährleistung sei aber durch das Steueränderungsgesetz 1961 nicht berührt worden, da die Länder im Rahmen ihrer ausschließlichen Zuständigkeit für den kommunalen Finanzausgleich die Maßnahmen getroffen hätten, die notwendig gewesen seien, um die Belastungen angemessen und wirksam auszugleichen, die sich für die Gemeinden aus dem Gesetz ergeben hätten.
Die beanstandete Regelung beeinträchtige auch nicht die Finanzautonomie der Gemeinden. Bei der Frage nach der Mindestgrenze für den Anteil der eigenen Einnahmen an den Gesamteinnahmen der Gemeinden sei zu berücksichtigen, dass die Diskrepanz zwischen der natürlichen Steuerschwäche vieler, insbesondere ländlicher Gemeinden und den notwendigen Selbstverwaltungsaufgaben dazu zwinge, den gemeindlichen Finanzbedarf zu einem erheblichen Teil aus überörtlichen Steuereinnahmen zu decken. Die Finanzzuweisungen an die Gemeinden müssten um so höher sein, je größer diese Diskrepanz sei. Der Anteil der eigenen Einnahmen könne daher nicht ein für allemal festgesetzt werden. Vielmehr lasse sich nur die durchschnittliche Verschiebung des Verhältnisses zwischen eigenen Einnahmen und Gesamteinnahmen für alle Gemeinden feststellen. Durch das Steueränderungsgesetz 1961 habe sich dieses Verhältnis nur um 1,5 v. H. der gesamten laufenden Einnahmen der Gemeinden geändert. Unter Berücksichtigung der allgemeinen Entwicklung des Verhältnisses zwischen eigenen Einnahmen und Finanzzuweisungen könne diese Verschiebung nicht als Eingriff in den Kern des Selbstverwaltungsrechts angesehen werden. Dass die Verschiebung bei einzelnen, insbesondere bei ländlichen Gemeinden, wesentlich höher sein könne, sei eine Folge der natürlichen Steuerschwäche dieser Gemeinden und führe daher nicht zu einer anderen verfassungsrechtlichen Beurteilung.
Die Verminderung der Zahl der Gewerbesteuerpflichtigen sei mit durchschnittlich 30 v.H. zwar beträchtlich, verletze aber nicht das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden. Art.
28 Abs. 2 GG garantiere nicht eine bestimmte Breitenwirkung der Gemeindesteuern. Aber selbst wenn man das annehme, könne sich die Garantie nur auf die Breitenwirkung der Gemeindesteuern insgesamt beziehen. Die Breitenwirkung der Gemeindesteuern insgesamt sei indessen durch Art. 6 Nr. 9 Buchstabe a) StÄndG 1961 nur unwesentlich vermindert, da anzunehmen sei, dass die Gewerbebetriebe überwiegend die auf Betriebsgrundstücken ruhende Grundsteuer und die Gewerbekapitalsteuer zu tragen hätten.
Auf die Auslegung des Art.
106 Abs. 6 GG kommt es nach Auffassung der Bundesregierung unter diesen Umständen nicht an.
Die Bundesregierung hat auf mündliche Verhandlung verzichtet.
IV.
Das Bundesverfassungsgericht hat vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden eine Auskunft eingeholt über die Entwicklung des Gewerbesteueraufkommens aller Gemeinden der Bundesrepublik, aller Gemeinden, deren Einwohnerzahl der der Beschwerdeführerinnen entspricht, sowie der Beschwerdeführerinnen, aufgeschlüsselt nach kassenmäßigen Gewerbesteuereinnahmen und nach der Gewerbesteueraufbringungskraft je Einwohner.
Das Statistische Bundesamt hat darauf hingewiesen, dass die stetige Zunahme der kassenmäßigen Gewerbesteuereinnahmen seit dem Jahre 1961 nicht ohne weiteres den Schluss zulasse, das Steueränderungsgesetz 1961 habe die Besteuerungsgrundlage nicht nennenswert gekürzt. Es müsse vielmehr angenommen werden, dass die günstige Konjunkturentwicklung die durch die Steueränderung bedingten Mindereinnahmen überkompensiert habe.
Die Beschwerdeführerinnen haben außerdem Aufstellungen über ihr Ist-Steueraufkommen, aufgeschlüsselt nach Steuerarten und Hebesätzen, für die Zeit von 1956 bis 1966 vorgelegt.
Gründe
B.
I.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
1. Als Gemeinden können die Beschwerdeführerinnen nach Art.
93 Abs. 1 Nr. 4b GG, §
91 Satz 1 BVerfGG Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erheben, ein Gesetz des Bundes verletze Art.
28 GG. Die Beschwerdeführerinnen tragen vor, in ihrem durch Art.
28 Abs. 2 GG gewährleisteten Selbstverwaltungsrecht beeinträchtigt zu sein, weil Art. 6 Nr. 9 Buchstabe a) StÄndG 1961 sie in der eigenverantwortlichen Ausgestaltung ihrer Einnahmen beschränke.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht nach §
91 Satz 2 BVerfGG ausgeschlossen. Ein Landesverfassungsgericht ist nicht zuständig. Die Beschwerdeführerinnen rügen die Unvereinbarkeit eines Bundesgesetzes mit Art.
28 Abs. 2 GG. §
91 Satz 2 BVerfGG legt den Vorrang der Landesverfassungsgerichtsbarkeit nur für den Fall fest, dass Gemeinden oder Gemeindeverbände die Unvereinbarkeit von Landesgesetzen mit ihrem Recht auf Selbstverwaltung nach dem Recht der Länder rügen. Die Kontrolle von Bundesrecht den Landesverfassungsgerichten zu übertragen, würde der Gesamtstruktur der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit widersprechen (
BVerfGE 1, 167 (173)).
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
1. Die angegriffene Heraufsetzung des Gewerbesteuerfreibetrages und die Senkung der Gewerbesteuer für Gewerbeerträge bis einschließlich 16.800.- DM im Jahr verstoßen nicht gegen Art.
28 Abs. 2 GG. Für diese Feststellung kommt es nicht darauf an, ob und inwieweit die Beschwerdeführerinnen die finanziellen Folgen des Steueränderungsgesetzes 1961 dadurch hätten ausgleichen können, dass sie Gewerbesteuer auf die Lohnsumme erhoben oder die Hebesätze erhöht hätten.
Art.
28 Abs. 2 GG gewährleistet den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung gilt jedoch nicht absolut. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Beschränkungen der Selbstverwaltung mit Art.
28 Abs. 2 GG vereinbar, soweit sie deren Kernbereich unangetastet lassen (
BVerfGE 23, 353 (365);
22, 180 (205 mit weiteren Nachweisen)). Was zu dem Bereich gehört, der verfassungskräftig gegen jede Schmälerung durch gesetzgeberische Eingriffe geschützt ist, lässt sich nicht abstrakt-allgemein umschreiben, sondern ergibt sich einmal aus der geschichtlichen Entwicklung und sodann aus den verschiedenen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung (
BVerfGE 17, 172 (182)). Dieser Kernbereich ist im vorliegenden Fall nicht berührt.
a) Ob zum Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung auch eine finanzielle Mindestausstattung der Gemeinden - sei es durch eigene Einnahmen, sei es durch Finanzzuweisungen - gehört, braucht hier nicht erörtert zu werden. Selbst wenn die Gemeinden einen verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch auf eine finanzielle Mindestausstattung haben sollten, könnte dieses Recht nicht durch ein Bundesgesetz wie das Steueränderungsgesetz 1961 beeinträchtigt werden. Denn ein solcher Anspruch kann den Gemeinden nicht gegenüber dem Bund, sondern nur gegenüber den Ländern zustehen. Die Sorge für die Gemeindefinanzen fällt grundsätzlich in die ausschließliche Kompetenz der Länder.
Nach Art.
30 und
70 Abs. 1 GG ist die Ausübung der staatlichen Befugnisse, insbesondere das Recht der Gesetzgebung, Sache der Länder, soweit das Grundgesetz nicht den Bund für zuständig erklärt hat. Für den Bereich der Gemeinden hat das Grundgesetz dem Bund eine allgemeine Zuständigkeit nicht eingeräumt (vgl. Maunz/Dürig, GG, Art. 28, Rdnr. 25). Allerdings ist der Bund zu finanziellen Leistungen an die Gemeinden unter bestimmten Umständen nach Art.
106 Abs. 7 GG verpflichtet. Ein solcher Fall liegt hier jedoch offensichtlich nicht vor.
Auch aus Art.
28 Abs. 2 und 3 GG ergibt sich kein Anspruch der Gemeinden auf finanzielle Mindestausstattung gegenüber dem Bund. Art.
28 Abs. 2 Satz 1 GG besagt lediglich, dass den Gemeinden in den Ländern das Recht gewährleistet wird, ihre Selbstverwaltungsangelegenheiten in eigener Verantwortung zu regeln, und Art.
28 Abs. 3 GG legt dem Bund die Verpflichtung auf, dafür Sorge zu tragen, dass die verfassungsmäßige Ordnung der Länder dem Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden nach Art.
28 Abs. 2 GG entspricht. Jeder unmittelbare Durchgriff auf die Gemeinden wird dem Bund durch die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes versagt (
BVerfGE 8, 122 (137)). Der Bund ist daher weder berechtigt noch verpflichtet, die finanziellen Verhältnisse der Gemeinden unmittelbar ohne Einschaltung der Länder zu ordnen. Das gilt auch für die Frage, wie hoch der Anteil eigener Einnahmen an den Gesamteinnahmen der Gemeinden sein soll. Demgemäß kann ein Bundesgesetz nicht schon deshalb gegen Art.
28 GG verstoßen, weil es die Gemeindesteuern senkt.
b) Selbst wenn aber den Gemeinden ein verfassungskräftiger Anspruch auf einen bestimmten Mindestanteil eigener Einnahmen gegen den Bund zustehen sollte, würde er durch die Senkung der Steuer auf den Gewerbeertrag nicht berührt werden. Denn ein solcher Anspruch könnte nicht auf Gewährleistung einer bestimmten Steuer gerichtet sein, wenn man nicht dem gesamten geltenden System der Gemeindesteuern Verfassungsrang einräumen will. Maßstab für den erforderlichen Anteil eigener Einnahmen könnte - wenn dieser Anteil Inhalt eines verfassungsrechtlich gesicherten Anspruchs der Gemeinden sein sollte - nicht das Gewerbesteueraufkommen für sich allein, sondern nur das Gesamtverhältnis zwischen eigenen und Fremdeinnahmen überhaupt sein.
Die Gewerbesteuer war ursprünglich als Ausgleich für die besonderen Lasten gedacht, die den Gemeinden durch Gewerbebetriebe entstehen. Ihr Anteil an den eigenen Steuern der Gemeinden betrug 1894 nur 2,3 v.H. Im Zuge der Industrialisierung nahm dieser Anteil ständig zu. 1913 machte er 11 v.H., 1931 19 v.H. und 1964 80 v.H. der Steuereinnahmen aller Gemeinden aus. Die Gewerbesteuer ist auf diese Weise in der Tat zu einer Haupteinnahmequelle der Gemeinden geworden. Da der Gewerbesteuerertrag andererseits von Zahl und Größe der in einer Gemeinde ansässigen Gewerbebetriebe abhängt und besonders die großen Gewerbebetriebe vielfach standortgebunden sind, hat das geltende Gewerbesteuersystem von jeher die Gemeinden benachteiligt, in deren Gebiet keine oder nur wenige kleine Wirtschaftsunternehmen arbeiten (Kommission für die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, 1966, S. 97). Diese ungleichmäßige Verteilung des Gewerbesteueraufkommens hat zu einem Finanzausgleich zwischen den Gemeinden über staatliche Finanzzuweisungen gezwungen, mit der Folge, dass für eine große Zahl kleiner und ländlicher Gemeinden die Abhängigkeit von diesen Finanzzuweisungen ständig gewachsen ist und die Möglichkeiten dieser Gemeinden, ihre Einnahmen selbstverantwortlich zu gestalten, entsprechend geringer geworden sind. Aus diesem Grund sieht das Einundzwanzigste Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Finanzreformgesetz) vom 12. Mai 1969 (BGBl. I S. 359), das am 1. Januar 1970 in Kraft treten wird, eine andere Verteilung des Steueraufkommens vor, indem es einerseits die Gemeinden am Aufkommen der Einkommensteuer beteiligt und andererseits eine Beteiligung von Bund und Ländern am Gewerbesteueraufkommen ermöglicht (vgl. Art.
106 Abs. 5 und 6 GG n.F.).
Die seit langem bestehende unterschiedliche Auswirkung des Gewerbesteuersystems auf die Einnahmen der einzelnen Gemeinden zeigt, dass der Gesetzgeber in der Lage sein muss, das System der Gemeindesteuern zu ändern und die eigenen Einnahmequellen der Gemeinden anders zu verteilen. Dabei kann er auch deren eigene Einnahmen schmälern. Da vor allem die Gewerbesteuer zu Verzerrungen im Gemeindesteueraufkommen geführt hat, beeinträchtigt eine Senkung der Gewerbesteuer das Selbstverwaltungsrecht jedenfalls dann nicht, wenn die Einbußen der einzelnen Gemeinden auf andere Weise ausgeglichen werden.
c) Dass die Erhöhung der Gewerbesteuerfreigrenze durch das Steueränderungsgesetz 1961 die Zahl der gewerbesteuerpflichtigen Gemeindebürger erheblich vermindert hat, beeinträchtigt nicht den Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden. Zu diesem Kernbereich gehört nicht eine bestimmte Breitenwirkung von Gemeindesteuern. Steuern haben mannigfache Funktionen. Möglicherweise wecken sie auch das Interesse der Bürger an der Finanzgebarung ihrer Gemeinde. Nach dem allgemeinen Verständnis und dem geschichtlichen Erscheinungsbild haben Steuern aber in erster Linie den Sinn, den allgemeinen Finanzbedarf des Staates und der Gemeinden zu decken (
BVerfGE 18, 315 (328);
16, 147 (161)). Die Breitenwirkung einer Steuer ist rechtlich nur unter dem Blickwinkel der Steuergerechtigkeit erheblich. Das galt und gilt auch für Gemeindesteuern.
2. Art. 6 Nr. 9 Buchstabe a) StÄndG 1961 verstößt nicht gegen Art.
106 Abs. 6 GG. Danach steht den Gemeinden das Aufkommen der Realsteuern zu, zu denen auch die Gewerbesteuer gehört. Ob diese Vorschrift den Gemeinden ein Recht auf das Bestehen von Realsteuern verfassungskräftig gewährleistet, kann dahingestellt bleiben. Sie verleiht ihnen jedenfalls nicht ein verfassungskräftiges Recht auf das Realsteueraufkommen nach den realsteuerrechtlichen Normen, die bei der Einfügung des Art.
106 Abs. 6 in das Grundgesetz bestanden, weil dem Bund unter den Voraussetzungen des Art.
72 Abs. 2 GG die konkurrierende Gesetzgebung über die Realsteuern zusteht (Art.
105 Abs. 2 GG). Der Bundesgesetzgeber hat von seiner Gestaltungsfreiheit mit Art. 6 Nr. 9 Buchstabe a) StÄndG 1961 keinen fehlsamen Gebrauch gemacht. Nach der Begründung zum Regierungsentwurf des Steueränderungsgesetzes 1961 (BTDrucks. III/2573 S. 16) sollte die Gewerbesteuersenkung die kleinen und mittleren Gewerbebetriebe fördern. Das ist ein legitimes, wirtschaftspolitisches Ziel, das offensichtlich innerhalb des Rahmens der verfassungsmäßigen Ordnung liegt.
Auch die Beschwerdeführerinnen verkennen nicht, dass der Bundesgesetzgeber berechtigt ist, die Höhe der Realsteuer zu ändern. Sie meinen aber, der Bund dürfe bei der Schmälerung des Realsteueraufkommens eine bestimmte Grenze nicht unterschreiten, und sie behaupten, er habe diese Grenze mit dem Steueränderungsgesetz 1961 unterschritten. Diese Behauptung haben die Beschwerdeführerinnen indessen nicht näher belegt. Es sind auch keine Indizien ersichtlich, die sie stützen könnten. Aus der Auskunft des Statistischen Bundesamtes ergibt sich vielmehr, dass die kassenmäßigen Gewerbesteuereinnahmen aller Gemeinden der Bundesrepublik trotz des Steueränderungsgesetzes 1961 seit 1960 stetig zugenommen haben.
3. Art. 6 Nr. 9 Buchstabe a) StÄndG 1961 verletzt nicht den Gleichheitssatz, der als selbstverständlicher ungeschriebener Verfassungsgrundsatz in allen Rechtsbereichen und für alle Personengemeinschaften gilt (
BVerfGE 23, 353 (373)).
a) Es kann nicht festgestellt werden, dass der Bund die Beschwerdeführerinnen durch das Steueränderungsgesetz 1961 gegenüber anderen Gemeinden mit gleicher Einwohnerzahl erheblich benachteiligt hat. Aus der Auskunft des Statistischen Bundesamtes ergibt sich zwar, dass die Gewerbesteueraufbringungskraft der Beschwerdeführerinnen vorübergehend erheblich gesunken ist, während die Gewerbesteueraufbringungskraft der Gemeinden entsprechender Größenklassen im Bundesdurchschnitt dem allgemeinen Trend folgend zugenommen hat. Die Beschwerdeführerinnen haben jedoch entsprechend höhere Finanzzuweisungen erhalten. Sollten die Finanzzuweisungen den vorübergehenden Gewerbesteuerausfall der Beschwerdeführerinnen nicht oder nur unzureichend abgedeckt haben, so könnte darin jedenfalls nicht eine Ungleichbehandlung durch den Bund, sondern nur eine durch die zuständigen Länder liegen (oben B II 1 a).
b) Der Gleichheitssatz wäre aber selbst dann nicht verletzt, wenn das Steueränderungsgesetz 1961 die Beschwerdeführerinnen im Ergebnis verhältnismäßig härter getroffen hätte als die Gemeinden gleicher Größenklassen im Bundesdurchschnitt. Die Änderung der Gewerbesteuer betraf alle Gemeinden in der Bundesrepublik und eine große Zahl von Gewerbetreibenden. Der Gesetzgeber musste deshalb typisieren und damit in weitem Umfange die Besonderheiten nicht nur des einzelnen Falles, sondern ganzer Fallgruppen vernachlässigen. Eine gewisse ungleiche wirtschaftliche Auswirkung auf die Gemeinden war besonders angesichts der Struktur der Gewerbesteuer unvermeidlich. Die Auswirkungen sind im ganzen durch Finanzzuweisungen ausgeglichen worden. Unter diesen Umständen sind einzelne Härtefälle nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinzunehmen (
BVerfGE 13, 331 (341);
14, 76 (102 f.); 16, 147 (187); 21, 12 (27)). Gründe dafür, dass die Auswirkungen des Steueränderungsgesetzes 1961 auf die Beschwerdeführerinnen in einem Missverhältnis zu den mit der Typisierung verbundenen Vorteilen stehen, sind nicht ersichtlich.
III.
Diese Entscheidung ist zu der Frage, ob den Gemeinden ein Anspruch auf finanzielle Mindestausstattung gegen den Bund zusteht (oben B II 1 a) mit 6 gegen 2 Stimmen, im übrigen einstimmig ergangen.