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Verankerung der Weisungsgebundenheit von Aufsichtsratsmitgliedern im Gesellschaftsvertrag einer kommunalen GmbH

BVerwG, Urteil vom 31.08.2011 - Az.: 8 C 16.10

Leitsätze:

1. Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz des Gesellschaftsrecht, nach dem Mitglieder des fakultativen Aufsichtsrats einer GmbH von Weisungen unabhängig sein müssen. Der Gesellschaftsvertrag einer GmbH kann vielmehr eine Bindung an Weisungen vorsehen. (Leitsatz des Herausgebers)

2. Um von den in § 52 Abs. 1 GmbHG aufgeführten Vorschriften des Aktiengesetzes abzuweichen, genügt nicht die bloße Bestimmung im Gesellschaftsvertrag, dass diese Vorschriften keine Anwendung finden. Vielmehr muss dem Gesellschaftsvertrag zumindest durch Auslegung zu entnehmen sein, welche Regeln statt dessen gelten sollen. (Leitsatz des Herausgebers)

3. Bei der Auslegung des Gesellschaftsvertrags einer Gesellschaft, an der eine Gemeinde maßgeblich beteiligt ist und zu deren Aufgaben die Wahrnehmung der kommunalen Daseinsvorsorge für ihre Einwohner gehört, sind diejenigen Vorschriften des Verfassungs- und Gesetzesrechts zu berücksichtigen, welche für die Gemeinde verbindlich sind. Es spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Gemeinde die gesetzlichen Voraussetzungen für ihre Beteiligung an einer derartigen Gesellschaft einhalten wollte und will. Weil diese gesetzlichen Bestimmungen im Gesetzblatt bekanntgemacht sind, steht auch der Schutz des Rechtsverkehrs ihrer Berücksichtigung nicht entgegen. (Leitsatz des Herausgebers)

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Volltext

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt, soweit es die Kläger zu 2 und 4 betrifft. Insoweit sind das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 13. Juli 2007 und das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. April 2009 ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen mit Ausnahme der Kostenentscheidungen wirkungslos.

Die Revision der Kläger zu 1 und 3 gegen das genannte Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Revisionsverfahrens tragen die Kläger zu 1 und 3 jeweils ein Drittel, die Kläger zu 2 und 4 jeweils ein Sechstel.

Tatbestand

Die Kläger sind Mitglieder des beklagten Rates der Stadt Siegen und auf dessen Vorschlag von der Gesellschafterversammlung der Siegener Versorgungsbetriebe GmbH (im Folgenden: SVB) gewählte Aufsichtsratsmitglieder dieses Unternehmens. Sie wenden sich gegen Weisungen, Aufträge und andere Maßnahmen des Beklagten, durch die sie die freie Ausübung ihrer Aufsichtsratsmandate gefährdet sehen.

An der 1972 zunächst von der Stadt Siegen allein gegründeten SVB sind seit 1984 neben der Stadt, die noch über einen Geschäftsanteil von 74,88 % des Stammkapitals verfügt, die rhenag Rheinische Energie AG mit 24,92 % und das Bankhaus Bethmann mit 0,2 % beteiligt. Die §§ 7 bis 9 des zuletzt - aber nicht insoweit - am 17. Juli 2002 geänderten Gesellschaftsvertrages regeln die Zusammensetzung, Amtsdauer und Arbeitsweise sowie die Aufgaben des bei der SVB zu bildenden Aufsichtsrates. Er besteht aus 17 Mitgliedern, von denen 14 die Stadt Siegen stellt. Acht von ihnen werden nach den für die Bestellung von Ausschüssen nach der Gemeindeordnung geltenden Verfahren vom Rat der Stadt zur Wahl vorgeschlagen. Gemäß § 7 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages finden die Bestimmungen des Aktiengesetzes auf den Aufsichtsrat keine Anwendung. Zu seinen Aufgaben gehört neben der Überwachung der Geschäftsführung unter anderem die Erteilung der Zustimmung zu grundlegenden Geschäftsvorgängen, darunter auch die Festsetzung und Änderung der allgemeinen Tarifpreise und allgemeinen Versorgungsbedingungen.

Im Zuge der Preisfestsetzung bei der SVB war es in den Jahren 2005 und 2006 in den Gremien der Stadt Siegen mehrfach zu Divergenzen über die Zulässigkeit von Weisungen des Rates gegenüber Mitgliedern des Aufsichtsrates der SVB, die zugleich Mitglieder des Rates der Stadt und auf dessen Vorschlag von der Gesellschafterversammlung in den Aufsichtsrat gewählt worden sind, gekommen. Am 13. September 2006 beschloss der Haupt- und Finanzausschuss des Beklagten, die städtischen Vertreter im Aufsichtsrat der SVB zu beauftragen, einer Erhöhung der Erdgas- und Wärmeabgabepreise zum 1. Oktober 2006 in der Sitzung des Aufsichtsrates der SVB am 14. September 2006 nicht zuzustimmen. Zugleich erteilte der Ausschuss den städtischen Vertretern im Aufsichtsrat der SVB die Weisung, einen Antrag auf geheime Abstimmung im Aufsichtsrat abzulehnen. Diese Dringlichkeitsentscheidung des Ausschusses wurde vom Beklagten in der Sitzung vom 26. September 2006 genehmigt. In der Aufsichtsratssitzung vom 14. September 2006 wurde die Preiserhöhung ab 1. Oktober 2006 dennoch in geheimer Abstimmung gebilligt.

Hierauf beantragten vier Ratsfraktionen, in der am 13. Dezember 2006 stattfindenden Sitzung des Beklagten zu beschließen, seine Mitglieder im Aufsichtsrat der SVB zu beauftragen, in der Aufsichtsratssitzung am 14. Dezember 2006 für die Rücknahme der Preiserhöhung vom 1. Oktober 2006 zum 1. Januar 2007 einzutreten und einem entsprechenden Antrag zuzustimmen sowie einen Antrag im Aufsichtsrat auf geheime Abstimmung abzulehnen. Der Antrag wurde unter Tagesordnungspunkt (TOP) 4.1 in die Tagesordnung der Ratssitzung vom 13. Dezember 2006 aufgenommen und mehrheitlich beschlossen. In der Sitzung des Aufsichtsrates der SVB vom 14. Dezember 2006 kam gleichwohl keine entsprechende Beschlussfassung zustande.

Bereits am 5. Dezember 2006 hatten die Kläger beim Verwaltungsgericht Klage erhoben. Angesichts der unmittelbar bevorstehenden Ratssitzung hatten sie zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, dem Beklagten bzw. Antragsgegner zu untersagen, ihnen als vom Rat der Stadt vorgeschlagenen und von der Gesellschafterversammlung der SVB gewählten Mitgliedern des Aufsichtsrates in Bezug auf die Ausübung ihres Stimmrechts im Aufsichtsrat Weisungen oder das Stimmrecht berührende Aufträge zu erteilen oder sie in irgendeiner anderen Weise zu veranlassen, ihr Stimmrecht in einer bestimmten Art und Weise auszuüben, und insbesondere dem Beklagten zu untersagen, am 13. Dezember 2006 den unter TOP 4.1 bezeichneten Beschluss zu fassen. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes blieb - auch im Beschwerdeverfahren - ohne Erfolg.

Nach Durchführung der Aufsichtsratssitzung vom 14. Dezember 2006 haben die Kläger ihre Klage umgestellt und die Feststellung begehrt, dass die Beschlüsse des Beklagten in der Ratssitzung vom 13. Dezember 2006 zum TOP 4.1 sie in ihren organschaftlichen Rechten verletzt haben. Zudem haben sie die Klage um den Feststellungsantrag erweitert, dass der Beklagte generell nicht berechtigt sei, ihnen Weisungen oder das Stimmrecht im Aufsichtsrat berührende Aufträge zu erteilen.

Zur Begründung haben sie vorgetragen, die Klage sei als Kommunalverfassungsstreit zulässig. Ein Weisungsrecht nach § 113 Abs. 1 GO NRW bestehe nicht, wobei dahinstehen könne, ob sie als von der Gesellschafterversammlung gewählte und vom Rat der Stadt Siegen vorgeschlagene Mitglieder des Aufsichtsrates als Vertreter der Gemeinde im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden könnten. Nach herrschender Auffassung hätten Aufsichtsratsmitglieder ihr Stimmrecht eigenverantwortlich auszuüben und seien keinem Weisungsrecht unterworfen. Das Gesellschaftsrecht lasse eine Bindung von Aufsichtsratsmitgliedern an Weisungen oder Aufträge nur zu, wenn ein Weisungsrecht ausdrücklich im Gesellschaftsvertrag verankert sei. Diese Ansicht werde durch § 108 Abs. 4 Nr. 2 - nun Abs. 5 Nr. 2 - GO NRW belegt. Der Gesellschaftsvertrag der SVB sehe keine Möglichkeit für Weisungen gegenüber den Aufsichtsratsmitgliedern vor. Eine dahingehende Änderung des Gesellschaftsvertrags sei nicht möglich, weil die Minderheitsgesellschafter dies ablehnten. Die bereits beschlossene Preiserhöhung rückgängig zu machen, widerspräche dem Interesse der Gesellschaft, da die Erhebung nur der niedrigeren früheren Preise im Jahr 2007 zu einer gravierenden Unterdeckung und damit zu einer existenziellen Gefahr für das Unternehmen geführt hätte. Ebenso unverständlich sei der Versuch, eine geheime Abstimmung im Aufsichtsrat zu unterbinden.

Mit Urteil vom 13. Juli 2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Für die begehrte Feststellung einer Rechtsverletzung durch die Weisungen vom 13. Dezember 2006 fehle das Feststellungsinteresse. Der erweiternde Klageantrag sei demgegenüber zulässig. Der Beklagte sei aber grundsätzlich zur Erteilung von Weisungen bezüglich der Ausübung des Stimmrechts im Aufsichtsrat der SVB berechtigt.

Mit Urteil vom 24. April 2009 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Rechtsgrundlage des kommunalen Weisungsrechts sei § 113 Abs. 1 Satz 2 GO NRW. Die Vorschrift sei verfassungsgemäß, insbesondere kompetenzgemäß erlassen. Ihre Voraussetzungen seien erfüllt. Die Kläger könnten als Vertreter der Gemeinde im Sinn dieser Vorschrift angesehen werden, denn hierzu zählten auch die auf Vorschlag der Gemeinde von der Gesellschafterversammlung in den Aufsichtsrat gewählten Mitglieder. Die Weisungsbindung der Kläger sei nicht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 GO NRW durch andere gesetzliche Bestimmungen, insbesondere § 52 Abs. 1 GmbHG, ausgeschlossen. Der Aufsichtsrat der SVB entspreche entgegen der Ansicht der Kläger nicht einem obligatorischen Aufsichtsrat. Bei der SVB liege vielmehr ein fakultativer Aufsichtsrat vor, wobei § 7 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages vorsehe, dass die Bestimmungen des Aktiengesetzes auf den Aufsichtsrat keine Anwendung finden. Eine Kollision mit den Vorgaben des Gesellschaftsrechts liege nicht vor. Es sei nicht davon auszugehen, dass es die Zulässigkeit von Weisungen abschließend regele und keinen Raum für ein Weisungsrecht auf kommunalrechtlicher Grundlage lasse. Namentlich stehe der kommunalrechtlichen Weisungsbefugnis des Beklagten kein allgemeiner ungeschriebener gesellschaftsrechtlicher Grundsatz der Weisungsfreiheit von Aufsichtsratsmitgliedern entgegen. Bei einem fakultativen Aufsichtsrat bedeute das Weisungsrecht keinen Eingriff in originäre Rechte des Aufsichtsorgans. Dem lasse sich nicht entgegenhalten, dass mit der Bestellung des Aufsichtsrates ein Vertrauen des Rechtsverkehrs in dessen Unabhängigkeit begründet werde. Ein solches sei nur insoweit denkbar, wie es durch den Gesellschaftsvertrag gerechtfertigt werde. Dass ein Weisungsrecht nur zulässig sei, wenn es im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich festgeschrieben werde, könne nicht aus § 108 Abs. 4 Nr. 2 - nunmehr Abs. 5 Nr. 2 - GO NRW abgeleitet werden. Es genüge, die in § 52 Abs. 1 GmbHG vorgesehene Geltung der Vorschriften des Aktiengesetzes durch den Gesellschaftsvertrag abzubedingen. Die Weisungsgebundenheit der Kläger sei nicht einmal durch eine Verpflichtung auf das Wohl der Gesellschaft beschränkt, weil gesellschaftsrechtliche Vorschriften das kommunale Weisungsrecht nicht einschränkten. Demzufolge habe auch der Berufungsantrag zu 2. - früherer Klageantrag zu 1. - keinen Erfolg.

Zur Begründung ihrer Revision haben die Kläger ihren bisherigen Vortrag wiederholt. Sie heben hervor, dass Aufsichtsratsmitglieder nach der ganz herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur generell keinen Weisungen unterworfen seien. Etwas anderes gelte nur, wenn das Weisungsrecht ausdrücklich im Gesellschaftsvertrag vorgesehen sei. Anderenfalls würden auch die auf Vorschlag des Beklagten gewählten Aufsichtsratsmitglieder gegenüber den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat ungleich behandelt.

Nachdem die Kläger zu 2 und 4 aus dem Aufsichtsrat der SVB ausgeschieden sind, haben sie den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Der Beklagte hat der Erledigung zugestimmt.

Die Kläger zu 1 und 3 beantragen nunmehr,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 13. Juli 2007 und das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. April 2009 ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen zu ändern und festzustellen, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, ihnen - als vom Beklagten vorgeschlagenen und von der Gesellschafterversammlung der Siegener Versorgungsbetriebe GmbH gewählten Mitgliedern des Aufsichtsrats der Siegener Versorgungsbetriebe GmbH - in Bezug auf die Ausübung ihres Stimmrechts im Aufsichtsrat der Siegener Versorgungsbetriebe GmbH Weisungen oder das Stimmrecht berührende Aufträge zu erteilen.

Der Beklagte beantragt, die Revision der Kläger zu 1 und 3 zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren. Er hält eine Weisungsgebundenheit der auf Vorschlag der Gemeinde gewählten Mitglieder des fakultativen Aufsichtsrates einer GmbH mit kommunaler Beteiligung nur dann mit Gesellschaftsrecht, insbesondere mit § 52 GmbHG, für vereinbar, wenn der Gesellschaftsvertrag das Weisungsrecht ausdrücklich vorsieht. Hier könne § 7 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages allenfalls durch Auslegung entnommen werden, dass die Weisungsfreiheit für alle Aufsichtsratmitglieder nicht gelte und die Kläger an die Weisungen des Beklagten gebunden seien. § 52 Abs. 1 GmbHG verlange aber die positive Regelung eines Weisungsrechts im Sinn eines Vertragsvorbehalts.

Gründe

Nachdem die Kläger zu 2 und 4 und der Beklagte übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren insoweit entsprechend § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Die Vorentscheidungen sind mit Ausnahme der Kostenentscheidung wirkungslos (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO).

Die Revision der Kläger zu 1 und 3 ist unbegründet. Zwar verletzt das angefochtene Urteil Bundesrecht, es stellt sich aber im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Kläger seien bei ihrer Tätigkeit als Mitglieder des Aufsichtsrates der SVB an Beschlüsse und Weisungen des Beklagten gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Juli 1994 (GV.NRW 1994, 666), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Mai 2011 (GV.NRW 2011, 271), bereits deshalb gebunden, weil eine andere gesetzliche Bestimmung im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 GO NRW nicht bestehe, verletzt § 52 GmbHG (1.). Allein die Regelung des § 7 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages, demzufolge die SVB einen Aufsichtsrat hat, auf den die Bestimmungen des Aktiengesetzes keine Anwendung finden, reicht nicht aus, die Anwendbarkeit des § 52 Abs. 1 GmbHG zu verneinen (2.). Die Auslegung des Gesellschaftsvertrages ergibt aber ein Weisungsrecht des Beklagten (3.).

1. Die Frage, ob die Kläger kommunalrechtlich verpflichtet sind, Weisungen des Beklagten in Ansehung ihrer Mandatswahrnehmung im Aufsichtsrat der SVB entgegen zu nehmen und zu befolgen, regelt das Landesrecht. Das Berufungsgericht hat die Rechtsgrundlage in § 113 Abs. 1 GO NRW gesehen und, für das Revisionsgericht bindend, festgestellt, dass die Kläger Vertreter der Gemeinde im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 GO NRW sind. Dagegen lassen sich bundesrechtliche Einwände nicht erheben; namentlich steht dem Land Nordrhein-Westfalen die Gesetzgebungskompetenz für das Kommunalrecht auch in Ansehung dieser Regelung zu. Das wird von den Klägern im Revisionsverfahren nicht mehr in Zweifel gezogen.

Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 GO NRW sind die Vertreter der Gemeinde in Aufsichtsräten von juristischen Personen, an denen die Gemeinde beteiligt ist, an die Beschlüsse des Rates gebunden. Das gilt gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 GO NRW jedoch nur, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Eine derartige anderweitige gesetzliche Bestimmung stellt § 52 Abs. 1 GmbHG dar. Danach sind auf einen nicht obligatorischen, sondern nur nach dem Gesellschaftsvertrag zu bestellenden Aufsichtsrat (fakultativer Aufsichtsrat) verschiedene Regelungen des Aktiengesetzes entsprechend anzuwenden, soweit nicht im Gesellschaftsvertrag ein anderes bestimmt ist. Zu diesen Regelungen gehören auch § 111 Abs. 5 AktG und §§ 116, 93 AktG, aus denen der aktienrechtliche Grundsatz hergeleitet wird, dass Aufsichtsratsmitglieder allein dem Unternehmensinteresse verpflichtet sind und im Rahmen der ihnen persönlich obliegenden Amtsführung keinen Weisungen unterliegen (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 18. September 2006 - II ZR 137/05 - BGHZ 169, 98 m.w.N.).

Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht einen darüber hinausgehenden ungeschriebenen allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsatz der Weisungsunabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern abgelehnt. Dass Aufsichtsratsmitglieder allein dem Unternehmensinteresse verpflicht sind und keinen Weisungen unterliegen, ist ein Grundsatz des Aktienrechts, der auf § 111 Abs. 5 AktG gestützt wird und damit zugleich normativ verankert ist (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2006 a.a.O. Rn. 18). Ein solcher Grundsatz ist für den fakultativen Aufsichtsrat einer GmbH nicht begründbar. § 52 Abs. 1 GmbHG gestattet explizit abweichende Regelungen von den aktienrechtlichen Bestimmungen, aus denen die Weisungsfreiheit der Aufsichtsratsmitglieder hergeleitet wird. Man mag die Weisungsfreiheit als „Normalzustand“ (so Weckerling-Wilhelm/Mirtsching, NZG 2011, 327<329>) auch der Mitglieder eines fakultativen Aufsichtsrats ansehen; der Gesellschaftsvertrag kann aber anderes bestimmen (so auch Held u.a. , Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, Stand: Dezember 2010, § 108 Erl. 7.1; Lohner/Zieglmeier, BayVBl 2007, 581<585>). Ein freiwillig gebildeter Aufsichtsrat einer GmbH muss nicht zwingend die Mindestanforderungen eines unabhängigen Überwachungsorgans erfüllen. Die Ausgestaltung der Aufgaben und Rechte eines fakultativen Aufsichtsrates liegt in der Hand der Gesellschafter, die dies im Gesellschaftsvertrag regeln. § 52 GmbHG sieht dafür gerade keine bindenden Vorgaben vor. Vielmehr verfügen die Gesellschafter über eine große organisatorische Gestaltungsfreiheit. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Bezeichnung "Aufsichtsrat" (siehe auch Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 52 Rn. 22; Schneider, in: Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 52 Rn. 4). Dieser Begriff ist weder im Gesetz noch durch die Rechtsprechung abschließend definiert.

Entgegen der Auffassung der Kläger kann sich deshalb auch kein Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Weisungsfreiheit der Aufsichtsratsmitglieder bilden. Die Befugnisse eines fakultativen Aufsichtsrates sind von der Ausgestaltung des jeweiligen Gesellschaftsvertrages abhängig. Ohne Kenntnis dieses Vertrages kann der Rechtsverkehr kein Vertrauen in bestimmte Rechte und Pflichten der Mitglieder des Aufsichtsrates haben.

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann eine Weisungsfreiheit der Kläger nicht allein deshalb verneint werden, weil § 7 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages die Anwendbarkeit des Aktiengesetzes ausschließt. Denn Voraussetzung für ein Abweichen von dem Regelfall des § 52 Abs. 1 GmbHG ist, dass "im Gesellschaftsvertrag ein anderes bestimmt ist". Das ist nicht schon dann der Fall, wenn der Gesellschaftsvertrag die in § 52 Abs. 1 GmbHG aufgeführten Vorschriften des Aktiengesetzes pauschal für unanwendbar erklärt. Dieser in der rechtswissenschaftlichen Literatur nahezu einhellig vertretenen Auffassung (vgl. z.B. Zöllner/Noack, a.a.O. Rn. 23; Weckerling-Wilhelm/Mirtsching, NZG 2011, 327 <329 f.>; Weiblen/May, GemH 1987, 169 <171>; Grünebaum, VR 2004, 55 <56>; Schodder, EWiR 2009, 715 <716>) ist zu folgen. Inwieweit der Gesellschaftsvertrag von der gesetzlichen Regel abweicht, muss vielmehr im Einzelnen "bestimmt" sein. Der Gesellschaftsvertrag muss die gesetzliche Regelung durch eine andere Regelung ersetzen, die ihrerseits genügend bestimmt ist, um zusammen mit den nicht abbedungenen gesetzlichen Vorschriften die Zusammensetzung des Aufsichtsrats, seiner Aufgaben, Befugnisse und seiner Verfahrensweise zweifelsfrei erkennen zu lassen.

Ob der Gesellschaftsvertrag der SVB in diesem Sinne "ein anderes bestimmt", ist eine Frage tatrichterlicher Würdigung. Das Revisionsgericht kann die Würdigung des Berufungsgerichts nur korrigieren, wenn sie die erwähnten bundesrechtlichen Vorgaben oder die bundesrechtlichen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB missachtet. Hier hat das Berufungsgericht die Vorgaben des § 52 Abs. 1 GmbHG dadurch verletzt, dass es eine hinreichende Abweichung von § 111 Abs. 5, § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 AktG schon darin gesehen hat, dass § 7 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages die Vorschriften des Aktiengesetzes pauschal abbedingt. Das genügt nicht.

3. Der Gesellschaftsvertrag trifft in seinen §§ 7 bis 9 verschiedene konkrete Regelungen im Hinblick auf den Aufsichtsrat, insbesondere über seine Bildung und Zusammensetzung, seine Aufgaben und seine Beschlussfassung. Er setzt damit eigene Bestimmungen an die Stelle der aktienrechtlichen Vorschriften. Zwar fehlt eine ausdrückliche Aussage zum Weisungsrecht. Die Auslegung ergibt aber, dass die auf Vorschlag des Rates der Stadt bestellten Mitglieder des Aufsichtsrats an Weisungen des Rates gebunden sein sollen.

Das kann das Revisionsgericht feststellen, weil das Berufungsgericht sich die Frage nicht gestellt hat, der Gesellschaftsvertrag schriftlich vorliegt und es zu seiner Auslegung nicht des Rückgriffs auf weitere Umstände bedarf. Ein solcher Rückgriff auf außerhalb der Vertragsurkunde gelegene Umstände verbietet sich schon aus Gründen des nötigen Schutzes des Rechtsverkehrs. Der Gesellschaftsvertrag einer GmbH bedarf der notariellen Form und ist im Handelsregister zu veröffentlichen. Dies dient namentlich dem Schutz der Gläubiger und der künftigen Gesellschafter. Deshalb müssen die wesentlichen Bestandteile der formbedürftigen Erklärung in der Urkunde selbst niedergelegt sein; Nebenabreden und Sinndeutungen, die für Außenstehende nicht erkennbar sind, sind unzulässig (stRspr; vgl. RG, Urteil vom 25. April 1933 - II 411/31 - RGZ 140, 303 <306 f.>; BGH, Urteil vom 13. März 1989 - II ZR 193/88 - NJW-RR 1989, 993 ).

Das schließt aber nicht aus, bei der Auslegung eines Gesellschaftsvertrages dessen normatives Umfeld in Rechnung zu stellen. Namentlich sind für die Auslegung des Gesellschaftsvertrages einer Gesellschaft, an der - wie aus dem Handelsregister ersichtlich - eine Gemeinde maßgeblich beteiligt ist und zu deren Aufgaben die Wahrnehmung der kommunalen Daseinsvorsorge für ihre Einwohner gehört, diejenigen Vorschriften des Verfassungs- und Gesetzesrechts zu berücksichtigen, welche für die Gemeinde verbindlich sind. Es spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Gemeinde die gesetzlichen Voraussetzungen für ihre Beteiligung an einer derartigen Gesellschaft einhalten wollte und will. Weil diese gesetzlichen Bestimmungen im Gesetzblatt bekanntgemacht sind, steht auch der gebotene Schutz des Rechtsverkehrs ihrer Berücksichtigung nicht entgegen.

Hiernach ist der Gesellschaftsvertrag der SVB dahin auszulegen, dass anstelle der abbedungenen aktienrechtlichen Vorschriften ein Weisungsrecht des Beklagten gegenüber den von ihm vorgeschlagenen Mitgliedern des Aufsichtsrats vereinbart ist. Das ergibt sich aus § 108 Abs. 5 Nr. 2 GO NRW. Nach dieser Vorschrift darf sich die Gemeinde nur an Unternehmen in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung beteiligen, wenn der Rat den von der Gemeinde bestellten oder auf Vorschlag der Gemeinde gewählten Mitgliedern des Aufsichtsrats Weisungen erteilen kann.

Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass diese Regelung - seinerzeit als § 108 Abs. 4 Satz 2 - erst durch das Änderungsgesetz vom 15. Juni 1999 (GVBl S. 386) in die Gemeindeordnung eingefügt wurde und damit zum Zeitpunkt der Gründung der SVB im Jahre 1972 und zum Zeitpunkt des Eintritts der privaten Gesellschafter im Jahr 1984 noch nicht galt. Das Änderungsgesetz vom 15. Juni 1999 hat lediglich klargestellt, was zuvor bereits geltendes Recht war. Zum einen sah bereits § 72 Abs. 1 der Gemeindeordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1969 (GVBl S. 656) - die Vorgängervorschrift zum heutigen § 113 Abs. 1 GO NW - vor, dass die Vertreter der Gemeinde in Eigengesellschaften und in wirtschaftlichen Unternehmen, an denen die Gemeinde beteiligt ist, an die Beschlüsse des Rates und seiner Ausschüsse gebunden sind. Das setzte schon damals voraus, dass der Gesellschaftsvertrag ein solches Weisungsrecht zuließ. Zum anderen ist die Bindung der auf Vorschlag des Rates bestellten oder gewählten Mitglieder des Aufsichtsrates an die Beschlüsse des Rates ein Ausfluss des Demokratieprinzips aus Art. 20 Abs. 2, Art. 28 Abs. 1 GG, das seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland gebietet, dass eine Gemeinde, wenn sie sich zum Betrieb einer Versorgungseinrichtung einer juristischen Person des Privatrechts bedient, durch Einwirkungs- und Kontrollrechte hinreichend Einfluss auf den Betreiber nehmen kann (vgl. Urteil vom 6. April 2005 - BVerwG 8 CN 1.04 - BVerwGE 123, 159 <165> = Buchholz 415.1 Allg. KommR Nr. 154).

Auch eine Auslegung des Gesellschaftsvertrages, welche die Geschichte der Gesellschaft in Rechnung stellt, könnte zu keinem anderen Ergebnis führen; darauf sei lediglich ergänzend hingewiesen. Die SVB ist 1972 als Eigengesellschaft der Stadt gegründet worden. Wie erwähnt, bestimmte § 72 Abs. 1 GO NW in deren damaliger Fassung bereits, dass die Vertreter der Gemeinde in Eigengesellschaften an die Beschlüsse des Rates und seiner Ausschüsse gebunden sind. Für die Stadt bestand damals keine Veranlassung, diesbezügliche Regelungen noch eigens in den Gesellschaftsvertrag aufzunehmen. Als 1984 die privaten Gesellschafter hinzutraten, wussten sie um die kommunalrechtliche Bindung der Stadt und hätten, falls sie deren Weisungsbefugnis für die SVB hätten ausschließen wollen, die Aufnahme einer entsprechenden ausdrücklichen Regelung in den Vertrag durchsetzen müssen (vgl. auch Grunewald, ZGR 1995, 68 <87>). Das haben sie nicht getan.

4. Verfahrensfehler werden von der Revision nicht substantiiert dargelegt. Allein das Unterlassen der von den Klägern begehrten Auslegung stellt weder eine Überraschungsentscheidung des Berufungsgerichts noch einen Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs dar.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 161 Abs. 2 VwGO.