Gefäßtarif für Gewerbemüll; Gliederung eines Entsorgungsgebiets in Bezirke; Entstehen der Gebühr bei Benutzungszwang
VGH Mannheim, Urteil vom 02.09.1988 - Az.: 2 S 1720/88
Leitsätze:
1. Nach § 1 Abs 3 LAbfG ist es der beseitigungspflichtigen Körperschaft grundsätzlich nicht verwehrt, das Entsorgungsgebiet in einzelne Bezirke zu gliedern und für diese unterschiedlich große Müllgefäße vorzusehen. (amtlicher Leitsatz)
2. Sind in den einzelnen Entsorgungsbezirken nicht jeweils Müllgefäße gleicher Größe zugelassen, so dürfen in der Satzung für jeden Entsorgungsbezirk gesonderte Müllgebührensätze unterschiedlicher Höhe nur dann festgesetzt werden, wenn jeder Entsorgungsbezirk durch technisch völlig getrennte Anlagen entsorgt wird. (amtlicher Leitsatz)
3. Als geeigneter Wahrscheinlichkeitsmaßstab zur Bemessung der Gewerbemüllgebühren kommt auch der sogenannte Gefäßtarif in Betracht, der auf Anzahl und Größe der zu verwendenden Müllgefäße abstellt. Mit dem Äquivalenzprinzip und dem Gleichheitssatz ist jedoch ein Gefäßtarif unvereinbar, bei dem als Maßstab für die Bemessung der Müllgebühren für alle Gewerbebetriebe lediglich das auf Großbetriebe oder Mittelbetriebe abgestimmte Behältervolumen dient, somit Gewerbebetriebe mit geringem Müllanfall ebenso hohe Benutzungsgebühren bezahlen müssen wie solche mit einem wesentlich höheren Müllanfall. (amtlicher Leitsatz)
4. Das Bestehen eines durch die Satzung angeordneten Anschluss- und Benutzungszwangs reicht für sich genommen nicht aus, die Erhebung von Benutzungsgebühren zu rechtfertigen. Sofern das Benutzungsverhältnis noch nicht durch geeignete Maßnahmen hergestellt ist, wird ein anschluss- und benutzungsunwilliger Grundstückseigentümer nach § 9 Abs 1 KAG erst dann gebührenpflichtig, wenn der satzungsrechtlich angeordnete Anschluss- und Benutzungszwang ihm gegenüber notfalls auch unter Anwendung von Vollstreckungsmaßnahmen durchgesetzt ist. (amtlicher Leitsatz)
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Gründe
Rechtswidrig ist der angefochtene Abfallgebührenbescheid schon deshalb, weil er der erforderlichen satzungsrechtlichen Grundlage entbehrt (vgl. die §§ 2, 9 KAG). Als solche kommt die Abfallsatzung des Beklagten vom 14.11.1984 in der geänderten Fassung vom 6.2.1985 - AbfS 1985 - in Betracht. Die in § 20 Abs. 3 dieser Satzung getroffene Regelung über die Benutzungsgebühren für das Beseitigen von Gewerbeabfällen ist jedoch ungültig. Diese Satzungsvorschrift hat folgenden Wortlaut:
"Die Benutzungsgebühren für das Beseitigen von Abfällen, die nach § 5 Absatz 3 als Gewerbeabfälle gelten, werden, soweit nicht eine Befreiung nach § 12 Absatz 2 erteilt ist, nach der Zahl und der Größe der zur Abfuhr bereitgestellten Abfallbehälter bemessen.
Sie betragen jährlich je Abfallbehälter
1. mit 35 l Füllraum ohne Gefäßgestellung 132,90 DM 2. mit 50 l Füllraum ohne Gefäßgestellung 144,-- DM 3. mit 240 l Füllraum mit Gefäßgestellung 330,- DM 4. mit 1,1 cbm Füllraum a) mit Gefäßgestellung 1380,50 DM b) ohne Gefäßgestellung 1206,- DM.
Wird kein gesonderter Müllbehälter zur Abfuhr bereitgestellt, beträgt die Müllgebühr jährlich 57,70 DM."
Der Anwendungsbereich dieser Gebührensätze erstreckt sich nicht auf alle kreisangehörigen Gemeinden, sondern beschränkt sich entsprechend der jeweiligen Größe des zugelassenen Abfallgefäßes auf je einen der in § 9 A und B AbfS 1985 aufgeführten Entsorgungsbezirke. So sind nach § 9 A Abs. 1 Nr. 2 AbfS 1985 in den Gemeinden Bodelshausen, D., Kirchentellinsfurt und N. sowie im Stadtteil Rottenburg-W. und im nördlichen Altstadtbezirk der Stadt R. für Gewerbeabfälle nur 240 l-Müllgroßbehälter und 1,1 cbm-Container zugelassen. Diese Müllgroßbehälter werden nach Abs. 2 dieser Satzungsvorschrift vom Landkreis oder beauftragten Dritten beschafft und zur Verfügung gestellt. Nach § 9 A Abs. 3 AbfS 1985 müssen in diesem Entsorgungbezirk bei bewohnten Grundstücken mindestens ein Behälterfüllraum von 30 l je Bewohner, auf jeden Fll ein nach Abs. 1 zugelassener Abfallbehälter vorhanden sein, wobei als Bewohner jede Person zählt, die sich tatsächlich, wenn auch nur zeitweise auf dem Grundstück aufhält, ohne Rücksicht auf die Meldepflicht. Demgegenüber sind nach § 9 B Abs. 1 Nr. 2 AbfS 1985 in den Gemeinden Ammerbuch, Gomaringen, Hirrlingen, Kusterdingen, Ne., Ofterdingen und Starzach sowie in den Städten Mössingen und Rottenburg ohne die in § 9 A genannten Bereiche für Gewerbeabfälle 35 l-Systemmüllgefäße, 50 l-Systemmüllgefäße und 1,1 cbm-Container zugelassen. Nach Abs. 2 dieser Satzungsvorschrift sind in diesem Entsorgungsbezirk die erforderlichen Müllgefäße grundsätzlich vom Abfuhrbenutzer zu beschaffen und zu unterhalten. Einen Mindestbehälterfüllraum je Bewohner schreibt die Abfallsatzung für diesen Entsorgungsbezirk nicht vor.
Wie diesen Satzungsvorschriften zu entnehmen ist, beträgt zwar für beide Entsorgungsbezirke die Mindestgebühr für die Entsorgung von Gewerbemüll jährlich 57,70 DM, wenn kein gesonderter Müllbehälter zur Abfuhr bereitgestellt wird, jedoch weichen die Gebühren bei Bereitstellung des jeweils zugelassenen Müllgefäßes in beiden Entsorgungsbezirken erheblich voneinander ab. Diese gebührenrechtliche Ungleichbehandlung wird weder von § 9 KAG gedeckt, noch lässt sie sich mit dem aus Art.
3 Abs. 1 GG folgenden Willkürverbot oder dem gebührenrechtlichen Äquivalenzprinzip in Einklang bringen.
Ein Verstoß gegen diese Rechtsgrundsätze lässt sich allerdings - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts - nicht schon daraus herleiten, dass der Beklagte in den beiden Entsorgungsbezirken des § 9 A und B AbfS 1985 unterschiedliche Gefäßgrößen festgelegt hat. Wie sich die beseitigungspflichtige Körperschaft ihrer bundesrechtlich begründeten Abfallbeseitigungspflicht (vgl. § 3 Abs. 2 AbfG/Bund) entledigt, steht innerhalb der Grenzen, die ihr durch das Abfallgesetz des Bundes sowie das Landesabfallgesetz gezogen sind, in ihrem weit gespannten Organisationsermessen, das - abgesehen von den einfachgesetzlichen Schranken - im wesentlichen nur durch das auf Art.
3 Abs. 1 GG beruhende Willkürverbot eingeschränkt ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.10.1983 -
10 S 1683/82 -; Urteil vom 24.09.1987 -
2 S 520/87 -). Soweit § 1 Abs. 3 LAbfG die beseitigungspflichtigen Körperschaften ermächtigt, den Anschluss an die Einrichtungen der Abfallbeseitigung und deren Benutzung durch Satzung zu regeln, hat ihnen der Landesgesetzgeber bei der Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses im einzelnen weitgehend freie Hand gelassen. Insbesondere hat er es ihnen nicht verwehrt, das Entsorgungsgebiet in einzelne Bezirke zu gliedern und fpr diese unterschiedlich große Müllgefäße vorzusehen. Das den beseitigungspflichtigen Körperschaften insoweit eingeräumte Organisationsermessen findet allerdings seine Grenze an dem auf Art.
3 Abs. 1 GG beruhenden Willkürverbot. Dieses ist erst dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sachlich einleuchtender Grund für die Gleich- oder Ungleichbehandlung nicht finden lässt (
BVerfGE 9, 334/337;
17, 319/330; BVerwG, Urteil vom 16.09.1981, DVBl. 1982, 76; Urteil vom 01.08.1986, NVwZ 1987, 231; Urteil des Senats vom 24.09.1987 -
2 S 520/87 -). Wie die Berufungsbegründung des Beklagten zeigt, ist die Bildung zweier Entsorgungsbezirke mit unterschiedlich großen Müllgefäßen in § 9 A und B AbfS 1985 durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt. Im Widerstreit zwischen dem Interesse an einer möglichst rationellen Wiederverwertung der Abfallstoffe (vgl. § 3 Abs. 2 S. 3 AbfG/Bund), das für die kreiseinheitliche Einführung von Müllgroßbehältern sprach und dem Interesse an der Abfallvermeidung, das durch kleine Müllgefäße eher gefördert wird als durch große, hatte sich der Kreistag seinerzeit dafür entschieden, es bei der Verwendung der unterschiedlich großen Müllgefäße zu belassen, wie er sie bei Übernahme der Abfallentsorgung zum 1.1.1985 in den einzelnen Gemeinden vorgefunden hatte. Diese Entscheidung hat zudem den Vorzug, dass zusätzliche gebührenerhöhende Investitionskosten vermieden wurden, die bei Änderung des bisherigen Entsorgungssystems zwangsläufig entstanden wären. Aus dem Blickwinkel des Willkürverbots bestehen allenfalls Bedenken dagegen, dass für den Entsorgungsbezirk des § 9 A AbfS 1985 gamäß Abs. 3 dieser Satzungsvorschrift ein Mindestbehälterfüllraum von 30 l je Bewohner vorgeschrieben ist, während es für den Entsorgungsbezirk des § 9 B AbfS 1985 an ener entsprechenden Festlegung des Mindestbehälterfüllraums fehlt. Für diese unterschiedliche Behandlung hat der Beklagte keinen sachlich einleuchtenden Grund vorgebracht. In dem hier zu entscheidenden Falle können indessen diese Bedenken, insbesondere die weitere Frage auf sich beruhen, ob die Ungültigkeit der gesamten in § 9 getroffenen Regelung über die zugelassenen Abfallbehälter nach sich zöge. Selbst wenn die in § 9 AbfS 1985 getroffene Regelung insgesamt nicht zu beanstanden wäre, könnte die auf ihr beruhende Regelung pber die Benutzungsgebühren für das Beseitigen von Gewerbeabfällen in § 20 Abs. 3 AbfS 1985 keinen Bestand haben. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Wie aus der Berufungsbegründung hervorgeht, wollte der Beklagte mit der Festsetzung gesonderter Gebührensätze für die Beseitigung von Gewerbeabfällen in den beiden Entsorgungsbezirken von der in § 9 Abs. 2 S. 2 KAG i.d.F. vom 15.2.1982 (GBl. S. 57) - KAG 1982 - vorausgesetzten Möglichkeit Gebrauch machen, für technisch getrennte Müllentsorgungseinrichtungen auf sie bezogene gesonderte Benutzungsgebühren unterschiedlicher Höhe zu erheben. Nach § 9 Abs. 2 S. 2 KAG 1982 können bei technisch getrennten Einrichtungen für die Erfüllung derselben Aufgebe die Kosten nach Satz 1 im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Gebührenerhebung zusammengefasst werden. Bei dieser gesetzlichen Regelung handelt es sich um eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass für technisch getrennte Einrichtungen grundsätzlich gesonderte Gebühren- und Beitragssätze in der Satzung vorzusehen sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.10.1980 -
II 1569/78 -, VBlBW 1981, 185; Urteil vom 11.11.1982 -
2 S 28/81 -; vom 14.03.1985 - 2 S 3118/83 -; Scholz, VBlBW 1987, 41/45). Durch das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 15.12.1986 (GBl. S. 465) - KAG 1986 - wurde § 9 Abs. 2 S. 2 KAG 1982 durch den in § 9 Abs. 1 neu eingefügten Satz 2 ersetzt. Nach dieser Vorschrift bilden technisch getrennte Anlagen, die der Erfüllung derselben Aufgabe dienen, eine Einrichtung, bei der Gebühren nach einheitlichen Sätzen erhoben werden, sofern durch die Satzung (§ 2) nichts anderes bestimmt ist; dies gilt nicht, wenn sich die Anlagen durch ihrem Wesen nach andersartige Leistungen unterscheiden. Diese Regelung gilt nach Art. 2 Abs. 2 KAG 1986 auch für Anlagen, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bereits vorhanden sind. Auch § 9 Abs. 1 S. 2 KAG 1986 stellt es grundsätzlich in das Ermessen des Satzungsgebers, ob er für technisch getrennte Anlagen, die der Erfüllung derselben Aufgabe dienen, einheitliche oder gesonderte Gebührensätze in der Satzung festlegt. Auf der Grundlage dieser gesetzlichen Regelunen könnten die in § 20 Abs. 3 AbfS 1985 festgelegten gesonderten Gebührensätze für die Beseitigung von Gewerbeabfällen nur dann Bestand haben, wenn die in § 9 A und B AbfS 1985 gebildeten Entsorgungsbezirke tatsächlich durch technisch völlig getrennte Anlagen entsorgt würden. Dies aber ist nicht derFall. Nach § 1 Abs. 1 AbfS 1985 betreibt der Landkreis die Beseitigung der in seinem Gebiet angefallenen Abfälle als öffentliche Einrichtung.